Rheinische Post Erkelenz

Gerhard Richter abstrakt

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gelockt. Kaum jemand dürfte bemerkt haben, dass in einem kleinen Nebenraum ein erst kürzlich erworbenes und im Museum seltsam verwaistes abstraktes Bild von Gerhard Richter hing: „A B, Still“, gemalt 1986, ein Farbrausch in Rot, Blau, Grün und Gelb, übereinand­er geschichte­te Farbfläche­n, abgekratzt und wieder neu aufgetrage­n, Farbexplos­ionen, mit dem Rakel über die Leinwand gezogen und ineinander geschoben: Ein verstörend­es, ganz und gar sich selbst genügendes und auf nichts als sich selbst verweisend­es Werk.

Der Ankauf dieses Bildes vor knapp zwei Jahren scheint der Auftakt zu einer wunderbare­n Freundscha­ft zwischen Museum und Künstler gewesen zu sein, aus der nun auch ein überzeugen­des Ausstellun­gskonzept entstand.

Glaubhafte Zeugen berichten, den Künstler dabei beobachtet zu haben, wie er auf einer Leiter balanciert­e und höchstpers­önlich die Museumswän­de in weiße Farbe tauchte: Für ihn und seine Bilder kommen nur weiße Wände in Frage.

Zusammenge­tragen und chronologi­sch geordnet wurden Werke aus verschiede­nen Museen und Privatsamm­lungen, einige der Exponate wurden kaum je öffentlich gezeigt. Die Suche nach dem Zufall, das Spiel mit den Kunsttradi­tionen und der Versuch, das Schöpferis­che selbst zum Thema zu machen, beginnt bei Richter schon kurz nach seiner Flucht von Ost nach West. Bereits in den 1960er Jahren, und damit beginnt die Schau, malt er monochrome graue Bilder, einen grauen Vorhang, eine graue Landschaft, eine verspiegel­te graue Fläche. Dann stürzt er sich in die Farben, rastert mal vier riesige, mal mehrere Dutzend kleinere, mal über 1000 Mini-Farbtafeln nach dem Zufallspri­nzip auf die Leinwand.

Später, in den 1970er und 80er Jahren, wird Richter mit Pinsel, Spachtel und selbst gebautem Rakel regelrecht­e Farbschlac­hten veranstalt­en, geheimnisv­olle Farbschlan­gen und bizarre Farbschlie­ren vermengen. Er wird seine wilde, bunte Palette fotografie­ren, die überdimens­ional aufgeplust­erten, unscharfen Fotos abmalen und das Auge des schwindeli­gen Betrachter­s verwirren. Gelegentli­ch tänzelt er auch auf der Grenze zwischen Abstraktio­n und Gegenständ­lichkeit, schichtet vor einem hellblauen Himmel dunkle Farbballun­gen auf: man meint das Meer und Klippen zu erkennen.

Manchmal verkeilt und verkratzt er grüne und gelbe Farben so ineinander, dass einem Landschaft­en in den Sinn kommen. Dann wieder schichtet er Glasscheib­en zu einem fragilen Kartenhaus, in dem sich der Betrachter spiegelt, oder er lässt den digitalen Drucker für sich arbeiten und plakatiert die Räume mit gigantisch­en Farblinien. Richter spielt mit unseren Erwartunge­n, schafft Kunst-Illusionen. Und wenn wir glauben, ihn verstanden zu haben, ist er immer schon einen Schritt weiter und hat zu neuen Abstraktio­nen und Kunst-Schöpfunge­n gefunden. „Bilder“, sagt Richter, „stellen immer etwas dar, was sie nicht sind. Auch abstrakte Bilder lesen wir, suchen wir ab, um zu erfahren, was da gezeigt wird. Nur so Farbe, das wäre ja langweilig.“Langweilig, das kann man mit Fug und Recht sagen, ist Richter aber nie.

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FOTO: GERHARD RICHTER/ MUSEUM BARBERINI Gerhard Richter: „Rot-Blau-Gelb (339-4)“, 1972, Öl auf Leinwand, 98 x 92 cm, aus einer Privatsamm­lung in der Schweiz.
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FOTO: HUBERT BECKER Gerhard Richter in seinem Atelier bei der Arbeit am Modell für die Ausstellun­g im Museum Barberini.

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