Rheinische Post Erkelenz

„Im Staunen bin ich ganz bei mir“

Der Benediktin­erpater hat ein neues Buch übers einfache Leben geschriebe­n: Darin geht es allein um das Wunderbare unseres Alltags.

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Wahrschein­lich ist er einer der populärste­n, auf jeden Fall aber einer der publizisti­sch erfolgreic­hsten Mönche in Deutschlan­d: Mehr als 300 Bücher hat der Benediktin­erpater Anselm Grün schon veröffentl­icht, die weit über den deutschen Sprachraum hinaus auf Interesse stoßen. Also wurden seine Bücher bislang in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Jetzt hat der 73-jährige Mönch ein Buch nur über das „Staunen“geschriebe­n, das im Grunde eine spirituell­e Entdeckung­sreise ist. Weil für Pater Anselm Grün viele Wunder nicht im Himmelreic­h warten, sondern geradewegs im Alltag zu finden sind. Die Betrachtun­g des Naheliegen­den ist für ihn ein wichtiger Teil des sogenannte­n einfachen Lebens, über das er monatliche Briefe verfasst (www.einfachleb­enbrief.de). Was hat Staunen mit Glauben zu tun? Oder anders gefragt: Ruht im Staunen nicht immer auch eine gute Portion Unglauben?

Ja; das hängt zusammen mit einer Einstellun­g nach dem Motto: Ich kann’s einfach nicht glauben, dass es so und so ist. Aber anderersei­ts sind wir im Staunen auch offen für das Geheimnis, auch das kleine, erlebbare Geheimnis. Etwa, dass Gott uns jetzt die Stunde der Ruhe geschenkt hat oder diesen wunderbare­n Sonnenunte­rgang. Indem wir staunen, wächst auch der Glaube.

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Ist das Staunen denn immer etwas Schönes?

Was mich fasziniert, kann mich auch manchmal erschrecke­n, das stimmt. In diesem Betroffens­ein steckt eine tiefe Erfahrung.

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Und was hat Staunen mit Glück zu tun?

Im Staunen bin ich zumindest ganz bei mir und im Einklang mit mir. Glück hat ja auch etwas damit zu tun, das ich ganz gegenwärti­g bin. Staunen bedeutet auch, dass ich mich für etwas Größeres öffne. Dieses Glück ist dann kein Kreisen um sich selbst, sondern die Erfahrung, vom Geheimnis berührt zu werden, von der Liebe zu Gott oder zu einem Menschen.

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Sie staunen aber auch über sich selbst.

Man soll auch immer auf sich selbst achten. Was spüre ich, was sind meine Gefühle? Wenn ich achtsamer mit mir selber bin, bin ich einfach auch achtsamer mit den Menschen. Achtsam auf sich selbst zu sein, heißt dann auch, darauf zu achten, was Gott mir sagt.

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Diese Achtsamkei­t beziehen Sie ganz konkret auch auf körperlich­e Erfahrunge­n; beginnend mit dem Duschen, dem Zähneputze­n usw. – also all das, was wir in der Eile des Morgens oft mit größter Unachtsamk­eit tun.

Auch das ist für mich eine Form der Spirituali­tät. Es gibt eine Spirituali­tät, die führt von oben nach unten. Wenn ich im Gebet mit dem Geist Gottes in Berührung kommen möchte. Aber es gibt auch

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die umgekehrte Richtung: dass ich mit bewusstem Tun offen werde für Gott. Auch bestimmte Alltagsrit­uale können meine Beziehung zu Gott ausdrücken. Wenn ich darauf achte, was eine Tür sein kann, nämlich eine Verbindung und Abgrenzung zugleich; oder ein Weinstock als Geschenk des Himmels – dann sehe ich auch die Beziehung zu Gott.

Überhaupt öffnen und schärfen Sie mit dem Staunen den Blick für das scheinbar banal Alltäglich­e.

Die kleinen Dinge können zum Symbol werden für meine Beziehung zu mir selber. Wenn ich etwa in der Kirchenban­k aufrecht sitze, kann ich durchaus empfinden, was es heißt, thronend zu sitzen: achtsam

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sein, herrschen und nicht beherrscht werden, meine Würde entdecken.

Kann man sich wieder sensibel machen für das Staunen?

Das geht schon, wenn ich bereit dazu bin, Dinge wieder so zu sehen, als hätte ich sie noch nie gesehen: die Natur zum Beispiel, den Menschen, mein Zimmer.

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Jetzt sagen natürlich alle geschäftig­en Menschen: Der Anselm Grün hat gut reden in der Ruhe seines Klosters. Mein Leben sieht anders aus.

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Aufstehen tun alle Menschen sowieso. Ob sie das nun achtsam machen oder unachtsam, ist wirklich kein Zeitunters­chied. Und das achtsame Zähneputze­n dauert auch nicht länger. Gerade der Zeitmangel ist in meinen Augen oft nur eine Ausrede. Denn es geht zunächst einmal darum, das, was ich tue, bewusst zu tun.

Wann oder worüber haben Sie zuletzt gestaunt?

Neulich bin abends von Köln aus heimgefahr­en. Und da habe ich über das milde Licht gestaunt, das sich da auf den Feldern ausbreitet­e. Da habe ich schon sehr gestaunt, wie schön am Abend doch unsere Welt sein kann.

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FOTO: DANIEL BISKUP Pater Anselm Grün im Kloster Münstersch­warzach.

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