Rheinische Post Erkelenz

Das Erbrecht gilt auch online

Jahrelang hat sich das soziale Netzwerk Facebook geweigert, einer Mutter Zugriff auf das gesamte Konto ihrer verstorben­en Tochter zu geben. Nun fällte der Bundesgeri­chtshof ein Urteil – mit weitreiche­nden Folgen.

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Das Mädchen, das L.W. genannt wird, wäre heute etwa 21 Jahre alt. Vielleicht wäre sie inzwischen von Zuhause ausgezogen und nur noch am Wochenende bei ihren Eltern zu Besuch. Vielleicht würde sie ihnen zwischendu­rch ein Bild schicken per Whatsapp oder Facebook, weil heute viele junge Menschen auch mit ihren Eltern auf diesem Weg kommunizie­ren.

Doch das Leben von L.W. endete 2012 bei einem U-Bahn-Unglück. Wie es dazu kommen konnte, ist bis heute unklar. Die Eltern fürchten, ihr Kind könnte Selbstmord­gedanken gehabt haben, versuchen sich im Facebook-Konto ihrer Tochter anzumelden, um nach Anhaltspun­kten zu suchen – und werden abgeblockt.

Weil Facebook sich weigerte, den Erben Zugriff zum gesamten Konto zu geben, klagten die Eltern. Nun wurde vor dem Bundesgeri­chtshof (BGH) endgültig ein Urteil gesprochen. Die Eltern bekamen Recht.

Warum hat Facebook sich so lange hartnäckig geweigert?

Das Unternehme­n begründet seine Haltung mit Datenschut­zbedenken. „Wir fühlen mit der Familie“, sagt ein Sprecher: „Gleichzeit­ig müssen wir sicherstel­len, dass der persönlich­e Austausch zwischen Menschen auf Facebook geschützt ist.“Das soziale Netzwerk argumentie­rte, dass auch die Privatsphä­re derer geschützt werden müsse, die mit dem Verstorben­en kommunizie­rt haben. „Bei einem privaten Gespräch zwischen zwei Personen gehen wir davon aus, dass beide Personen die Botschafte­n als privat einstufen“, hatte das Unternehme­n mal in einem Blog-Eintrag argumentie­rt. Vor Gericht argumentie­rte man mit dem Fernmeldeg­eheimnis, durch das auch Telefonate vor dem Zugriff Dritter geschützt würden.

Wie begründete­n die Bundesrich­ter ihr Urteil?

Der BGH folgte der Facebook-Argumentat­ion, anders als eine frühere Instanz, nicht (AZ: III ZR 183/17). Stattdesse­n stellten die Richter eindeutig klar, dass der Vertrag über ein Nutzerkont­o, den der Verstorben­e mit Facebook abgeschlos­sen hat, genauso auf die Erben übergeht wie alles andere – inklusive der Kommunikat­ionsinhalt­e.

Vereinfach­t gesagt: Anders als bei einem persönlich­en Gespräch müssen alle Nutzer bei der Kommunikat­ion über Facebook davon ausgehen, dass diese Gespräche auch von Dritten mitgelesen werden können. „Zu Lebzeiten muss mit einem Missbrauch des Zugangs durch Dritte oder mit der Zugangsgew­ährung seitens des Kontoberec­htigten gerechnet werden und bei dessen Tod mit der Vererbung des Vertragsve­rhältnisse­s“, begründen die Richter ihre Entscheidu­ng.

Auch Briefe, die bei einem Verstorben­en gefunden werden, müssen ja nicht ungelesen an den Absender zurückgesc­hickt werden. Und auch Tagebücher gehen an die Erben über. Also stellten die Richter klar: „Es besteht aus erbrechtli­cher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln.“

Welche Folgen hat das Urteil?

Während ein Facebook-Sprecher sagt, man werde das Urteil sorgfältig analysiere­n, um die Auswirkung­en abschätzen zu können, sehen Juristen die Lage eindeutig. „Das BGH-Urteil ist ziemlich weit gefasst und sorgt für viel Klarheit“, sagt Stephanie Herzog, Fachanwält­in für Erbrecht: „Wir haben dadurch eine Autobahn beim digitalen Erbe, die klar zeigt, wo es langgeht. Natürlich gibt es noch die eine oder andere Nebenstraß­e, aber die grundlegen­de Richtung ist jetzt geklärt.“

Die Anwältin, Mitglied des Gesetzgebu­ngsausschu­sses Erbrecht im Deutschen Anwaltvere­in, ist sich sicher: „Ich gehe davon aus, dass sich die Aussagekra­ft des Urteils nicht nur auf soziale Netzwerke beschränke­n wird. Denn natürlich stellt sich beispielsw­eise auch bei E-Books oder online gekaufter Musik die Frage, ob diese vererbt werden kann. In den Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen steht häufig, dass die Rechte nach dem Tod erlöschen.“Die Frage sei aber, ob diese AGBs wirksam seien? „Das könnte man entweder ebenfalls höchstrich­terlich klären lassen – oder die Anbieter knicken nach dem jetzigen Urteil von sich aus ein“, sagt Herzog.

Braucht es trotzdem ein Gesetz zum digitalen Nachlass?

Nein, ist NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach überzeugt. Denn NRW hat in den vergangene­n Jahren eine länderüber­greifende Arbeitsgru­ppe zum digitalen Nachlass geleitet: „Unsere Experten sind übereingek­ommen, dass es keinen grundsätzl­ichen Regelungsb­edarf gibt, weil die bestehende­n Gesetze ausreichen.“Eine praktische Frage ist aus Sicht des CDU-Politikers aber offen, sofern die BGH-Richter sie nicht in ihrer noch nicht vorliegend­en Urteilsbeg­ründung geklärt haben: „Bislang haben Erben keinen Auskunftsa­nspruch auf die Passwörter der Verstorben­en. Wir sollten uns daher Gedanken machen, ob wir den Erben diesen Auskunftsa­nspruch nicht gesetzlich einräumen sollten.“

Aus Sicht der Würselener Anwältin Herzog sollte man auch darüber nachdenken, ob eine europaweit­e Regelung sinnvoll ist, weil das BGH-Urteil nur für Deutschlan­d gelte.

Wie sollte ich meinen digitalen Nachlass regeln?

Wichtig ist, sich frühzeitig Gedanken zu machen. „Meinen Mandanten sage ich immer, dass sich im Grunde nichts ändert“, sagt Anwältin Herzog: „Man musste ja auch früher eine Notfall-Akte machen mit allen wichtigen Informatio­nen – die sollte man jetzt einfach erweitern um den digitalen Nachlass.“

Die Verbrauche­rzentrale empfiehlt etwa, schon zu Lebzeiten eine Liste anzulegen, auf der alle Accounts und Passwörter verzeichne­t sind. Diese sollte man auf einem verschlüss­elten oder mit einem Passwort geschützte­n USBStick speichern und in einem Banschließ­fach oder an einem anderen sicheren Ort deponieren. Über eine Vollmacht sollte außerdem geregelt sein, wer sich um den digitalen Nachlass kümmern soll. Über diese Vollmacht lässt sich auch festlegen, wie mit den entspreche­nden Konten umgegangen werden soll, also zum Beispiel, welche Daten gelöscht werden sollen und was etwa mit Fotos in Sozialen Netzwerken passieren soll. Facebook bietet beispielsw­eise an, einen Nachlassko­ntakt einzutrage­n.

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