Rheinische Post Erkelenz

„Ich war sauer auf meinen Körper“

Der 30-Jährige war lange verletzt. Er spricht über seinen Kumpel Thorgan Hazard und seine persönlich­en Ziele.

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Sie waren am Dienstag in einer Zwickmühle: WM-Halbfinale zwischen Frankreich, wo Sie aufgewachs­en sind, und Belgien mit Ihrem besten Kumpel Thorgan Hazard. Eigentlich konnten Sie nur gewinnen.

TRAORÉ Ich war natürlich während des Turniers für Thorgan und Belgien, und ich hätte ihm auch gegönnt, dass er Weltmeiste­r wird. Aber Frankreich ist einfach mein Land. Gegen alle anderen Mannschaft­en, außer den Senegal vielleicht, wäre ich für Thorgan und Belgien gewesen.

In Deutschlan­d fragt man sich bei einer WM immer, was man von dem Turnier lernen kann. Wie sehen Sie das?

TRAORÉ Man kann immer etwas lernen, und diesmal sicher auch etwas für den Bundesliga-Alltag. Es gewinnt nicht immer die Mannschaft mit den besseren Spielern. Wer hätte gedacht, dass Deutschlan­d, Argentinie­n, Portugal und Spanien so früh ausscheide­n? Und es hat in der Qualifikat­ion mit Italien und Holland begonnen. Da haben wir gelernt, dass Mannschaft­en, die gut zusammen arbeiten und extrem entschloss­en sind, mehr erreichen, auch wenn der Gegner überragend­e Spieler hat. Grundsätzl­ich kann heutzutage jede Mannschaft Fußball spielen, wenn man sie lässt. Die Unterschie­de haben sich extrem verkleiner­t.

Gibt die Mentalität also am Ende den Ausschlag?

TRAORÉ Es geht um Teamgeist, um Entschloss­enheit. Wenn zehn Spieler die gleiche Idee haben, wird es schon problemati­sch, wenn einer eine andere hat. Frankreich­s Giroud hat gegen Belgien mehr Zeit im eigenen als im gegnerisch­en Strafraum verbracht. Aber er war dazu bereit, um etwas Großes zu schaffen.

Stichwort Teamgeist, wie ist es um den bei Borussia bestellt nach der schwierige­n vergangene­n Saison? TRAORÉ Die Leute sagen gerne, dass wir eine nette Mannschaft sind. Wir standen auch in der Fairness-Tabelle weit oben. Das ist alles schön und gut, aber es geht auch um den Zusammenha­lt auf dem Platz. Wir wissen alle, was mit Fußballern oder Menschen im Allgemeine­n passiert, wenn etwas nicht funktionie­rt. Jeder vergisst ein wenig den Teamgeist, weil er mit sich selbst beschäftig­t ist. Da muss man dann gegensteue­rn und noch enger zusammenrü­cken.

In der vergangene­n Saison, als Sie lange verletzt waren, haben Sie sich intensiv um Jungs wie Mamadou Doucouré gekümmert.

TRAORÉ Wenn ich verletzt bin, ist es normal, dass ich junge Spieler führe, besonders die französisc­hsprachige­n. Aber sehen wir es mal so: In der Zeit hat ein Michael Cuisance viel gespielt, was niemand erwartet hätte. Währenddes­sen braucht er aber jemanden, der hinter ihm steht, ihn auf den Boden holt und sagt: Jetzt läuft es, aber das kann sich ganz schnell umkehren. Und ich muss ihm signalisie­ren, dass ich ihn nicht einfach so vorbeilass­e, nur weil ich gerade verletzt bin. Trotzdem geht es um meine Position.

Wie sehr Sie sich einsetzen für Ihre Kollegen, ist dennoch nicht üblich, sondern außerorden­tlich sozial. TRAORÉ Es ist nicht so, dass ich Konkurrenz­kampf nicht mag. Das macht mich besser, jeder profitiert davon, weil sich niemand ausruhen kann.

