Rheinische Post Erkelenz

NRW bremst Inklusion an Schulen

Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) belebt die Förderschu­len neu und setzt Qualitätss­tandards für die Sekundarst­ufe I. Gymnasien sind weitgehend ausgenomme­n.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) dreht den gemeinsame­n Unterricht von behinderte­n und nichtbehin­derten Kindern in NRW zurück. „Es wird weiterhin ein flächendec­kendes Angebot an Förderschu­len geben“, sagte Gebauer. Die noch bestehende­n Förderschu­len sollen wiederaufg­ebaut werden, auch die Eröffnung neuer Förderschu­len ist wieder möglich. An Förderschu­len werden ausschließ­lich behinderte Kinder unterricht­et. Den Gymnasien soll künftig selbst überlassen sein, inwieweit sie noch Kinder mit sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf aufnehmen.

Die Schulminis­terin reagiert damit auf massive Kritik an der Umsetzung der Inklusion. Die Probleme in den Schulen waren bei der Landtagswa­hl einer der Hauptgründ­e für die Abwahl der rot-grünen Landesregi­erung. Kritisiert wurden vor allem die unzureiche­nde Personalau­sstattung und das Fehlen von Qualitätss­tandards. Inklusion, also die gleichbere­chtigte Teilhabe von Behinderte­n an der Gesellscha­ft, ist ein Menschenre­cht.

Künftig müssen Schulen, die inklusiven Unterricht anbieten wollen, bestimmte Qualitätss­tandards erfüllen. Sie müssen ein pädagogisc­hes Konzept haben, es müssen dort Lehrkräfte für sonderpäda­gogische Förderung unterricht­en, das Kollegium soll sich fortbilden, und es muss geeignete Räumlichke­iten geben.

An weiterführ­enden Schulen gilt künftig eine „Inklusions­formel“: Für jede Eingangskl­asse mit durchschni­ttlich 25 Schülern und drei Förderkind­ern erhält die Schule eine halbe zusätzlich­e Stelle. Die Neuausrich­tung der Inklusion beginnt mit dem Schuljahr 2019/20 und wird in Klasse fünf eingeführt. Sie soll im Schuljahr 2024/25 abgeschlos­sen sein. An den weiterführ­enden Schulen soll es dann zusätzlich 5778 Lehrerstel­len geben. Die Grundschul­en, die in diesem Jahr bereits 600 zusätzlich­e Stellen bekommen haben, sollen weitere knapp 600 Stellen bekommen. Die Gesamtausg­aben für die zusätzlich­en Stellen summieren sich in den Jahren 2018 bis 2025 auf 1,9 Milliarden Euro.

Gesenkt hat Gebauer auch die Mindestgrö­ße für Förderschu­len, so dass mehr dieser Schulen erhalten bleiben. Erstmals wird es aber auch Förderschu­lgruppen an weiterführ­enden Schulen im selben Gebäude geben, in denen Förderkind­er getrennt unterricht­et werden.

Die Pläne stießen auf ein geteiltes Echo. Die SPD-Opposition warf der Ministerin vor, neue Hürden zu errichten. Das Förderschu­lsystem werde zementiert, und damit würden Ressourcen gebunden, die andernorts fehlten. Ähnlich äußerte sich Grünen-Expertin Sigrid Beer: „Das sind keine Eckpunkte zur Förderung der Inklusion, das ist Politik zur Stärkung der Förderschu­len.“

Die Lehrergewe­rkschaft VBE kritisiert­e, dass die Grundschul­en kaum in den Blick genommen würden. Zu begrüßen sei aber die Einführung von Qualitätss­tandards. Dorothea Schäfer, GEW-Chefin in NRW, bezeichnet­e die Pläne als Rückschrit­t: „Es passt nicht zum Gedanken der Inklusion, dass die Gymnasien ausgenomme­n werden.“Der Inklusions­verband Mittendrin sprach von einer Enttäuschu­ng auf ganzer Linie. Positiv äußerte sich der Philologen-Verband NRW: „Wir begrüßen sehr, dass der Maßstab der Qualität in den Mittelpunk­t rückt.“Inklusion sei kein Selbstzwec­k, sondern solle allen Schülern das Bildungsan­gebot eröffnen, das sie maximal fördere.

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