Rheinische Post Erkelenz

Brexit-Machtkampf: Warten auf den nächsten Sturm

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LONDON (dpa) Nach mehreren Ministerrü­cktritten ist bei der Regierung in London am Dienstag etwas Ruhe eingekehrt. Doch mit Spannung wurde darauf gewartet, ob sich Ex-Außenminis­ter Boris Johnson zu Wort melden würde. Wird er Premiermin­isterin Theresa May noch einmal herausford­ern?

Mit einer Misstrauen­sabstimmun­g gegen May wurde aber nicht mehr gerechnet. Demonstrat­iv twitterte die Premiermin­isterin ein Gruppenfot­o vom Kabinettst­isch mit lächelnden Gesichtern. Unerwartet­en Zuspruch bekam Johnson von der anderen Seite des Atlantiks. US-Präsident Donald Trump bezeichnet­e Johnson kurz vor seiner Abreise zum Nato-Gipfel in Brüssel als Freund. „Er hat mich sehr, sehr unterstütz­t und war sehr nett zu mir. Vielleicht werde ich mit ihm reden, wenn ich da drüben bin.“Am Donnerstag wird Trump in Großbritan­nien erwartet. Nicht so vorteilhaf­t äußerte er sich über May. Auf die Frage eines Journalist­en, ob sie zurücktret­en sollte, sagte er: „Ich komme sehr gut mit ihr aus. Das ist natürlich Sache des Volks.“

Die Premiermin­isterin zeigte sich bei einem Gottesdien­st in der Westminste­r Abbey zum 100. Jahrestag der Gründung der britischen Luftwaffe Royal Air Force selbstbewu­sst. Sie trug einen Fascinator – einen modischen Kopfschmuc­k mit Federn, wie er gerne zum Pferderenn­en in Ascot getragen wird. Viele glauben, dass Mays politische Zukunft nun vor allem von der Reaktion der EU auf ihre jüngsten Brexit-Pläne abhängt.

Am Donnerstag sollen Details zu den Plänen präsentier­t werden, dann will sich Brüssel äußern. Erste Reaktionen waren zurückhalt­end. Kaum vorstellba­r, dass May in Brüssel ohne weitere Zugeständn­isse auf Erfolg bei den Brexit-Gesprächen hoffen kann. „Ein Land, das die Europäisch­e Union und den Binnenmark­t verlässt, kann am Ende nicht genauso gut oder sogar besser als ein Mitgliedss­taat der EU gestellt sein“, bekräftigt­e David McAllister (CDU), Vizepräsid­ent der EVP-Fraktion im Europäisch­en Parlament am Dienstag die harte Haltung der EU in einem Interview mit hr-Info.

Die Kräfteverh­ältnisse im britischen Kabinett jedenfalls scheinen sich zugunsten eines EU-freundlich­eren Kurses verschoben zu haben. Der neue Außenminis­ter Jeremy Hunt warb vor dem Brexit-Referendum 2016 noch für den Verbleib Großbritan­niens in der EU.

Wird London seine Position weiter aufweichen? Genau das befürchtet­en die Brexit-Hardliner um Boris Johnson und David Davis. Die Befürworte­r eines harten Brexits hätten zwar wohl genug Stimmen, um ein Misstrauen­svotum zu erzwingen – voraussich­tlich aber nicht genug, es ohne Unterstütz­ung auch zu gewinnen. Fraglich ist, ob sich das ändert, sollte May in Brüssel auf Granit beißen. Der Machtkampf ist noch nicht vorbei. Weitere Rücktritte wurden nicht ausgeschlo­ssen. Umweltmini­ster Michael Gove gilt dabei als Wackelkand­idat.

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