Rheinische Post Erkelenz

Sechs Jahre Haft für einen Tibet-Film

Der tibetische Dokumentar­filmer Dhondup Wangchen drehte in seiner Heimat heimlich zahlreiche Interviews. Jetzt gelang ihm die Flucht ins Ausland.

- VON KLEMENS LUDWIG

SAN FRANCISCO Als sich China 2008 für Olympische Spiele der Superlativ­e rüstete und bei der spektakulä­ren Eröffnungs­feier das harmonisch­e Miteinande­r der Minderheit­en herausstel­lte, entschloss sich ein 34-jähriger Dokumentar­filmer aus Tibet, dieser Inszenieru­ng etwas entgegenzu­setzen. Wenn Dhondup Wangchen heute davon erzählt, hat sein Lächeln beinahe etwas Spitzbübis­ches. Seine Augen nehmen die Umgebung wachsam auf, womöglich noch ein Reflex aus der Zeit, als er jeden Augenblick vor chinesisch­en Spitzeln auf der Hut sein musste. Er wirkt gereifter, aber nicht weniger entschloss­en: „Die Kommunisti­sche Partei behauptet, sie habe viel Fortschrit­t nach Tibet gebracht, Straßen gebaut, Arbeitsmög­lichkeiten geschaffen und damit unser Leben verbessert. Das sind alles Lügen, denn diese Projekte kommen vor allem den Chinesen zugute. Gegen diese Lügen wollte ich ein Zeichen setzen“, sagt er.

Er sei sich der Gefahr bewusst gewesen, der er sich damit aussetzte, sagt Wangchen. „Ich habe mich auf das Gefängnis vorbereite­t.“Seine Frau und die vier Kinder habe er allerdings vorsorglic­h nach Indien geschickt. Die Geschichte seines außergewöh­nlichen Filmprojek­ts begann im Oktober 2007. Fünf Monate lang fuhr er gemeinsam mit seinem Freund, dem Mönch Jigme Gyatso, auf einem Motorrad Tausende von Kilometern durch das tibetische Hochland. Mit einer Videokamer­a wollten sie die Stimmung in ihrer Heimat einfangen. Dazu befragten sie die Menschen, wie sie zur chinesisch­en Herrschaft und zum Dalai Lama stünden.

Doch wie war es überhaupt möglich, angesichts der allgegenwä­rtigen chinesisch­en Repression Interviewp­artner zu finden? Dhondup Wangchen lacht, und der Stolz auf seine Landsleute schwingt unverhohle­n mit: „Gar kein Problem. Selbstvers­tändlich habe ich alle meine Interviewp­artner über meine Absichten informiert. Ich habe ihnen auch angeboten, sie nicht zu zeigen. Die meisten aber wollten unbedingt gezeigt werden und für ihre Sache eintreten, egal was es koste.“

Unbemerkt von den Behörden führten Dhondup Wangchen und Jigme Gyatso 108 Interviews – eine für die Tibeter heilige Zahl. Befragt wurden Nomaden, Bauern, Mönche, Studenten, Geschäftsl­eute, Männer und Frauen, Junge und Alte. Am Ende standen über 100 Stunden Filmmateri­al, das auf abenteuerl­ichen Wegen außer Landes geschafft wurde. „Leaving Fear Behind“(Die Furcht zurücklass­en), lautet der Titel des Films, der innerhalb kurzer Zeit in über 30 Ländern gezeigt wurde. Alle Männer und Frauen, die darin zu Wort kommen, beklagen Unterdrück­ung, Diskrimini­erung und Marginalis­ierung durch die chinesisch­e Besetzung. Alle sprechen sich für die Rückkehr des Dalai Lama aus, den sie als ihr legitimes Oberhaupt betrachten.

Am Ende wurde der Filmemache­r wegen „Anstiftung zur Untergrabu­ng der Staatsmach­t“zu sechs Jahren Haft verurteilt. Es war, als wollte die allmächtig­e Kommunisti­scher Partei die Bedeutung seiner Arbeit damit nachträgli­ch bestätigen.

Die Haft musste Dhondup Wangchen bis auf den letzten Tag absitzen, doch auch über diese Zeit jammert er nicht: „Generell werden politische Gefangene noch schlimmer behandelt als gewöhnlich­e Kriminelle. Ich musste während der ganzen Zeit 16 bis 17 Stunden pro Tag Zwangsarbe­it leisten. Mir hat in gewisser Weise mein Stolz geholfen zu überleben. Ich wusste, dass ich nicht im Gefängnis war, weil ich etwas Böses oder Selbstsüch­tiges getan hatte. Ich war dort, weil ich meinem Volk gedient hatte.“2014 wurde Dhundop Wangchen entlassen, Ende 2017 traf er nach abenteuerl­icher Flucht in San Francisco ein, wo sich seine Familie inzwischen niedergela­ssen hatte.

 ?? FOTO: FILMING FOR TIBET ?? Dhondup Wangchen (3. von rechts) lebt nach seiner Flucht aus China in den USA wieder mit seiner Familie zusammen.
FOTO: FILMING FOR TIBET Dhondup Wangchen (3. von rechts) lebt nach seiner Flucht aus China in den USA wieder mit seiner Familie zusammen.

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