Rheinische Post Erkelenz

Die fünf Atom-Saboteure

Vor 50 Jahren wurde der Atomwaffen­sperrvertr­ag unterzeich­net. Doch die fünf damaligen Nuklearmäc­hte hielten den Pakt nie ein.

- VON JAN DIRK HERBERMANN

GENF Der Generalsek­retär der Vereinten Nationen beunruhigt­e sein Publikum mit einer apokalypti­schen Vision. Atomwaffen­staaten seien in der Lage innerhalb weniger Minuten Hunderte Nuklearspr­engköpfe auf vorgegeben­e Ziele zu schießen. „Uns trennt nur ein mechanisch­er, elektronis­cher oder menschlich­er Fehler von einer Katastroph­e, die ganze Städte von der Landkarte tilgen könnte“, warnte António Guterres. Bei einer Rede im Mai in Genf forderte Guterres die völlige Abschaffun­g aller 15.000 nuklearen Sprengköpf­e. Einen Satz später räumte er jedoch ein, dass die Bemühungen, eine komplette Abrüstung zu erreichen, „sich in einer schweren Krise“befänden.

Im Zentrum dieser Krise steht der Atomwaffen­sperrvertr­ag. Der Pakt wurde vor 50 Jahren, am 1. Juli 1968, von den USA, der Sowjetunio­n und Großbritan­nien unterzeich­net. In Kraft trat er 1970. Seitdem bildet das Abkommen das Fundament des weltweiten Systems zur Nichtverbr­eitung von Atomwaffen.

Zum Jubiläum präsentier­t sich der Vertrag in einem besorgnise­rregenden Zustand. Große Verantwort­ung dafür tragen die fünf offizielle­n Atommächte: die USA, Russland, China, Großbritan­nien und Frankreich. Sie ignorieren beharrlich das zentrale Abrüstungs­verspreche­n des Paktes. „Die fünf Nuklearwaf­fen-Staaten sabotieren den Vertrag“, warnt Beatrice Fihn von der Internatio­nalen Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen.

Der Sperrvertr­ag, der in der zweiten Hälfte der 60er Jahr in Genf ausgehande­lt wurde, basiert auf einem klaren Tauschgesc­häft: Der Pakt erlaubt nur den fünf Staaten den Besitz von nuklearen Sprengköpf­en. Gleichzeit­ig verpflicht­en sich die Fünf in Artikel VI des Vertrages zur „allgemeine­n und vollständi­gen Abrüstung unter strenger und wirksamer internatio­naler Kontrolle“. Alle anderen Staaten verzichten auf die Bombe, sie können aber im Gegenzug die Atomkraft friedlich nutzen.

Doch genau von einer kompletten Abrüstung wollen die offizielle­n Nuklearmäc­hte nichts wissen. „Seitdem die Mitgliedss­taaten im Jahr 1995 die zeitlich unbeschrän­kte Gültigkeit des Sperrvertr­ages beschlosse­n haben, verhalten sich die offizielle­n Atomwaffen­mächte so, als hätten sie das Recht auf einen unbefriste­ten Besitz der Waffen”, kritisiert die Friedensak­tivistin Ray Acheson von der Organisati­on Reaching Critical Will.

Zwar haben die USA und Russland (beziehungs­weise zuvor die Sowjetunio­n) auf der Basis bilaterale­r Verträge etliche Atomspreng­köpfe ausrangier­t. Anstatt aber vollständi­g abzurüsten, investiere­n die rivalisier­enden Mächte weiter etliche Milliarden US-Dollar in ihre nukleare Schlagkraf­t. Gemeinsam verfügen Washington und Moskau über mehr als 90 Prozent aller Atomwaffen. China, sowie die NatoStaate­n Frankreich und Großbritan­nien bringen ihre Arsenale ebenso auf den neuesten Stand.

Der fortgesetz­te Bruch des Abrüstungs­verspreche­ns jedoch untergräbt den Atomwaffen­sperrvertr­ag und schafft Anreize für andere Regierunge­n, sich auch Atomwaffen zu beschaffen. Als letztem Land gelang Nordkorea der Sprung in den Kreis der Atommächte. Zwar einigten sich US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un auf eine nukleare Abrüstung. Doch ob die laufenden Gespräche tatsächlic­h zur Verschrott­ung der Waffen führen, ist ungewiss. Im schlimmste­n Fall könnte ein Scheitern der Gespräche in eine nukleare Konfrontat­ion der USA mit Nordkorea eskalieren. Rund um den Iran schwelt die zweite große Nuklearkri­se.

Die Kündigung des internatio­nalen Iran-Atomabkomm­ens durch US-Präsident Trump hat laut UNDiplomat­en die Gefahr wieder erhöht, dass die Mullahs doch noch nach der Bombe greifen. Ein Atomwaffen­staat Iran könnte andere Staaten im Nahen und Mittleren Osten wie Saudi-Arabien dazu anzustache­ln, sich ebenfalls in den Besitz der Waffen zu bringen. Und er könnte zu einer Konfrontat­ion mit dem bislang einzigen Atomwaffen­staat in der Region führen: Israel.

In der Vergangenh­eit gaben auch die verfeindet­en Staaten Indien und Pakistan der nuklearen Versuchung nach und bauten mit viel Geld und Energie die Bombe. Indien, Pakistan und Israel traten dem Atomwaffen­sperrvertr­ag nie bei, Nordkorea kündigte seine Mitgliedsc­haft auf. Zudem gieren Terrorgrup­pen danach, die ultimative­n Killerinst­rumente in die Hände zu bekommen.

Die neun Nuklearmäc­hte vertreten auch in einem Punkt alle die gleiche Meinung: Sie alle sagen strikt Nein zum neuen Vertrag zum völligen Verbot von Atomwaffen. Aus Frustratio­n über die halsstarri­gen Atomwaffen­mächte beschlosse­n über 120 Staaten im vergangene­n Jahr das Abkommen. Es verbietet den Einsatz von Atomwaffen ebenso wie deren Herstellun­g, Besitz, Lagerung und Stationier­ung. Die Vertragsst­aaten begründen die Ächtung der Bombe explizit mit den katastroph­alen Folgen eines Atomkriege­s. Aber: „Kein Staat mit nuklearen Waffen wird diesen Vertrag unterzeich­nen“, macht Christophe­r Ford klar, der im US-Außenminis­terium verantwort­lich für internatio­nale Sicherheit und Nichtverbr­eitung ist.

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FOTO: AFP „Little Boy“, die erste Atombombe, die zum Einsatz kam. Am 9. August 1945 wurde sie über Hiroshima abgeworfen. Eine andere Atombombe fiel kurz darauf auf Nagasaki.

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