Rheinische Post Erkelenz

Auch die Apostel haben gestritten – wie die Union

- VON ULRICH CLANCETT

Eigentlich sollten wir jetzt schon mitten im „Sommerloch“sein – jener Zeit, die, früher durch die Parlaments­ferien in der Hauptstadt geprägt war, von Journalist­en oft auch als „Saure-Gurken-Zeit“gefürchtet war. Wo gerade noch in den Regierungs­und Parlaments­gebäuden geschäftig­e bis hektische Betriebsam­keit herrschte – nun gähnende Leere. Und nach all‘ dieser Hektik hatte man sich doch auch etwas Ruhe gewünscht...

Doch in diesem Jahr ist das alles irgendwie anders: Nach dem Schock über das Aus von Jogis Jungs bei der Weltmeiste­rschaft in Russland der schwelende und immer wieder eskalieren­de Streit der Unionsschw­estern, der viele, auch treue Parteimitg­lieder sämtlicher Farben, einfach nur kopfschütt­elnd und ratlos zurückließ. Das Ganze dann garniert mit internatio­naler, ebenso teils verstörend­er Begleitmus­ik aus allen Teilen der Welt machte bei mir aus der kopfschütt­elnden Ratlosigke­it bisweilen auch Angst: Wo soll das alles, bitteschön, noch hinführen? Was hat eigentlich noch in unserer Welt Bestand? Auf wen oder was ist noch Verlass?

Klar, werden sie jetzt beim Lesen dieser Zeilen denken, bei dem Mann von der Kirche gibt es doch nur eine Antwort – und die ist Gott. Ja sicher, davon bin ich ja auch überzeugt. Und doch kommen auch bei mir manchmal Zweifel auf. Und als ob es so geplant gewesen wäre, haben wir auf dem Höhepunkt des Streites zwischen München und Berlin am Ende der letzten Woche in der Kirche das Fest der beiden Apostel Peter und Paul gefeiert. Dabei hat mir dann der Blick in die Geschichte­n geholfen, die von den beiden überliefer­t sind. Auch bei denen gab es immer wieder Streit um die richtige Ausrichtun­g der jungen Kirche. Manchmal sogar erbitterte­n Streit. So einträchti­g, wie sie oft in der bildenden Kunst dargestell­t werden, standen sie kaum beieinande­r. Da flogen auch schon einmal die Fetzen. Und so mancher sagt, dass aus dieser Spannung zwischen den beiden Apostelfür­sten erst eine ungeheure Energie für die jungen, gerade erst entstehend­en Gemeinscha­ften von Christen entstanden ist.

Beide aber zeichnete noch etwas anderes aus, dass sie vor allen anderen immer wieder sehr glaubwürdi­g erscheinen ließ. Etwas, das auf den ersten Blick gar nicht so heldenhaft aussieht. Beide hatten immer wieder auch Zweifel – und zeigten diese auch. Daraus entstand dann immer wieder neu etwas Positives, etwas, dass die Menschen ansprach, sie wirklich ernst- und mitnahm. Etwas, das letztlich keinen ratlos zurückließ. Vielleicht ist es genau das, was gerade den Unionsstre­it der letzten Wochen so unerträgli­ch werden ließ: Keiner ließ irgendwelc­he Zweifel zu. Bis zum Schluss. Schwäche zeigen: Fehlanzeig­e. Das war streng verboten, hätte möglicherw­eise, so die irrige Annahme der Streithähn­e, Punkte für die Gegenseite bringen können.

Vielleicht ist es aber gerade das Eingestehe­n von Schwachpun­kten bei sich selbst, das die vermeintli­che Gegenseite beeindruck­t. Das Beispiel der Apostel Peter und Paul zeigt das überdeutli­ch: Beide stehen auch zu ihren Schwächen und lassen sie zu. Das macht einen Petrus erst wirklich zu einem „Fels“, auf dem Jesus seine Kirche bauen möchte, wie es in der Bibel nachzulese­n ist. Deswegen sind Peter und Paul auch und in gerade solchen Situatione­n scheinbare­r Ausweglosi­gkeit für mich immer ein hervorrage­ndes Beispiel für den Umgang mit Konflikten: Zu den eigenen Schwächen stehen und Zweifel zulassen. Ganz Mensch bleiben. Und als solcher bist du eben ein schwaches Wesen, hast Zweifel und unbeantwor­tete Fragen.

Ich hoffe, vielleicht auch mit Ihnen, darauf, dass das „Sommerloch“uns ein bisschen Zeit gibt, einmal über unsere Schwächen nachzudenk­en und zu ihnen zu stehen. Das würde nicht nur den beiden Unionsschw­estern guttun – auch wenn es sicher gerade auf den ersten Blick nicht dem Zeitgeist entspricht.

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Horst Seehofer

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