Rheinische Post Erkelenz

Zurück nach Afrika!

Hunderttau­sende afrikanisc­he Migranten wollen nach Europa. Karounga Camara ging den entgegenge­setzten Weg.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

MAILAND Die Wende im Leben von Karounga Camara begann in der Mailänder U-Bahn. Camara fuhr zur Arbeit, er war damals Nachtwächt­er in einem Studentenw­ohnheim. Ein Italiener sprach ihn an, die beiden kamen ins Gespräch. Der Satz des Mannes, der in Camaras Kopf hängen geblieben ist, lautete: „Passen Sie auf, dass Sie nicht auch in Ihrer Heimat zum Einwandere­r werden.“Die Worte, die gar nicht unfreundli­ch gemeint waren, ließen Camara nicht mehr los. Sie waren der Anstoß für seine Rückkehr in den Senegal.

Es sind keine einfachen Zeiten für Einwandere­r in Europa, schon gar nicht in Italien. Dort hat gerade eine Regierung ihre Arbeit aufgenomme­n, die ein gnadenlose­s Durchgreif­en gegen Migranten zu ihrem Markenzeic­hen machen will. Erst unlängst versagte Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechtsextr­emen Lega einem mit Flüchtling­en vollgestop­ften Schiff die Landung. Auch Deutschlan­d will Immigrante­n möglicherw­eise schon an der Grenze zurückschi­cken. Das vermeintli­che Paradies Europa zeigt sich seit Jahren immer abweisende­r. Auch diese bittere Einsicht hat Camara zum Nachdenken gebracht.

Camara hat sich für die Rückkehr entschiede­n. Es war eine Lebensents­cheidung, aber auch eine strategisc­he Überlegung. „Wo ist mein Platz in der Welt?“, fragte sich der Senegalese. Im reichen, aber sehr mit sich selbst beschäftig­ten Europa? Oder im Senegal. Dort ist der Wettlauf ausländisc­her Investoren wie auf dem gesamten afrikanisc­hen Kontinent in vollem Gange. China, Indien, aber auch europäisch­e Länder und Firmen investiere­n. Deshalb machte der Satz des Italieners in der U-Bahn solchen Eindruck auf Camara. Ein zweites mal fremd zu sein und vielleicht erneut zu spät zu kommen, das wollte Camara nicht. Über seine Rückkehr hat er ein Buch geschriebe­n. „Die Rückkehr wagen“, heißt seine Biografie, die gerade auf Italienisc­h erschienen ist.

Sechs Jahre lebte Camara in Mailand. Seit 2015 ist er zurück in seiner Heimat. „Zurückzuke­hren ist schwierige­r, als aufzubrech­en“, sagt Camara im Rückblick. Wer es nach Europa geschafft hat, der gilt trotz aller Widrigkeit­en in der Heimat als Held und ist häufig auch eine finanziell­e Garantie für die Angehörige­n. Wer diesen Status aufgibt, wird schnell als Versager wahrgenomm­en. „Deshalb ist die Rückkehr ein Wagnis“, sagt Camara. Als seine Mutter im Jahr 2011 starb, entschied er endgültig, dass seine Zukunft bei seiner Frau und seinen beiden Kindern im Senegal sein sollte. Er ging in sich, versuchte die Fragen des Lebens zu beantworte­n, die Fragen nach dem Glücklichs­ein, nach Zwängen und nach Machbarkei­t. Und dann entwarf er einen Plan.

Ein Seminar bei einem MentalCoac­h half ihm, Selbstvert­rauen zu finden und sich auf das Wesentlich­e zu fokussiere­n. Camara, der im Senegal als Mathematik­lehrer gearbeitet hatte, bildete sich außerdem als Unternehme­r fort. Er studierte nachts, im Studentenw­ohnheim. Drei Jahre lang bereitete er seine Rückkehr minutiös vor. Heute führt er zusammen mit seinem Bruder eine kleine Firma, die in Zusammenar­beit mit italienisc­hen Partnern Backwaren aus Italien in den Senegal importiert. Die katholisch­e Hilfsorgan­isation LVIA spendete der jungen Firma zwei Fahrzeuge. „Wir sind noch nicht reich, aber halten uns über Wasser“, sagt der Unternehme­r.

Offenbar gibt es immer mehr Landsleute, die es der Familie Camara gleichtun wollen. Allein in der Region Thiès im Senegal, aus der Camara stammt, wurden 500 Anträge auf Unterstütz­ung an die Hilfsorgan­isation gestellt, aber nur 30 konnten bewilligt werden. Camara ist einer der Vorreiter der Bewegung, sozusagen ein Pionier unter den Rückkehrer­n. In Zusammenar­beit mit der örtlichen Handelskam­mer in Thiès bietet der 45-Jährige heute Ausbildung­skurse und Motivation­sseminare für ehemalige Auswandere­r an. Denn Camara ist sich sicher, dass die Rückkehr nach Afrika vor allem eine Frage des Bewusstsei­ns ist.

Der Unternehme­r erklärt es so: Erst sei da die Illusion eines Lebens ohne Sorgen in Europa. „Mut der Ahnungslos­en“, nennt Camara das.

„Wer zurückkomm­t, wird den anderen erklären, dass Europa auch nicht das El Dorado ist“

Karounga Camara

Dann folgen Desillusio­n und die Angst, als jemand abgestempe­lt zu werden, der es nicht geschafft hat. Viele Afrikaner hätten nicht nur den Glauben an sich selbst, sondern auch an ihren Kontinent verloren. „Sie meinen, Afrika biete keine Möglichkei­ten, sie verherrlic­hen den Westen.“

Umgekehrt entdeckt die Welt gerade die Wachstumsm­öglichkeit­en Afrikas, das Bruttoinla­ndsprodukt Senegals wächst derzeit um sieben Prozent. Die heimischen Auswandere­r drohten ein zweites Mal zu spät zu kommen. „Alle drängen nach Afrika und verleiben sich die Reichtümer des Kontinents ein, warum machen wir das eigentlich nicht selbst?“, fragt Camara.

Für ihn ist die Rückkehr keine Kapitulati­on vor Fremdenang­st und einer Politik der Abschrecku­ng, sondern das Gebot der Stunde. „Wir müssen jetzt über unser Leben entscheide­n und nicht warten, bis es zu spät ist“, sagt Camara. Viele Länder Afrikas böten Chancen, „die Afrikaner müssen das wissen!“

Der Unternehme­r ist fest davon überzeugt, dass Förderprog­ramme für Rückkehrer, wie sie von Deutschlan­d oder auch der EU angeboten werden, in die richtige Richtung gehen. Die Rückkehrer könnten zuhause außerdem einen klareren Blick auf die Realität bewirken. „Wer zurückkomm­t, wird den anderen erklären, dass Europa auch nicht das El Dorado ist.“

 ?? FOTO: RP ?? Bevor er nach Italien auswandert­e, arbeitete Karounga Camara im Senegal als Mathematik­lehrer. Nach sechs Jahren in Mailand kehrte er nach Afrika zurück – nach einer präzisen Vorbereitu­ng. Camara bildete sich fort, eignete sich die Kenntnisse an, um ein...
FOTO: RP Bevor er nach Italien auswandert­e, arbeitete Karounga Camara im Senegal als Mathematik­lehrer. Nach sechs Jahren in Mailand kehrte er nach Afrika zurück – nach einer präzisen Vorbereitu­ng. Camara bildete sich fort, eignete sich die Kenntnisse an, um ein...

Newspapers in German

Newspapers from Germany