„Afrika ist die Jahrhundertaufgabe“
Der Bundesentwicklungsminister über Transitzentren nahe den Herkunftsländern von Flüchtlingen, Afrika als Chancenkontinent für Europa, und den „Masterplan Migration“von Parteikollege Horst Seehofer.
Müller
Aus Afrika kommen 25 Prozent der Flüchtlinge in Europa. In der Hauptsache aus Nigeria, Eritrea und Somalia. Mit Partnern wie Frankreich und Großbritannien will ich in diesen Ländern vor Ort noch stärker aktiv werden, für stabile Verhältnisse in den Ländern sorgen und vor Illusionen über Europa warnen.
Welchen Part soll die Europäische Union dabei haben?
Afrika ist die Jahrhundertaufgabe für die Europäische Union. Auf dem Treffen der EU-Entwicklungsminister Ende Mai habe ich deswegen konkrete Vorschläge eingebracht: Wir brauchen einen EU-Afrikakommissar, bei dem alle Fäden einer in sich stimmigen Afrikapolitik zusammenlaufen. Wir brauchen zudem einen ständigen EU-Afrika-Rat. Es reicht nicht aus, alle zwei Jahre einen EU-Afrika-Gipfel zu haben. Wir brauchen permanente Arbeitsstrukturen, um die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs umzusetzen. Eine solche neue Partnerschaft muss auch finanziell besser ausgestattet werden. Der EU-Haushalt muss endlich neue Prioritäten setzen, statt an den Vorstellungen der 80er Jahre festzuhalten. Von 2021 bis 2027 will die EU für
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Afrika 39 Milliarden Euro ausgeben. Das ist ein Zehntel dessen, was für die Agrarpolitik vorgesehen ist und ein Beleg dafür, wie wenig wir Afrika als Chancenkontinent wahrnehmen. Im Gegensatz zu China und Russland. Sie investieren massiv und sichern sich knappe Rohstoffe wie Coltan und Lithium für die Digital- und Elektroindustrie. Europa ist gerade dabei, Afrika als Jahrhundertchance zu verpassen.
Was macht Ihnen im Moment am meisten Sorge?
Der vergessene Krieg im Jemen. Die Unicef-Chefin berichtete mir, dass zehn Millionen Kinder ums Überleben kämpfen. Dort ist die Cholera ausgebrochen. Alle zehn Minuten stirbt ein Kind. Einfachste Medikamente könnten diese Kinder retten. Es ist beschämend, dass die Weltgemeinschaft ihnen beim Sterben zuschaut, denn nicht einmal die Hälfte des erforderlichen Hilfsbedarfs ist aktuell gedeckt. Deutschland leistet hier bereits viel. Wir haben unsere Unterstützung für Unicef im Jemen um weitere 15 Millionen Euro erhöht. Aber auch hier fehlt die Stimme Europas völlig. So wie bei den 300.000 Flüchtlingen an der jordanisch-israelischen Grenze,
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die vor dem Bombenterror in Syrien geflohen sind und jetzt in der Wüste ohne Wasser und Nahrung ausharren. Wer kümmert sich um sie? Die Weltgemeinschaft muss jetzt handeln. Die Nato will mehr Geld in die Verteidigung stecken. Ist das richtig?
Meine Botschaft an die Nato ist: Parallel zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben müssen wir auch die Ausgaben für Entwicklung und Prävention erhöhen.
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Auf dem Mittelmeer geraten die Seenotretter selbst unter Druck. Wie sehen Sie das?
Die EU muss sich viel stärker darum kümmern. Wir sollten nicht darauf warten, bis es zur Katastrophe kommt.
Müller
Der „Masterplan“will Rücknahmebereitschaft von Flüchtlingen mit Entwicklungshilfe verknüpfen. Das war bisher nicht Ihre Linie.
Natürlich müssen die Länder kooperieren, das war auch immer meine Linie. Bei all unseren Gesprächen mit den Partnerländern ist das Thema. Der „Masterplan“sieht verschiedene Maßnahmen vor, die Rückübernahme zu verbessern. Das kann auch eine Verstärkung der Zusammenarbeit sein, wenn Staaten kooperieren.
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Einige fordern aber, wer nicht ausreichend kooperiert, muss auf Geld verzichten.
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Entwicklungsprogramme zu kürzen, ist kontraproduktiv und vergrößert Fluchtursachen. Denn wir treffen damit nicht die Regierungen, sondern Hunderttausende von Menschen, denen wir eine Perspektive in ihrer Heimat bieten. Im irakischen Mossul haben wir beispielsweise die Trinkwasserund Gesundheitsversorgung für Zehntausende Menschen und 180 Schulen für mehr als 100.000 Kinder aufgebaut. Wenn wir solche Programme kürzen, bewirken wir das Gegenteil und haben hier bald sehr viel mehr Flüchtlinge.
Viele Binnenflüchtlinge sind schon in ihre Heimat in Syrien zurückgekehrt. Wann wird es Zeit, Syrien ins Rückkehrprogramm aufzunehmen?
Die Weltgemeinschaft muss den Krieg stoppen. Die EU muss die Gestaltung einer Nachkriegsordnung glaubhaft angehen. Der Beschluss, syrische Flüchtlinge zu enteignen, muss zurückgenommen werden. Das sind zentrale Voraussetzungen für die Rückkehr von Millionen syrischer Flüchtlinge. Es reicht nicht, darauf zu warten, was Wladimir Putin macht.
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