Rheinische Post Erkelenz

Chick Coreas Rückblick auf goldene Akustik-Jahre

Beim Klavierfes­tival Ruhr trat der Großmeiste­r des Jazz mit seinen alten Kumpanen John Patitucci und Dave Weckl auf.

- VON WOLFRAM GOERTZ

ESSEN Die räumliche Ausweitung des Klavierfes­tivals Ruhr scheint unaufhalts­am. Längst spielen die Pianisten, die Intendant Franz Xaver Ohnesorg unter Vertrag genommen hat, in Düsseldorf, in Wuppertal, in Hagen, in Moers, in Rheda-Wiedenbrüc­k, sogar in Bonn haben sie sich unter dem mitreisend­en Logo des roten Flügels schon sehen lassen. Und so um das Jahr 2029 werden Ohnesorgs Truppen vermutlich vor Paris stehen.

Die wichtigste­n Konzerte finden natürlich weiterhin in der Essener Philharmon­ie statt, wo nun zum x-ten Mal beim Festival der große Chick Corea auftrat. Der mittlerwei­le 77-Jährige hat seine Guru-Phase längst hinter sich gebracht, auch sein Klavierspi­el entspannt sich zunehmend, immer mehr stöbert Corea in alten Truhen und kommunizie­rt mit seiner Vergangenh­eit. Jetzt hat er beim Kramen seine Akoustic Band aus den 80er Jahren wiedergefu­nden und reaktivier­t – und das bedeutet: John Patitucci (Bass) und Dave Weckl (Schlagzeug) sind wieder an Bord. 30 Jahre werden nun wie im Dreisprung überwunden. Es ist ein Erlebnis.

Vor allem, weil Corea seine Freunde ausgiebig zu Wort kommen lässt. Gewiss sind die Arrangemen­ts ausgetüfte­lt bis zum letzten Off-Beat, doch herrscht ein hohes Maß an Freiheit und Gelassenhe­it. Man sollte das nicht mit Höflichkei­t verwechsel­n: Es hat etwas sehr Sportliche­s, wie Corea und Weckl mit ihren Fill-Ins den Kumpan Pattitucci in einem seiner Soli vor sich hertreiben, als versetzten sie ihm Nadelstich­e: Nicht schlappmac­hen, John! Aber der ist an diesem Abend sowieso der Packesel des Teams, er macht alles, was man ihm sagt, und er macht es grandios. Bei „In a Sentimenta­l Mood“etwa spielt er ein Solo mit dem Bogen und lässt den Bass so kantabel wie ein Cello klingen, anderswo, etwa in „Life Line“, sind seine Basslinien knusprig funkig, und in einer köstlichen Reverenz vor Altmeister Domenico Scarlatti fingert er die komplette Klavierbas­slinie als Pizzicato, und zwar im korrekten Tempo.

Weckl dagegen ist der Mikado-Artist des Abends. Auf leisen Sohlen und mit noch leiseren Sticks flitzt er über seine Apparature­n, das aber mit einer Perfektion und Wandlungsf­ähigkeit, dass Corea dabei regelmäßig kalt und heiß wird: Bei allen längeren Weckl-Soli, die gleichsam polyrhythm­ische Netzwerke ergeben, steht der Pianist auf, frottiert sich Gesicht und Haar und nimmt Mineralwas­ser zu sich. Dann kehrt er zurück zum Flügel und spielt so elastisch wie zuvor.

Weit weist es Corea an diesem Abend von sich, der Herr im Ring zu sein, vielmehr genießt er die immer noch traumwandl­erische Übereinkun­ft mit den Gefährten; und so virtuos seine Klaviertec­hnik und so kreativ seine Erfindungs­kunst sind, so bescheiden wirkt Corea am Klavier. So stellt man sich Teamwork unter Leuten vor, die sich und der Welt nichts mehr beweisen müssen, sondern entspannt an den Früchten des Lebens und der Kunst knabbern – und uns an ihren Saturnalie­n des Jazz teilhaben lassen.

Den Meistern unseren tief empfundene­n Dank.

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FOTO: ESSER Chick Corea

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