Mit Milliardengeschäften gegen Abschottung
Im Handelsstreit mit den USA hofft China auf Geschäfte in Europa. Deutschland wägt ab zwischen Fortschritt und Abhängigkeit.
BERLIN Der hohe Gast aus China breitet seine Arme weit aus, physisch wie politisch. Peking sei für den Freihandel, den Multilateralismus und die Einhaltung der internationalen Marktregeln. Und Peking wolle auch Europa nicht durch Investitionsversprechen für mittel- und osteuropäische Staaten spalten. Premier Li Keqiang gestikuliert, er spricht eindringlich und lange, es könnte eine Parteitagsrede sein. Es ist aber die Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel im Kanzleramt.
Ein Auftritt, den chinesische Staatsspitzen nicht schätzen. Fragen von Journalisten mögen sie nicht. Und obwohl Li Keqiang gerade versichert hat, dass Peking auch für die Menschenrechte sei, lobt er einen chinesischen Journalisten dafür, dass dieser nur ihm Fragen stellt – und keine der Kanzlerin. Das zeuge von Respekt vor Angela Merkel. Wenn man die Übersetzerin beim Wort nehmen kann, hat Li sogar gesagt, dass der Journalist die Kanzlerin nicht „schikanieren“wollte. Merkel ist so etwas fremd. Ihr dauert das Ganze auch schon zu lange. Jedenfalls schaut sie währenddessen mehrfach auf die Uhr.
Es ist und bleibt ein schwieriges deutsch-chinesisches Verhältnis bei allen Fortschritten, die bislang gemacht worden sind. Denn jetzt gibt es ein Problem mit den USA und deren Präsidenten Donald Trump. Er hat einen Handelsstreit angezettelt, den Peking bereits als Handelskrieg bezeichnet. Europa mittendrin. Merkel verzichtet auf jede Verbrüderung mit China. Ihre Werte sind die des Amerikas von Barack Obama. Und sie ist sicher, dass die transatlantische Partnerschaft die Präsidentschaft Trumps überdauern wird. Aber die Kanzlerin hebt jetzt das gemeinsame Bekenntnis zu Multilateralismus bei diesen fünften deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen hervor. Ausgerechnet mit Peking. Sie pocht auf ein freies und regelbasiertes Handelssystem und sorgt sich über Zölle, die gegen die Regeln der Welthandelsorganisation verstießen. Auch wenn sein Name keinmal fällt: ihre Sorge gilt der Abschottungspolitik von Donald Trump. Der Konflikt USA gegen China strahle auf alle aus, sagt sie.
Angesichts des Zollstreits liefern deutsche Exporteure verstärkt nach China. Von Januar bis Mai stiegen die deutschen Ausfuhren in die Volksrepublik laut Statistischem Bundesamt um 9,1 Prozent auf 37,1 Milliarden Euro. Im selben Zeitraum gingen die Ausfuhren in die USA um 1,9 Prozent auf 46 Milliarden Euro zurück. Merkel lobt, dass China seine Märkte geöffnet habe. Jahrelang
klagten deutsche Unternehmer, dass durch die zwingende chinesische Beteiligung an deutschen Projekten oder Niederlassungen in dem Land das geistige Eigentum gefährdet sei, also Wissen gestohlen werde.
Am Montag wurden mehr als 20 Kooperationen im Umfang von 20 Milliarden Euro vereinbart, und beschlossen wurde auch der Bau einer Batteriezellenfabrik für Elektroautos im thüringischen Erfurt. Der chinesische Hersteller Catl will dort Millionen Euro investieren. Unbehagen, wonach die Chinesen damit die Technologie zum autonomen Fahren in der Hand hielten, wischt Merkel beiseite. Sie nehme zur Kenntnis, dass Deutschland das derzeit nicht leisten könne. So sei der deutsche Markt eben an dieser Stelle für die chinesische Fähigkeit, „die wir nicht besitzen“, offen. Besser in Deutschland als anderswo in Europa.
Die Welt horchte auf, als mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping Anfang 2017 beim Weltwirtschaftsforum in Davos ausgerechnet der Führer der kommunistischen Planwirtschaft für offene Märkte und gegen die Feinde der Globalisierung kämpfte. „Protektionismus heißt, sich in einer dunklen Kammer einzuschließen. Dann bleiben zwar Wind und Regen draußen, aber auch Licht und Luft“, sagte er damals. Angesichts der „America first“-Strategie Trumps machten die Töne aus China Europäern einen Funken Hoffnung. Soll sich Trump doch in der dunklen Kammer einschließen, der Rest der liberalen Weltordnung stelle sich lieber in den Sturm und habe dafür Luft zum Atmen. Doch die Zölle, die Trump inzwischen verhängt hat, machen die Luft eher dünner. Alle Staaten haben Gegenmaßnahmen ergriffen.
Li Keqiang spricht in Berlin von einer turbulenten Welt. Und von Kooperation. Man könne nicht in allen Fragen einer Meinung sein, aber man könne Lösungen finden durch Konsultationen. Früher war das eine höfliche Formel für das deutsch-chinesische Verhältnis. Heute gilt es auch für Amerika.