Schlag gegen Mays Brexit-Plan
Neun Monate vor dem EU-Austritt steht die Regierung in London vor einem Scherbenhaufen: Brexit-Minister Davis und Außenminister Johnson haben ihren Rücktritt eingereicht.
LONDON (dpa) Nach dem Rücktritt des britischen Außenministers Boris Johnson im Streit über die Brexit-Verhandlungen hat Premierministerin Theresa May umgehend die Nachfolge geregelt. Zum neuen Außenminister berief sie am Montagabend den bisherigen Gesundheitsminister Jeremy Hunt. Dessen Ressort übernimmt Matt Hancock, bisher Minister für Kultur und Medien. Zum neuen Kulturminister ernannte May den bisherigen Generalstaatsanwalt für England und Wales, Jeremy Wright. May, die eine enge Bindung an die Europäische Union bewahren will, kämpft um ihr politisches Überleben. Beobachter in London befürchteten am Montag einen Aufstand der Hardliner in ihrer konservativen Partei, die einen strikten Bruch mit der EU anstreben.
Boris Johnson, wichtigster Brexit-Wortführer im Kabinett, war am Montagnachmittag zurückgetreten, nur Stunden nach der Rücktrittsankündigung von Brexit-Minister David Davis. Noch am Freitag hatte May ihre zerstrittene Ministerriege nach heftigen Debatten auf ihre neue Verhandlungslinie einschwören können — doch der Burgfrieden hielt nur zwei Tage.
Nach Mays Vorschlag soll Großbritannien bei Waren und Agrarerzeugnissen auch nach dem EU-Austritt eng an den europäischen Binnenmarkt gebunden bleiben. Die anderen drei Freiheiten des Binnenmarkts – für Kapital, Arbeitskräfte und Dienstleistungen – sollen aber beschränkt werden. Damit wollen die Briten die ungehinderte Einreise von EU-Bürgern stoppen und im wichtigen Dienstleistungssektor eigene Wege gehen.
Davis erklärte, Mays Plan schwäche die Position Londons gegenüber der EU; Großbritannien gebe „zu leichtfertig zu viel her“. Johnson soll Mays Strategie während der Klausur als „Scheißhaufen“bezeichnet haben.
Die Opposition warf Mays Regierung vor, Chaos zu stiften und jegliche Glaubwürdigkeit zu verspielen. „Wie kann irgendjemand der Premierministerin zutrauen, einen guten Deal mit 27 EU-Regierungen zu bekommen, wenn sie nicht mal einen Deal innerhalb ihres eigenen Kabinetts aushandeln kann?“, fragte Labour-Chef Jeremy Corbyn.
Eigentlich soll ein Abkommen über den Austritt schon im Herbst stehen. Für May, die seit der Neuwahl im vergangenen Jahr im Parlament nur noch über eine hauchdünne Mehrheit verfügt, sind die Rücktritte ein herber Schlag. Sie muss nun mit weiterem Widerstand aus dem Brexit-Flügel ihrer Partei rechnen. Etwa ein Fünftel der Abgeordneten ihrer Fraktion wird dazu gezählt.
EU-Ratspräsident Donald Tusk reagierte zurückhaltend auf die Rücktritte. „Politiker kommen und gehen, aber es bleiben die Probleme, die sie für ihr Volk geschaffen haben“, sagte Tusk. „Das Durcheinander aufgrund des Brexits ist das größte Problem in der Geschichte der Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Es ist immer noch weit von einer Lösung entfernt.“
Die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Martina Fietz, betonte: „Die Zeit drängt.“Bis Oktober müsse der politische Rahmen für den Austritt aus der EU geklärt sein.
Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) forderte, London müsse nun trotz des Ministerrücktritts seine detaillierten Vorschläge rasch präsentieren. „Es darf jetzt keine Verzögerungen im Verhandlungsprozess geben“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Dass die britische Regierung ein Stück weit von ihrer harten Brexit-Position abweiche, sei auch den eindeutigen Positionen der Wirtschaft geschuldet.