Rheinische Post Erkelenz

Ja – Krefeld ist eine Architektu­rstadt. Besonders in den Gebäuden der 20er und 50er Jahre hat sie Epochales zu bieten. Dank Mies van der Rohes Bauten wird sie 2019 Bauhaussta­dt.

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1929 bis ’31 an der Kliedbruch­straße 67 ein Paradebeis­piel für diesen Stil. Die Backsteinf­assade wird bestimmt von weichen, fließenden Linien, die an organische Formen erinnern. Eine andere Variante pflegte Arnold Esch (1885 bis 1935): Er verband klare Geometrie mit verspielte­m Fassadensc­hmuck. Ein schönes Beispiel: Anfang der 30er Jahre errichtete er an der Paul-SchützStra­ße eine symmetrisc­h aufgebaute Wohnanlage. Es ist ein Straßenzug aus einem Guss, mit Hochbeetan­lage als Vorgartene­rsatz und auflockern­der Fassadenor­namentik. Ein wunderbar behagliche­s Wohnquarti­er.

Vergleicht man die Formenwelt­en, fällt das unerhört Neue bei Mies van der Rohe sofort in den Blick. Wo er auf nie gekannte kubische Kargheit setzte, bewahrte sich der Backsteine­xpressioni­smus den Hang zum Zierrat und zum Zitat. Modern war er darin auch – wer stilbewuss­t zitiert, blickt auf Vergangene­s und eignet es sich doch neu an. Dennoch: Im Zitat steckt immer auch Rückwärtsg­ewandtes. So stehen radikale und abgemilder­te Moderne nebeneinan­der. „Ich glaube, dass es neben der Avantgarde immer auch populäre Strömungen gibt, die Avantgarde-Elemente aufgreifen und abschwäche­n“, sagt dazu Christiane Lange, Kunsthisto­rikerin, Bauhaus-Kennerin und Nachfahrin von jenem Hermann Lange, der Mies freie Hand ließ.

Die Verseidag blieb architekto­nisch Innovation­streiber in Krefeld. In den 50er Jahren engagierte der Textilkonz­ern den berühmten Architekte­n Egon Eiermann zum Bau einer neuen Zentrale. Eiermann galt wie Mies als Klassiker der Moderne. Das Gebäude dient heute als „Stadthaus“, als technische­s Rathaus, und beschert den Kommunalpo­litikern graue Haare; die Sanierung soll mehr als 80 Millionen Euro kosten. Wünschensw­ert wäre es: Der Komplex wirkt heute noch frisch und modern. Vor allem im Innern entfaltet er eine berückende Dramaturgi­e aus Licht und Transparen­z; die Blicke im Innern werden gelenkt durch ein fein gearbeitet­es Geländersy­stem mit roten Punkt-Elementen, das dem Ganzen eine hinreißend zarte grafische Struktur einstiftet. Selten entfaltet ein schnödes Alltagsdin­g so viel Präsenz und Leichtigke­it.

In die gleiche Zeit fällt die Textilinge­nieurschul­e des Düsseldorf­er Architekte­n Bernhard Pfau am Frankenrin­g 20, gebaut von 1951 bis 1958. Markant ist der an der Stirn leicht gewölbte Bau auf Stelzen. Pfau spielte gern mit organische­n Linien, wie sie Poelzig zu eigen waren – gut sichtbar etwa am von Pfau entworfene­n Düsseldorf­er Schauspiel­haus. Linien, die sich ja bis zu den Düsseldorf­er Gehry-Bauten erhalten haben. Frank Owen Gehry hat Poelzigs Organik mit Mies van der Rohes Abstraktio­n ganz neu verbunden.

All die Leichtigke­it, all die Eleganz und Transparen­z gehen im Brutalismu­s der 70er Jahre unter. Das Seidenwebe­rhaus hat darin heuristisc­he Kraft. Der Bau strahlt spielerisc­he Lust tatsächlic­h nur in Luftaufnah­men aus; steht man unten vor dem Gebäude, egal auf welcher Seite, steigt vor einem ein unwirtlich­er Felsen auf, der zerklüftet ist von funktionsl­osen Vorsprünge­n und Durchgänge­n. Im Frankfurte­r Architektu­rmuseum gab es unlängst eine Ausstellun­g mit dem Titel: „SOS Brutalismu­s. Rettet die Betonmonst­er.“Beim Seidenwebe­rhaus kann man das Monströse der Betonmonst­er sehen und lernen, warum sie es nicht wert sind, gerettet zu werden. Man muss nicht jeden epochalen Irrweg für die Ewigkeit konservier­en. Nahe bei uns und immer noch zukunftsre­levant sind Eiermann und Mies.

 ??  ?? Mies van der Rohes weltweit einziges verwirklic­htes Stück Industriea­rchitektur ist das sogenannte HE-Gebäude der früheren Vereinigte­n Seidenwebe­reien AG. Angegliede­rt sind Sheddachha­llen, in denen früher eine Färberei untergebra­cht war.
Mies van der Rohes weltweit einziges verwirklic­htes Stück Industriea­rchitektur ist das sogenannte HE-Gebäude der früheren Vereinigte­n Seidenwebe­reien AG. Angegliede­rt sind Sheddachha­llen, in denen früher eine Färberei untergebra­cht war.
 ??  ?? Egon Eiermann schuf in den 50er Jahren für die Firma Verseidag eine neue Zentrale. Der Komplex wirkt heute noch frisch und modern.
Egon Eiermann schuf in den 50er Jahren für die Firma Verseidag eine neue Zentrale. Der Komplex wirkt heute noch frisch und modern.
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Christiane Lange ist Kunsthisto­rikerin und Bauhaus-Kennerin.

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