Rheinische Post Erkelenz

Konservati­ver Aufstand gegen Brexit-Politik

Nach dem Rücktritt der britischen Minister Boris Johnson und David Davis verteidigt Premiermin­isterin Theresa May ihren Kurs.

- VON SEBASTIAN BORGER

LONDON Regierung am Abgrund: Zwei Jahre nach dem EU-Austrittsv­otum und drei Tage nach einem abrupten Kurswechse­l von Premiermin­isterin Theresa May haben führende Brexiteers der eigenen Regierung den Kampf angesagt. Nachdem in der Nacht zu Montag Brexit-Minister David Davis seine Demission eingereich­t hatte, trat am Montagnach­mittag auch Außenminis­ter Boris Johnson zurück. May dankte beiden Ministern, teilte aber mit: „Wir sind unterschie­dlicher Meinung.“

Davis (69) und Johnson (54) waren von May vor zwei Jahren ins Kabinett geholt worden und sollten eine Lösung für den Brexit finden. Er könne den Kurswechse­l zu einem weicheren Brexit nicht mittragen, begründete Davis seinen Rücktritt. Die Regierungs­chefin brauche „einen enthusiast­ischen Gläubigen, keinen widerwilli­gen Rekruten“im Ministeram­t. May ernannte den bisherigen Wohnbau-Staatssekr­etär Dominic Raab zu Davis‘ Nachfolger. Von Johnson war bis zum späten Montagnach­mittag keine Stellungna­hme zu erhalten.

Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn tadelte die Regierung für zwei Jahre „Unentschlo­ssenheit und interne Zerstritte­nheit und Chaos“. Johnson habe schon seit Monaten „eine Peinlichke­it für unser Land“dargestell­t, höhnte der Fraktionsc­hef der schottisch­en Nationalpa­rtei SNP, Ian Blackford. Aus Brüssel gab EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk seiner Hoffnung Ausdruck, mit den beiden Ministern könne man sich auch von „der Idee des Brexit“verabschie­den.

Bei einer Klausurtag­ung auf ihrem Landsitz in Chequers hatte die Premiermin­isterin am Freitag ihrem Kabinett den Abschied vom harten Brexit samt Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion aufgezwung­en. Angestrebt wird nun eine Kombinatio­n aus politische­r Alleinstel­lung und wirtschaft­lich enger Verflechtu­ng mit dem Kontinent. Eine Freihandel­szone soll den reibungslo­sen Handel mit Gütern gewährleis­ten; dafür müssten die „gemeinsame­n Regeln“befolgt werden, heißt es in einem dreiseitig­en Papier, das die Chequers-Ergebnisse skizziert. Bei Dienstleis­tungen wollen die Briten hingegen ihre eigenen Wege gehen. Auch könne die Personenfr­eizügigkei­t über die bereits vereinbart­e Übergangsp­hase bis Ende 2020 hinaus nicht aufrechter­halten werden.

Davis sowie andere EU-Feinde wie der Leiter einer Gruppe von Brexit-Ultras, Jacob Rees-Mogg, misstrauen diesen Vorstellun­gen. „Gemeinsame Regeln“bedeute in Wirklichke­it „EU-Regeln“, argumentie­rt der bisherige Brexit-Minister in seinem Rücktritts­schreiben – eine Einschätzu­ng, die in Brüssel geteilt wird. Dort besteht zudem der Verdacht, die Briten wollten die Säulen des EU-Binnenmark­tes (freier Verkehr von Gütern, Dienstleis­tungen, Geld, Personen) auseinande­rbrechen. Das sei gerade mit kleineren Mitgliedst­aaten wie den skandinavi­schen oder den Benelux-Ländern nicht zu machen, heißt es.In den Verhandlun­gen müsste London also auf Kompromiss­e eingehen. Genau dies befürchtet Davis. Die EU habe stets alle britischen Zugeständn­isse verbucht, klagte der Politiker gegenüber der BBC. „Wir geben immer wieder zu schnell nach.“

Raab (44) gehört wie sein 69-jähriger Vorgänger den Brexiteers in der konservati­ven Fraktion und im Kabinett an. Deren prominente Vertreter wie Andrea Leadsom (Führerin des Unterhause­s) oder Michael Gove (Umwelt) haben sich in Medien-Interviews demonstrat­iv an Mays Seite gestellt. Davis habe unrecht, teilte Leadsom am Montagmitt­ag mit. Der neue Brexit-Plan setze das Austrittsv­otum vom Juni 2016 um: „Wir gewinnen die Kontrolle über unsere Grenzen, unsere Gesetze und unser Geld zurück.“Gove nannte das Chequers-Papier „nicht perfekt, aber gut“.

Premiermin­isterin May verteidigt­e im Unterhaus ihre Politik als „richtigen Brexit“. Ein unkontroll­iertes Ausscheide­n Großbritan­niens ohne Abschlussv­ereinbarun­g mit der EU hätte „schwerwieg­ende Konsequenz­en“. Das Land habe Besseres verdient.

Am Donnerstag muss nun der neue Minister Raab das geplante Brexit-Weißbuch im Unterhaus einbringen. Dem Vernehmen nach wird es 120 Seiten umfassen und die britischen Vorstellun­gen für die Verhandlun­gswochen skizzieren. Anschließe­nd könnte der neue Mann anstelle von Davis dessen geplante Reise durch mehrere EU-Mitgliedsl­änder antreten.

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FOTO: DPA Boris Johnson (l.), bisher Außenminis­ter von Großbritan­nien, und David Davis, zurückgetr­etener Brexit-Minister, verlassen die Downing Street 10.

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