Trump poltert gleich zum Frühstück
BRÜSSEL Gegenüber einem sichtlich konsternierten Jens Stoltenberg startet US-Präsident Donald Trump mit wüsten Angriffen auf Deutschland. Und das gleich zu Beginn des Nato-Gipfels, zu dem Stoltenberg als Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses geladen hatte. Vor laufenden Kameras wirft Trump Deutschland vor, „ein Gefangener Russlands“zu sein. Der Ausbruch bezieht sich auf die geplante Pipeline Nordstream 2, die russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland transportieren soll. Trump sagt wörtlich: „Es ist traurig, dass Deutschland massiv Geschäfte mit Russland macht, wenn wir gegen Russland verteidigen sollen.“
Dann knöpft er sich Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dessen Engagement bei Gazprom vor. „Der ehemalige Kanzler ist mit von der Partie in diesem Unternehmen.“Deutschland werde 70 Prozent seiner Gasversorgung über Russland decken, so Trump weiter. Dies hätte niemals erlaubt werden dürfen. Und dann kommt der Satz: „Deutschland ist total kontrolliert von Russland, wenn das Land 70 Prozent seiner Energie daher bezieht.“Trump fragt Stoltenberg: „Halten Sie das etwa für angemessen?“Um sofort weiterzumachen: „Das ist schlimm für die Nato. Wir müssen darüber reden.“
Die Pipeline ist eigentlich kein Nato-Thema, wohl aber die Verteidigungsausgaben. Sie sind der wichtigste Programmpunkt an diesem ersten Gipfeltag. Auch hier nimmt Trump Deutschland aufs Korn: Deutschlands Verteidigungsausgaben lägen bei 1,2 Prozent der Wirtschaftskraft, bei den USA seien es 4,2 Prozent. So ganz stimmt das nicht: Laut Nato-Zahlen sind es im Fall der USA 3,5 Prozent. Das sei „sehr unfair für unser Land und die Steuerzahler.“Die europäischen Länder dürften sich jetzt nicht mehr zehn Jahre Zeit lassen, sondern müssten „sofort“handeln. Stoltenberg versucht noch, die Wogen zu glätten und wendet ein: „Es gibt 29 Mitglieder in der Nato, da gibt es schon einmal unterschiedliche Meinungen.“Zwei Weltkriege und der Kalte Krieg hätten gezeigt: „Gemeinsam sind wir stärker.“Darauf Trump unversöhnlich: „Wie will man zusammen sein, wenn ein Land Energie aus einem Land bezieht, gegen das die anderen sind.“Nato-Generalsekretär Stoltenberg, der sonst sichtlich bemüht ist, Trump nicht zu provozieren, wird ihm später widersprechen: Nordstream 2 sei eine deutsche Angelegenheit, „es ist nicht Aufgabe der Nato, diese Sache zu regeln“.
Die Bundeskanzlerin ist manches von Trump gewöhnt. Der Vorwurf, „Gefangener Russlands“zu sein, ist dann aber doch ebenso neu wie bodenlos. Als sie gegen Mittag zur Nato kommt, rückt sie die Trump-Suada so zurecht: Sie habe selbst erlebt, „dass ein Teil Deutschlands von der Sowjetunion kontrolliert wurde.“Sie sei sehr froh, dass dies nun anders sei. Sie unterstreicht, dass „wir unsere eigenständige Politik machen“und „unsere eigenen Entscheidungen fällen können“. Das sei auch sehr gut für die Menschen in den neuen Bundesländern. Auch beim Streitpunkt Verteidigungsausgaben geht Merkel selbstbewusst in den Gipfel: Deutschland verdanke der Nato viel, „Deutschland leistet aber auch viel“. Deutschland sei der zweitgrößte Truppensteller im Bündnis nach den USA. Auch in Afghanistan leiste Deutschland viel, was ein Beitrag zur Sicherheit der USA sei. „Deutschland tut dies gern und mit Überzeugung.“
Merkel bekennt sich zum Nato-Ziel, die Verteidigungsausgaben bis 2024 auf zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Da die Wirtschaft wächst, ist Deutschland trotz massiv steigender Wehretats aber weit weg vom Zwei-Prozent-Ziel. Nach neuesten Nato-Zahlen landet Deutschland 2018 wie bereits im Vorjahr wieder bei 1,24 Prozent. Bis 2024 sollen es 1,5 Prozent sein. Abgesehen von Griechenland, England, Polen und einigen baltischen Staaten sind die meisten europäischen Länder unter der Zwei-Prozent-Marke.
Trotz Trumps Breitseiten gegen Deutschland und viele andere Alliierte herrscht bei der Nato keine Katastrophenstimmung. Der Grund ist: Wichtig für die Nato ist das 39-seitige Kommuniqué mit den wichtigen Kernbotschaften: Schaffung der neuen Kommandostruktur, schnellere Einsatzbereitschaft sowie die neue Ausbildungsmission im Irak. Das ist die Arbeitsgrundlage der Allianz für die nächsten zwei Jahre. Es enthält Passagen zum Kampf gegen den IS-Terror sowie zum aggressiven Verhalten Moskaus. Eine Katastrophe wäre gewesen, wenn Trump die Unterstützung der Vereingten Staaten zu diesem Papier verweigert hätte. Die Gefahr ist jedoch noch nicht komplett gebannt: Seit dem G7-Gipfel in Kanada weiß man, dass Trump dazu neigt, seine Zustimmung auch nach seiner Abreise zurückzuziehen.