Erdogans Inthronisierung in Ankara
ISTANBUL Schon in den ersten Minuten der türkischen Präsidialrepublik am Montag wurde für alle sichtbar, wie tief gespalten das Land ist. Als Recep Tayyip Erdogan das Plenum im Parlament von Ankara betrat, um den Amtseid abzulegen, erhoben sich die Abgeordneten seiner Regierungspartei AKP und der Rechtspartei MHP. Die Abgeordneten der Opposition blieben dagegen sitzen und rührten keine Hand zum Applaus. Erdogan mag ab sofort als Präsident eine große Machtfülle besitzen – doch er hat nur gut die Hälfte des Landes auf seiner Seite.
Die Regierung inszenierte die Vereidigung wie eine Inthronisierung mit großem Pomp. Bei Erdogans Fahrt zum Parlamentsgebäude warfen Zuschauer am Straßenrand Rosenblätter auf das Fahrzeug des Staatschefs. Zu einem abendlichen Empfang wurden 10.000 Gäste in Erdogans Palast erwartet, darunter rund 50 Staats- und Regierungschefs, ranghohe Politiker aus dem Ausland, aber auch türkische Normalbürger wie Bergleute, Ärzte oder Lehrer. Aus Anlass der Vereidigung ließ die Regierung Sondermünzen prägen und Briefmarken drucken.
Fast ein Jahrhundert nach Gründung der modernen Türkei durch Mustafa Kemal Atatürk im Jahr 1923 wird die Macht in Ankara neu verteilt. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft, das Parlament büßt viele Befugnisse ein. Der 64-jährige Erdogan, der die Türkei seit 15 Jahren beherrscht wie kaum ein Politiker vor ihm, kann ab sofort schalten und walten, wie er will.
Das wird auch dann gelten, wenn der seit dem Putschversuch von 2016 bestehende Ausnahmezustand kommende Woche ausläuft. Erdogan kann in seinem gestärkten Amt bis zur nächsten Wahl im Jahr 2023 auch ohne Ausnahmezustand per Dekret regieren und Minister oder Beamte entlassen, ohne die Erlaubnis des Parlaments einholen zu müssen. Laut Medienberichten ist zudem eine Verschärfung der Terrorgesetze möglich.
Deutschland wurde bei der Feier von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder vertreten, einem persönlichen Freund Erdogans, der als Mittelsmann zwischen der Bundesregierung und der Führung in Ankara fungiert – einen aktiven Regierungspolitiker wollte Berlin nicht entsenden, weil dies als Beifall für Erdogans autokratischem Regierungsstil hätte verstanden werden können.
Auch andere westliche Staaten hielten sich bei der Vereidigung zurück; einziger aktiver EU-Regierungschef bei der Zeremonie war der ungarische Premierminister Viktor Orbán. Die Gästeliste umfasste auch den wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gesuchten sudanesischen Präsidenten Omar al Baschir und den venezolanischen Staatschef Nicolás Maduro.