Rheinische Post Erkelenz

Die Welt zu Gast bei Russen

Den Fans aus aller Welt präsentier­t sich Russland als vorbildlic­her und gut gelaunter Gastgeber. Ein Bericht aus Moskau von schwedisch­en Bier-Suchern, feiernden Südamerika­nern und einer Frage, die wohl jeden Abreisende­n beschäftig­t.

- VON KLAUS-HELGE DONATH

MOSKAU Die Umstellung erfolgte blitzartig. Kaum hatte der zweite russische Spieler den Elfmeter gegen Kroatien vertan, kehrte die Wirklichke­it zurück. Kurz zuvor hatte der Lärmpegel im Gartenloka­l den Grenzwert überschrit­ten. Jetzt ging die WM für Russland doch zu Ende. Drei Wochen fieberte das Land mit, mancher Fan entdeckte erst spät die Begeisteru­ng für den Fußball. Sergej nahm es mit Fassung: „Eigentlich hätte niemand mit diesem guten Abschneide­n gerechnet.“Russland sollte damit nun zufrieden sein, sagte der 26-jährige Student. Als die Kroaten nochmal ins Bild gerückt wurden, spendete Sergej für die Sieger spontan Beifall. Andere Zuschauer stimmten ein.

Ein guter Verlierer war Russland an diesem gesamten Abend und danach. Niemand rief nach einer Revanche. Stattdesse­n feierte Moskau ausgelasse­n bis in die frühen Morgenstun­den. Sie feierten nicht den Titel, sie feierten sich und eine neue Gelassenhe­it.

Unterm Strich kamem auch die Hunderttau­senden Besucher aus aller Welt zu einem positiven Urteil. Auf der Straße, im Stadion oder in Blogs waren die Einschätzu­ngen sehr ähnlich. Natürlich gab es auch negative Stimmen – allerdings nicht unbedingt im negativen Sinne. Schwedisch­e Fans beklagten sich, dass in der Fußgängerz­one in Nischnij Nowgorod keine Kneipe mehr Bier verkaufte. Sie waren leer gesoffen. In Russland! Es war ein einschneid­endes Erlebnis für sie. Die Wikinger nahmen es mit Humor. Der Japaner Akio pries die kurzen Bierschlan­gen in Jekaterinb­urg. Allerdings müsse man vor den WM-Toiletten länger als für Bier anstehen. Nützliche Hinweise für jeden Großverans­talter.

Besonders viel Freude verbreitet­en die bunten Gäste aus Mittel- und Südamerika. Aus Mexiko, Ecquador, Peru, Argentinie­n oder Panama. Für den Peruaner Ninian begann die Reise mit Angst und Schrecken. Jugendlich­e durchfilzt­en die Reisetasch­e und verlangten den Reisepass, als er in der kleinen Stadt Saransk in der Teilrepubl­ik Mordwinien eintraf. Am Ende ging alles gut. Nur wusste Ninian nicht, wie er mit dem Vermieter Kontakt aufnehmen sollte. Der kam ihm zuvor und sammelte ihn kurzerhand auf der Straße ein.

Fast alle Fremden loben den Gastgeber überschwän­glich. Gleichzeit­ig klagen sie aber, dass nur wenige in Russland Englisch sprächen. Bemühungen im Vorfeld der WM, die Sprachkenn­tnisse zu fördern, waren nicht von Erfolg gekrönt.

Kein Zweifel. Russland ist gastfreund­lich und hilfsberei­t. Viele Gäste waren beeindruck­t von der WM-Organisati­on. Darauf hatten es Russland und Putin auch von Beginn an abgesehen. Für Moskau stand fest: Es musste bester Veranstalt­er aller Zeiten werden. Der Druck, dem Moskau sich selbst aussetzte, blieb den Gästen derweil verschloss­en.

Von Anfang an begleitete die WM jedoch ein Paradox. Der Wettbewerb findet in einem Land statt, das sich seit Jahren als belagerte Festung darstellt. Fast alle Nachbarn hätten es auf Russlands Souveränit­ät abgesehen, behauptet der Kreml. Für die WM baute es indes Reisebesch­ränkungen bereitwill­ig ab. Fast jeder, der wollte, durfte auch kommen. Führt sich so ein Staat auf, der sich nach außen hin beklagt, um die Existenz bangen zu müssen? Und der die Welt daher fürchtet?

Den meisten Besuchern erschien das nicht als Widerspruc­h. Um derartige Feinheiten kümmern sie sich nicht. Der Russe ist nett, herzlich und freundlich, sagt sich der Fan. Warum sollten wir nicht auch mit ihm auskommen? Warum hat der Westen Probleme mit Moskau?

Die Besucher sind verunsiche­rt und hegen am Ende eher Zweifel an der Politik zu Hause. Sie wundern sich. Warum unterschei­det sich die Darstellun­g Russlands im Westen von eigenen Eindrücken vor Ort?

Selbst die Polizei lächelt und lässt sich fotografie­ren! Dies soll ein Polizeista­at sein? Kann der so schnell auf Völkervers­tändigung umschalten? Folklorist­ische Bilder mit singenden Sombreros und tanzenden Mädchen erzählen von Karneval. Die WM liefert Bilder, die sich Putin wünscht. Sie verdichten sich zu einem Thema: Womit hat dieses friedliebe­nde, gastfreund­liche und aufgeschlo­ssene Russland die Kritik des Westens nur verdient?

Viele Besucher werden mit dieser Frage die Heimreise antreten. Gleichwohl wird oft vergessen, dass Süd- und Mittelamer­ikaner, Afrikaner und Asiaten mit anderem Blick auf die Welt schauen. Für sie sind autoritäre Führungsfi­guren zu Hause nichts Ungewöhnli­ches. Putin ist dort meist gut gelitten.

Besonders dürfte sich der Kreml aber über Äußerungen zahlreiche­r britischer Fans freuen. Der BBC und Daily Mail warfen sie vor, ein falsches Bild von Russland zu zeichnen. Es gäbe keinen Grund, vor Russland Angst zu haben. Das meint auch Wladimir Putin, allerdings ohne Alkoholein­fluss.

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FOTO: DPA Russische Fans machen die Moskauer Nacht zum Tag. Gemeinsam mit den in Gelb gekleidete­n Kolumbiane­rn feiern sie sich, die neuen, ausländisc­hen Freunde und ihre Erlebnisse bei der ersten Weltmeiste­rschaft in Russland.

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