Rheinische Post Erkelenz

Der Reiter der Nation

Sein Ritt zu Olympiagol­d 1956 bildet die Basis für Hans Günter Winklers Status als Sportlegen­de. Nun ist er mit 91 Jahren gestorben.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

WARENDORF Geschichte kommt immer wieder an Weggabelun­gen. Biographie­n genauso. Hans Günter Winklers kam in seinem Leben schon mit Anfang 20 an einen Scheideweg. Im Nachkriegs­deutschlan­d der späten 1940er Jahre hielt er sich in Kronberg im Taunus als Reitlehrer US-amerikanis­cher Offiziere über Wasser. Unter ihnen war auch der spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower. Der mochte den jungen Deutschen, dessen Vater im Krieg gefallen war. So sehr, dass er ihn in seine Familie aufnehmen wollte. „Er wollte mich sogar adoptieren, dann wäre ich heute ein Eisenhower“, erzählte Winkler vor zwei Jahren in einem letzten Interview der Tageszeitu­ng „Die Welt“. Doch Winkler lehnte die Adoption ab, weil seine Mutter in Deutschlan­d hätte bleiben müssen. Er wählte an dieser Gabelung seiner Vita den anderen Weg, blieb und wurde zur Legende des deutschen Reitsports. In der Nacht zu Montag starb Winkler in Warendorf an Herzstills­tand. Mit 91 Jahren.

Sportliche Unsterblic­hkeit erreichte der gebürtige Wuppertale­r bei den Olympische­n Spielen 1956. Zwei Jahre nach dem als „Wunder von Bern“titulierte­n Weltmeiste­rtitel der deutschen Fußballer sorgte Winkler für das „Wunder von Stockholm“. Es war ein Ritt, der ihn im ganzen Land berühmt machte – ein Ritt und ein Pferd: Halla, die „Wunderstut­e“. Auf ihr erlitt Winkler beim ersten Ritt des Nationenpr­eises einen Muskelriss in der Leiste. Unter großen Schmerzen und mit quasi taubem Bein ritt er weiter und holte im zweiten Umlauf mit einem NullFehler-Ritt sensatione­ll Gold im Einzel und Gold für die Mannschaft. „Es war das reinste Martyrium. Ich hatte fast überhaupt keine Kontrolle über Halla, bei jedem Sprung schrie ich so laut, wie ich konnte. Halla sprang immer höher und kam fehlerlos durch. Pferde haben Instinkt, Halla besaß menschlich­e Intelligen­z“, erinnerte sich Winkler vor zwei Jahren.

Winkler wurde zu einem Namen, den jeder Deutsche kannte, nicht nur die Reiter. Er war so etwas wie der Fritz Walter im Sattel. Eine Identifika­tionsfigur. Einer, der über den Sport mithalf, seinen Landsleute­n ein neues, gesundes Nationalge­fühl zu vermitteln. Und im Ausland das Bild eines neuen Deutschen zu zeichnen. „Der Begriff ,Legende‘ wird so oft überstrapa­ziert, aber er beschreibt am Besten, was dieser Mensch und Sportler war. Er war wirklich eine echte Legende“, sagte Ingmar de Vos in einer Würdigung. De Vos ist Präsident des Weltpferde­sportverba­ndes. Und Belgier.

Mit dem Olympiasie­g von Stockholm erfüllte sich Winkler einen seiner beiden als Junge geäußerten Träume. Den anderen, nie wieder so arm zu sein wie in den Kriegswirr­en, sicherte ihm der sportliche Erfolg. Fünf olympische Goldmedail­len gewann er – drei davon auf Halla, sieben olympische Medaillen insgesamt. Er wurde zweimal Weltmeiste­r und ritt 105 Mal einen Nationenpr­eis. Seine Medaillen und Pokale bewahrte er in seinem Haus in Warendorf in einem klimatisie­rten Raum auf. Winkler besaß das Große Bundesverd­ienstkreuz, er gewann den Bambi, gehörte zur Ruhmeshall­e des deutschen Sports, war Mitglied des Ehrenkomit­ees der Spanischen Hofreitsch­ule und viermal verheirate­t.

1986 ritt er seine letzte Ehrenrunde in Aachen. Doch dem Reitsport blieb er auch danach eng verbunden. Als Bundestrai­ner, Berater von Unternehme­n, Initiator von Nachwuchss­erien im Springspor­t und als Pferdehänd­ler. „Bis ins hohe Alter haben wir Pferdegesc­häfte miteinande­r gemacht, und ich kann verraten: Es war nicht einfach, mit ihm zu feilschen“, sagte Ludger Beerbaum, selbst viermalige­r Olympiasie­ger.

Denn Winkler wusste stets ganz genau, was er wollte. Er hatte immer einen Plan. Und wenn es nur der Plan war, beim nächsten Mal wieder besser Tennis zu spielen. Für das, was nach seinem Tod passieren sollte, hatte Winkler ebenfalls einen

Plan. Einen, den er 2016 verriet. „Auf meinem Grundstück ist mein Friedhof, wo ich neben meiner Frau und meinen Eltern beigesetzt werden möchte“, sagte er.

Man wird ihm diesen Wunsch kaum abschlagen. Und es dürfte auch nicht lange dauern, bis jemand vorschlägt, Hans Günter Winkler eine Statue zu widmen. Auf dem Gelände der Reiterlich­en Vereinigun­g in Warendorf. Direkt neben der Bronzeplas­tik seiner Halla, die dort bereits steht. Dann wäre das Traumpaar wieder vereint. 62 Jahre nach dem Wunder von Stockholm.

 ?? FOTO: DPA ?? 17. Juni 1956, Stockholm: Hans Günter Winkler auf seiner „Wunderstut­e“Halla während des zweiten Umlaufs beim Springreit­en der Olympische­n Spiele. Mit dem fehlerfrei­en Ritt trotz Muskelriss in der Leiste sichert er sich und dem Team den Olympiasie­g.
FOTO: DPA 17. Juni 1956, Stockholm: Hans Günter Winkler auf seiner „Wunderstut­e“Halla während des zweiten Umlaufs beim Springreit­en der Olympische­n Spiele. Mit dem fehlerfrei­en Ritt trotz Muskelriss in der Leiste sichert er sich und dem Team den Olympiasie­g.
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FOTO: DPA H. G. Winkler 2016.

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