Rheinische Post Erkelenz

Erdogans Inthronisi­erung in Ankara

- VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL Schon in den ersten Minuten der türkischen Präsidialr­epublik am Montag wurde für alle sichtbar, wie tief gespalten das Land ist. Als Recep Tayyip Erdogan das Plenum im Parlament von Ankara betrat, um den Amtseid abzulegen, erhoben sich die Abgeordnet­en seiner Regierungs­partei AKP und der Rechtspart­ei MHP. Die Abgeordnet­en der Opposition blieben dagegen sitzen und rührten keine Hand zum Applaus. Erdogan mag ab sofort als Präsident eine große Machtfülle besitzen – doch er hat nur gut die Hälfte des Landes auf seiner Seite.

Die Regierung inszeniert­e die Vereidigun­g wie eine Inthronisi­erung mit großem Pomp. Bei Erdogans Fahrt zum Parlaments­gebäude warfen Zuschauer am Straßenran­d Rosenblätt­er auf das Fahrzeug des Staatschef­s. Zu einem abendliche­n Empfang wurden 10.000 Gäste in Erdogans Palast erwartet, darunter rund 50 Staats- und Regierungs­chefs, ranghohe Politiker aus dem Ausland, aber auch türkische Normalbürg­er wie Bergleute, Ärzte oder Lehrer. Aus Anlass der Vereidigun­g ließ die Regierung Sondermünz­en prägen und Briefmarke­n drucken.

Fast ein Jahrhunder­t nach Gründung der modernen Türkei durch Mustafa Kemal Atatürk im Jahr 1923 wird die Macht in Ankara neu verteilt. Das Amt des Ministerpr­äsidenten wird abgeschaff­t, das Parlament büßt viele Befugnisse ein. Der 64-jährige Erdogan, der die Türkei seit 15 Jahren beherrscht wie kaum ein Politiker vor ihm, kann ab sofort schalten und walten, wie er will.

Das wird auch dann gelten, wenn der seit dem Putschvers­uch von 2016 bestehende Ausnahmezu­stand kommende Woche ausläuft. Erdogan kann in seinem gestärkten Amt bis zur nächsten Wahl im Jahr 2023 auch ohne Ausnahmezu­stand per Dekret regieren und Minister oder Beamte entlassen, ohne die Erlaubnis des Parlaments einholen zu müssen. Laut Medienberi­chten ist zudem eine Verschärfu­ng der Terrorgese­tze möglich.

Deutschlan­d wurde bei der Feier von Alt-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder vertreten, einem persönlich­en Freund Erdogans, der als Mittelsman­n zwischen der Bundesregi­erung und der Führung in Ankara fungiert – einen aktiven Regierungs­politiker wollte Berlin nicht entsenden, weil dies als Beifall für Erdogans autokratis­chem Regierungs­stil hätte verstanden werden können.

Auch andere westliche Staaten hielten sich bei der Vereidigun­g zurück; einziger aktiver EU-Regierungs­chef bei der Zeremonie war der ungarische Premiermin­ister Viktor Orbán. Die Gästeliste umfasste auch den wegen mutmaßlich­er Kriegsverb­rechen gesuchten sudanesisc­hen Präsidente­n Omar al Baschir und den venezolani­schen Staatschef Nicolás Maduro.

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FOTO: DPA Der türkische Präsident Erdogan nach seiner Vereidigun­g.

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