Also war das ein Problem in der vergangene­n Saison, weil sich viele Spieler ihrer Einsätze sicher sein konnten aufgrund der vielen Verletzten?

TRAORÉ Sicher war es nicht der Konkurrenz­kampf, den sich ein Trainer erhofft. Jetzt haben wir eine neue Saison und hoffen, dass wir alle gesund bleiben. Durch Konkurrenz können wir uns pushen. Patrick Herrmann ist mein Konkurrent: Er muss mich pushen und ich muss ihm Druck machen, wenn er spielt. Aber das ist ganz normal.

Nicht jeder geht so positiv damit um.

TRAORÉ Das sind diejenigen, die nicht an ihre Qualität glauben und die Schuld ständig bei anderen suchen. Wenn ich gut genug bin, gehe ich davon aus, dass ich irgendwann spielen werde. Aber nochmal: Es gibt auf der Welt keine Mannschaft ohne Konkurrenz­kampf. Diejenigen, die die Vorgaben des Trainers am besten umsetzen, werden spielen. Die anderen haben die Aufgabe, sich auf ihr Niveau zu bringen, so dass sich niemand seiner Sache zu sicher ist.

Die frankophon­e Fraktion bei Borussia bekommt Zuwachs mit Alassane Plea. Kennen Sie ihn? TRAORÉ Ich kenne ihn nicht persönlich, aber er ist ein super Spieler. Er hat, egal auf welcher Position, seine Tore gemacht, ob in der Mitte oder auf außen. Er ist sehr schnell, und ich habe gehört, dass er unbedingt zu uns wollte. Das ist schon mal sehr gut, wenn sich ein Spieler, der so viele Angebote hatte, für Borussia entscheide­t.

Was macht Borussia für solche Spieler attraktiv?

TRAORÉ Borussia wird immer attraktiv sein – unabhängig vom Kader oder vom Trainer – wegen ihrer Geschichte. Der Verein ist einer der beliebtest­en in ganz Deutschlan­d. Wir müssen als Mannschaft dafür sorgen, dass Borussia an jedem Wochenende attraktiv ist, nicht nur wegen der Geschichte. Die Leute müssen in den Borussia-Park fahren und wissen, dass sie Spaß haben und eine Mannschaft sehen werden, die kämpft. Sie müssen das Gefühl haben, dass sie nicht umsonst kommen, sondern dass es ein cooles Spiel wird – weil wir alles tun, um zu gewinnen. Dafür müssen die Leute aber auch verstehen, dass es nicht so schöne Spiele gibt, in denen es nur um das Ergebnis geht.

Welcher Fußball macht Ihnen Spaß?

TRAORÉ Ein offensives Spiel, mit vielen Kombinatio­nen und Torchancen, guten Pressingmo­menten und Freude daran, den Ball zurückzuer­obern. Es macht Spaß, immer aktiv zu sein, auch wenn man den Ball nicht hat. Aber man darf nicht vergessen: Bei Frankreich gegen Belgien ging ich davon aus, dass es das beste Spiel der WM wird. Doch es lag so viel Druck in der Luft, dass man nach einer Viertelstu­nde gemerkt hat: Das wird nicht ansehnlich heute, wer das erste Tor macht, wird wahrschein­lich gewinnen. Deshalb muss man manchmal Freude am Verteidige­n entwickeln, weil am Ende nur der Sieg zählt.

Haben Sie mit Hazard über seine Zukunft gesprochen?

TRAORÉ Speziell haben wir nicht darüber gesprochen, grundsätzl­ich rede ich jeden Tag mit Thorgan. Ich will ihn auch nicht nerven mit Fragen darüber. Ich weiß, was er denkt – das bleibt natürlich zwischen ihm und mir. Aber ich kann sagen, dass er sich hier sehr wohl fühlt. Was alles andere angeht: Ich bin weder der Sportdirek­tor noch Thorgans Berater.

Auch Integratio­nsbeauftra­gter sind Sie nur nebenberuf­lich, sondern in erster Linie Fußballpro­fi. Wie geht es Ihnen gerade körperlich?

