Konservativer Aufstand gegen Brexit-Politik
Nach dem Rücktritt der britischen Minister Boris Johnson und David Davis verteidigt Premierministerin Theresa May ihren Kurs.
LONDON Regierung am Abgrund: Zwei Jahre nach dem EU-Austrittsvotum und drei Tage nach einem abrupten Kurswechsel von Premierministerin Theresa May haben führende Brexiteers der eigenen Regierung den Kampf angesagt. Nachdem in der Nacht zu Montag Brexit-Minister David Davis seine Demission eingereicht hatte, trat am Montagnachmittag auch Außenminister Boris Johnson zurück. May dankte beiden Ministern, teilte aber mit: „Wir sind unterschiedlicher Meinung.“
Davis (69) und Johnson (54) waren von May vor zwei Jahren ins Kabinett geholt worden und sollten eine Lösung für den Brexit finden. Er könne den Kurswechsel zu einem weicheren Brexit nicht mittragen, begründete Davis seinen Rücktritt. Die Regierungschefin brauche „einen enthusiastischen Gläubigen, keinen widerwilligen Rekruten“im Ministeramt. May ernannte den bisherigen Wohnbau-Staatssekretär Dominic Raab zu Davis‘ Nachfolger. Von Johnson war bis zum späten Montagnachmittag keine Stellungnahme zu erhalten.
Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn tadelte die Regierung für zwei Jahre „Unentschlossenheit und interne Zerstrittenheit und Chaos“. Johnson habe schon seit Monaten „eine Peinlichkeit für unser Land“dargestellt, höhnte der Fraktionschef der schottischen Nationalpartei SNP, Ian Blackford. Aus Brüssel gab EU-Ratspräsident Donald Tusk seiner Hoffnung Ausdruck, mit den beiden Ministern könne man sich auch von „der Idee des Brexit“verabschieden.
Bei einer Klausurtagung auf ihrem Landsitz in Chequers hatte die Premierministerin am Freitag ihrem Kabinett den Abschied vom harten Brexit samt Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion aufgezwungen. Angestrebt wird nun eine Kombination aus politischer Alleinstellung und wirtschaftlich enger Verflechtung mit dem Kontinent. Eine Freihandelszone soll den reibungslosen Handel mit Gütern gewährleisten; dafür müssten die „gemeinsamen Regeln“befolgt werden, heißt es in einem dreiseitigen Papier, das die Chequers-Ergebnisse skizziert. Bei Dienstleistungen wollen die Briten hingegen ihre eigenen Wege gehen. Auch könne die Personenfreizügigkeit über die bereits vereinbarte Übergangsphase bis Ende 2020 hinaus nicht aufrechterhalten werden.
Davis sowie andere EU-Feinde wie der Leiter einer Gruppe von Brexit-Ultras, Jacob Rees-Mogg, misstrauen diesen Vorstellungen. „Gemeinsame Regeln“bedeute in Wirklichkeit „EU-Regeln“, argumentiert der bisherige Brexit-Minister in seinem Rücktrittsschreiben – eine Einschätzung, die in Brüssel geteilt wird. Dort besteht zudem der Verdacht, die Briten wollten die Säulen des EU-Binnenmarktes (freier Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Geld, Personen) auseinanderbrechen. Das sei gerade mit kleineren Mitgliedstaaten wie den skandinavischen oder den Benelux-Ländern nicht zu machen, heißt es.In den Verhandlungen müsste London also auf Kompromisse eingehen. Genau dies befürchtet Davis. Die EU habe stets alle britischen Zugeständnisse verbucht, klagte der Politiker gegenüber der BBC. „Wir geben immer wieder zu schnell nach.“
Raab (44) gehört wie sein 69-jähriger Vorgänger den Brexiteers in der konservativen Fraktion und im Kabinett an. Deren prominente Vertreter wie Andrea Leadsom (Führerin des Unterhauses) oder Michael Gove (Umwelt) haben sich in Medien-Interviews demonstrativ an Mays Seite gestellt. Davis habe unrecht, teilte Leadsom am Montagmittag mit. Der neue Brexit-Plan setze das Austrittsvotum vom Juni 2016 um: „Wir gewinnen die Kontrolle über unsere Grenzen, unsere Gesetze und unser Geld zurück.“Gove nannte das Chequers-Papier „nicht perfekt, aber gut“.
Premierministerin May verteidigte im Unterhaus ihre Politik als „richtigen Brexit“. Ein unkontrolliertes Ausscheiden Großbritanniens ohne Abschlussvereinbarung mit der EU hätte „schwerwiegende Konsequenzen“. Das Land habe Besseres verdient.
Am Donnerstag muss nun der neue Minister Raab das geplante Brexit-Weißbuch im Unterhaus einbringen. Dem Vernehmen nach wird es 120 Seiten umfassen und die britischen Vorstellungen für die Verhandlungswochen skizzieren. Anschließend könnte der neue Mann anstelle von Davis dessen geplante Reise durch mehrere EU-Mitgliedsländer antreten.