Das Breitmaul-Nashorn soll nicht sterben
Vom Nördlichen Breitmaul-Nashorn sind weltweit nur noch zwei Weibchen übrig. Nun soll die Stammzellenforschung die Ausrottung der Tiere aufhalten. Das Südliche Breitmaul-Nashorn soll dabei helfen.
Sudan. Das letzte männliche Nördliche Breitmaul-Nashorn 1973-2018“– so steht es auf einem Gedenkstein zur Erinnerung an den weltbekannten Dickhäuter Sudan, der im März dieses Jahres in Kenia wegen Altersschwäche eingeschläfert werden musste. Nach der traurigen Nachricht keimt jetzt wieder Hoffnung auf für die Tiere mit dem charakteristischen breiten Maul: Wissenschaftler wollen die Ausrottung mit Methoden der künstlichen Reproduktion und der Stammzellforschung aufhalten – und damit auch die Vorlage liefern für die Rettung weiterer hochgefährdeter Arten.
Nur noch zwei Weibchen sind übrig von der einst in Zentral- und Ostafrika verbreiteten Unterart der Breitmaul-Nashörner. Die Methode, mit der der Coup einer Wiederbelebung gelingen soll, stellt das Team um den Veterinärmediziner Thomas Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin nun im Fachblatt „Nature Communications“vor. Die Forscher haben es geschafft, im Labor Nashorn-Embryonen zu erzeugen und zu kultivieren. „Dies sind die weltweit ersten in vitro produzierten Nashorn-Embryos“, erklärt Hildebrandt. Werde ein solcher Embryo einer Leihmutter eingesetzt, seien die Chancen „sehr hoch“, dass diese trächtig werde.
Allerdings handelt es sich bisher noch nicht um reine Embryos der bedrohten Unterart. Zunächst erprobten die Forscher die aufwendige Entnahme von Eizellen bei engen Verwandten der Nördlichen Breitmaul-Nashörner: bei Südlichen Breitmaul-Nashörnern in europäischen Zoos. Und das rund 20 Mal. Von dieser Unterart gibt es in freier Wildbahn noch mehr als 20.000 Exemplare. Nördliche Breitmaul-Nashörner hingegen gelten schon seit 2008 als in der Natur ausgestorben. Wilderei ist ein Hauptgrund.
Was die Spermien anbelangt, so stand dem Team eingelagertes Material von Nördlichen Breitmaul-Nashörnern zur Verfügung. Allerdings beschreiben die Forscher die Qualität als schlecht. Deshalb mussten Spermien jeweils direkt in die Eizelle gespritzt werden. Dabei arbeiten die Wissenschaftler mit einem italienischen Unternehmen zusammen, das das Verfahren bereits bei Rindern und Pferden anwendet. Die sogenannte Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) ist auch beim Menschen eine häufig genutzte Methode zur künstlichen Befruchtung.
Mit den bisherigen Erfahrungen wollen sich die Forscher nun daran machen, den letzten beiden weiblichen Nördlichen Breitmaul-Nashörnern Eizellen zu entnehmen. Einem IZW-Sprecher zufolge soll dies noch im August oder September dieses Jahres geschehen. Die Tiere sind die Tochter und die Enkelin des soeben gestorbenen Bullen Sudan und leben in einem Reservat in Kenia. Die beiden Nashorn-Weibchen sind unfruchtbar. Deshalb werden Leihmütter benötigt – auch hierfür sollen sich den Forschern zufolge Südliche Breitmaul-Nashörner eignen.
Zu einer solchen Nashorn-Schwangerschaft könnte es dem Vernehmen nach bereits Anfang nächsten Jahres kommen. Noch feilen die Forscher an der Technik für den Embryo-Transfer. Und sie werben um Geld von privaten Unterstützern. Zwar laufe ein Förderantrag, sagt ein IZW-Sprecher. Das Vorhaben sei aber ein Wettlauf gegen die Zeit.
Selbst die Geburt eines gesunden Nashorn-Babys würde allerdings noch lange nicht die Rettung für das Nördliche Breitmaul-Nashorn bedeuten, darauf verweisen auch die Wissenschaftler selbst. Da es nur noch die zwei Weibchen und die Spermien weniger Bullen gibt, wäre die genetische Vielfalt für den Aufbau einer sich selbst erhaltenden Population nicht groß genug. Deshalb arbeiten die Wissenschaftler parallel an einer Stammzelltechnik,
um aus erhaltenen Nashorn-Körperzellen Spermien und Eizellen zu züchten.
US-Experten warnen in einem Kommentar zur Studie vor zu hohen Erwartungen. Beeindruckende Ergebnisse in einer Petrischale ließen sich nicht ohne Weiteres in gesunden Nachwuchs übertragen, schreiben Terri Roth und William Swanson vom Center for Conservation and Research of Endangered Wildlife in Cincinnati. Bei High-Tech-Verfahren wie dem Klonen bleibe bisher „in fast allen Fällen“der Beitrag zum Arterhalt fraglich. Sie seien oft ineffizient, häufig gebe es Fehlgeburten und Todesfälle bald nach der Geburt.
Ein Beispiel verdeutlicht dieses Problem: Nachdem das letzte Exemplar des Pyrenäensteinbocks, einer Unterart des Iberiensteinbocks, im Jahr 2000 gestorben war, wollten Wissenschaftler mit seinen Zellen neue Exemplare klonen. Tatsächlich kam es auch zur Geburt eines Jungtiers. Doch das Tier starb nur wenige Minuten, nachdem es zur Welt gekommen war, an einer Missbildung der Lunge. So kam es, dass – zum ersten Mal in der Erdgeschichte – eine Unterart gleich zweimal ausstarb.