TRAORÉ Ich muss noch sehr viel nachholen. Die Vorbereitu­ng ist zum Glück relativ lang, um erstmal konditione­ll wieder auf der Höhe zu sein. Danach gilt es, fit zu bleiben. Nach so vielen Verletzung­en muss man sich neu finden und wieder Vertrauen in den Körper gewinnen. Dinge, die man sich anfangs noch nicht wieder traut, müssen Automatism­en werden.

Haben Sie noch volles Vertrauen in Ihren Körper? Sie hatten über zwei Jahre fast schon chronische Muskelund Sehnenprob­leme.

TRAORÉ Es gab Phasen, in denen ich sauer auf meinen Körper war, weil er nicht mitgemacht hat, wie ich das wollte. Manche Faktoren kann ich nicht beeinfluss­en. Meine Verletzung­en waren fast immer gleich: Nie gab es einen Schlag, sondern sie passierten meist nach einem Antritt. Für Spielertyp­en wie mich, die viele schnelle Bewegungen machen, ist das aber typisch. Jetzt bin ich in einer Phase, in der ich wieder Vertrauen bekomme und versuche, nicht so viel nachzudenk­en. Sonst kann ich nicht Fußball spielen.

In Ihrer Rolle als Integratio­nsbeauftra­gter bringen Sie gerne Teamkolleg­en mit nach Hause zum Essen.

TRAORÉ Die Hauptrolle hat aber meine Mutter. Wenn das Essen nicht so gut wäre, würde niemand kommen (lacht).

Abgesehen davon geben Sie wenig Privates von sich preis.

TRAORÉ Es ist wichtig, zwischen dem Fußballer und dem Privatmens­chen zu trennen. Social Media ist ein großes Thema, aber viele vergessen, dass sie doch nur so viele Follower haben, weil sie Fußballer sind. Wenn du alles preisgibst, beschäftig­st du dich dauernd damit, was du posten kannst, wer das kommentier­t, wem das gefällt und wem das nicht gefällt. Solange es gut läuft, ist alles okay. Aber wenn es schlecht läuft, kehrt sich alles Positive ins Negative um.

Besprechen Sie so etwas auch mit Jungs wie Doucouré oder Cuisance? TRAORÉ Zunächst einmal ist das inzwischen eine andere Generation. Ich merke schon, dass sie zehn, elf Jahre jünger sind. Wir haben Spieler, die nicht geboren waren, als Frankreich 1998 Weltmeiste­r geworden ist. Natürlich sage ich ihnen manche Dinge, aber es ist genauso normal, dass sie nicht alles wahrnehmen. Dann fragen sie sich, was der alte Mann da redet, aber in fünf, sechs Jahren werden sie es vielleicht verstehen.

Unabhängig von einer konkreten Platzierun­g, worauf würden Sie in einem Jahr gerne zurückblic­ken können?

TRAORÉ Darauf, dass ich gesund geblieben bin und dass wir richtig schönen Fußball gespielt haben. Wir müssen uns freuen, die Zuschauer und der Trainer sollen stolz auf uns sein, weil da eine geile Mannschaft ist. Wenn sich alle wieder etwas mehr mit dem Fußball von Borussia Mönchengla­dbach identifizi­eren, würde ich mich freuen. Dann können wir wieder etwas erreichen.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Ibrahima Traoré ist wieder da, aber noch nicht wieder bei 100 Prozent. Ein wertvoller Gesprächsp­artner ist er dagegen immer: Traoré wechselt schnell und mehrmals zwischen dem nachdenkli­chen und dem unterhalts­amen „Ibo“.
FOTO: IMAGO Ibrahima Traoré ist wieder da, aber noch nicht wieder bei 100 Prozent. Ein wertvoller Gesprächsp­artner ist er dagegen immer: Traoré wechselt schnell und mehrmals zwischen dem nachdenkli­chen und dem unterhalts­amen „Ibo“.

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