Der Regenwald wird immer kleiner
Forscher schlagen Alarm: Allein 2017 verschwanden Tropenwälder in der Größe von 15,8 Millionen Hektar.
DÜSSELDORF Trotz aller Bemühungen um den Erhalt der Tropenwälder verringert sich die Waldfläche in den Tropen dramatisch. Im vergangenen Jahr verschwanden 15,8 Millionen Hektar Wald – das entspricht fast der Hälfte der Fläche Deutschlands. Diese Zahlen legte Norwegens internationale Klima- und Waldinitiative unter Berufung auf das World Resources Institute (WRI) vor.
Diese Forschergruppe beobachtet seit dem Jahr 2001 den Baumbestand mit Satelliten aus dem Weltall. Der aktuelle Wert bedeutet eine Steigerung um mehr als 60 Prozent gegenüber dem Durchschnittsverlust der Jahre 2001 bis 2015. An der Spitze der Liste steht wie in jedem Jahr Brasilien, die größte Steigerungsrate verbucht Kolumbien. Nach dem Frieden im Bürgerkrieg suchen die Bewohner offenbar neue Verdienstmöglichkeiten. Ursachen für das Verschwinden der Wälder bleiben Grundstückspekulationen, die Rinderzucht und der Anbau von Zellstoff, Palmöl oder Soja.
Zu den wenigen Lichtblicken der Statistik zählt Indonesien, wo staatliche Förderprogramme zum Schutz der einzigartigen bewaldeten Moorflächen erfolgreich waren. Norwegens internationale Klima- und Waldinitiative belohnte Indonesien mit 100 Mio. US-Dollar. Das Land hat sich dem Schutz der Wälder verschrieben. 40 Prozent der weltweiten Fördermittel zum Erhalt des Regenwalds stammen aus Norwegen.
Auch Brasilien hatte ähnliche Programme, aber die Regierung reagierte auf den Beginn der Wirtschaftskrise mit einem Kahlschlag bei der Jose Alves, Wissenschaftsförderung. Eine dramatische Entwicklung, denn das Land besitzt einen wesentlichen Teil der weltweiten Artenvielfalt und tropischen Wälder, die eine wichtige Rolle für die regionale und globale Klimastabilität spielen.
Laut einem Brandbrief, den 54 Umweltforscher aus allen Teilen Brasiliens unterschrieben haben, wurden die ohnehin geringen Mittel seit 2013 auf ein Drittel auf umgerechnet 220 Mio. Euro zusammengestrichen. Darunter leidet vor allem die Forschung zur Biodiversität, die 2005 im aussichtsreichen Projekt „PPBio“gebündelt wurde. 626 Wissenschaftler arbeiteten am Erhalt der Nationalparks, in Wiederaufforstungsprojekten und untersuchten die Artenvielfalt.
Jose Alves ist einer von ihnen. Er forscht in der Caatinga, einer einzigartigen Vegetation. Der Begriff bedeutet in der Sprache der Einheimischen ‚Weißer Wald‘. „Im heißen, aber trockenen Winter werfen die Bäume und Büsche in dieser Region ihre Blätter ab und verlieren damit auch ihre Farbe“, erklärt er. Die Caatinga bedeckte einmal eine Fläche mehr als doppelt so groß wie Deutschland, die Hälfte davon ist schon verloren. Trotzdem muss der Professor jedes Jahr um sein Geld kämpfen. „Wir stehen immer wieder kurz davor, die Türen zuzumachen, obwohl wir so wenig über die Vegetation und über die Tierwelt wissen“, erzählt Alves.
Derzeit hat er noch fünf Angestellte und zehn Studenten, es waren mal über 30. Die stehen vor einer Herkules-Aufgabe. Der größte Nationalpark der Caatinga, die Serra das Confusões im Bundesstaat Piaui, misst ein Drittel der Fläche von
„Wir werden den Regenwald nur schützen können, wenn wir die Bewohner der Region einbeziehen“Forscher
Baden-Württemberg. „80 Prozent des Parks wurden seit Jahrzehnten von keinem Menschen mehr betreten“, sagt der Wissenschaftler. Jose Alves hat seine Forschung radikal verändert. Der Biologe arbeitet mit der Bevölkerung in den Dörfern der Umgebung. Es sei zu spät, um Pflanzen und Tiere noch zu katalogisieren. „Diese Landschaft ist bedroht“, erklärt er, „wir werden sie nur schützen können, wenn wir die Bewohner der Region einbeziehen.“
Ähnliche Strategien empfiehlt auch Norwegens internationale Klima- und Waldinitiative. Auf Flächen, die Gemeinden oder indigenen Bevölkerungsgruppen gehören, ist der Waldschwund nicht mal halb so groß wie andernorts, heißt es im WRI-Bericht. „Subventionen und Investitionen sollten konsequent auf nachhaltige Landwirtschaftsprojekte umverteilt werden, die Flächen nutzen, die nicht entwaldet werden müssen“, forderte Vize-Direktor Andreas Dahl-Jørgensen Anfang des Monats bei einer Tagung in Oslo. So habe Indonesiens Regierung mit internationaler Unterstützung den Export von Tropenholz auf ein nachhaltiges Programm umgestellt. Erik Solheim fordert mehr weltweite Aufmerksamkeit für Tropenwälder.
„Wir müssen bei den Wäldern das erreichen, was uns bei Plastikmüll und Sonnenenergie gelungen ist“, mahnt der Direktor der UN-Umweltbehörde UNEP, „sie müssen zum Gesprächsthema am Küchentisch werden.“Sonst werde die Weltgemeinschaft beim Schutz der Wälder scheitern, sagt Solheim.
Nach den Beobachtungen der WRI geht der Baumverlust in Brasilien zu einem Drittel auf Waldbrände zurück. Im Süden des Amazonas gab es 2017 eine historische Trockenheit, bei der die Forscher noch nicht abschätzen können, ob sie bereits eine Folge des beginnenden
Klimawandels ist. Die Zahl der Feuer sei höher als in jedem anderen Jahr seit dem Beginn der Beobachtungen 1999.
Allerdings seien die Brände überwiegend durch Einheimische verursacht worden, um Land für Landwirtschaft zu gewinnen, heißt es. Nach der Bewertung des WRI erleichtern die mangelnde Strafverfolgung und eine in jüngster Zeit aufgeweichte Umweltgesetzgebung die Brandrodung. Damit steht Brasilien aber nicht allein. Der Kongo, das Land mit der größten Waldfläche Afrikas, hat erst gar keine Polizeieinheit für solche Umweltverbrechen gegründet. Nach Schätzung der Initiative verdient die organisierte Kriminalität bis zu 131 Milliarden Euro jährlich mit der illegalen Abholzung von Tropenwäldern.