„Eklatantes Versagen“
Beamte des Beschaffungsamtes der Bundeswehr fühlen sich gegängelt und klagen über fehlende Schwerpunktbildung.
BERLIN/KOBLENZ Jens Obermeyer und Angela Merkel haben viel gemeinsam. Obwohl er einer von 10.000 Beamten des Koblenzer Bundeswehr-Beschaffungsamtes ist und sie die Bundeskanzlerin. Doch sie eint die Überzeugung, wie die Bundeswehr und die europäische Verteidigung besser werden könnten: „Es fehlt die Schwerpunktbildung“, sagt der Koblenzer. Und die Regierungschefin moniert, dass die europäischen Streitkräfte 178 Waffensysteme hätten, die amerikanischen dagegen weniger als 50. Merkel liest daraus, „wie ineffizient unsere Gelder ausgegeben werden“, Obermeyer beklagt ein „eklatantes Führungsversagen“.
Die Koblenzer haben einen lädierten Ruf: viel zu umständlich, ohne Übersicht. Als Ursula von der Leyen ihr Amt als Verteidigungsministerin antrat, suspendierte sie zahlreiche Rüstungsprojekte, weil ihr die Bürokratie keine Kosten, Zeitpläne und Risiken nennen konnte. Als Konsequenz bekam die neue Rüstungsstaatssekretärin, die Unternehmensberaterin Katrin Suder, freie Hand, der alten Administration moderne Management-Methoden einzuflößen. Als Ergebnis geht in Koblenz nun der Frust um.
„Das Kernproblem ist, dass die Mitarbeiter keine Freiheit für Entscheidungen mehr haben, dass alles bis ins Detail kontrolliert wird, seit Frau Suder das Mikromanagement eingeführt hat,“sagt Obermeyer. Er spricht dabei auch als Vorsitzender für den Verband des Technischen Dienstes der Bundeswehr. Doch seine Kritik richtet sich nicht nur gegen die Leitungsebenen in Ministerium und Bundesamt. Auf die Palme hat ihn auch die provokativ geschaltete Stellenanzeige eines Kollegen gebracht, der „wegen mangelnder Beschäftigung einen neuen Wirkungskreis“suchte. Auf den Einzelfall will Obermeyer nicht eingehen, doch dem Eindruck von Stillstand und Unterbeschäftigung umso entschiedener entgegentreten. 90 Prozent der Mitarbeiter seien „hochmotiviert und sehr fleißig“.
Dass es sich in Koblenz um eine Mammutbehörde handelt, verrät bereits der sperrige Name: Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, kurz BAAINBw. Die Versuche der politischen Führung, hier für mehr Transparenz, schnellere Abläufe und bessere Verträge zu sorgen, hat für das Gegenteil gesorgt. Obermeyer nennt als Beispiel die Entscheidung darüber, auf welche Weise eine Beschaffung erfolgen soll: „Das dauert nicht mehr zwei Tage wie früher, sondern zwei Monate.“Denn nun müsse alles mehrfach überprüft und bei Parlamentsvorgaben externe Anwaltskanzleien hinzugezogen werden. Die Begründung der Vergabe-Art passe auch nicht mehr auf eine halbe Seite, sondern umfasse mehr als ein Dutzend Blätter.
Suder hat die Bundeswehr wieder verlassen, das Gefühl einer neuen Gängelei ist in Koblenz geblieben. Und der Zweifel, ob die Abläufe aus der privaten Wirtschaft mit professioneller Bestellsoftware ohne Weiteres auf die Bundeswehr übertragen werden können. „Mögen Großbetriebe die Beschaffung von 600 Artikeln gut abgewickelt bekommen, bei uns sind es Millionen – vom Schnürsenkel bis zum Eurofighter“, unterstreicht Obermeyer.
Und er macht auf ein weiteres Problem aufmerksam, das mit aufgestocktem Verteidigungsetat nicht aus der Welt zu schaffen sei: Zum einen fehlten allein 1000 Mitarbeiter, und dann müsse auch die Industrie erst aufwachsen, um die Aufträge überhaupt abwickeln zu können. „Die Industrie ist auf wenige Monopolisten geschrumpft, da ist kaum noch ein funktionierender Markt“, erläutert Obermeyer. Das komme davon, wenn man über Jahre hinweg „nur noch in homoöpathischen Dosen Wehrtechnik bestellt“.
Tatsächlich ist die Zahl der Mitarbeiter in der wehrtechnischen Industrie in Deutschland seit dem Fall der Mauer von 250.000 auf rund 80.000 gesunken. Da nutzt es nichts, den Verteidigungshaushalt um noch eine und noch eine Milliarde aufzustocken, um die „hohlen“Strukturen beim Bund mit modernen Waffensystemen zu füllen. Da müssen auch bei der Industrie erst wieder die Kapazitäten bei Personal und Produktion hochgefahren werden.
Obermeyer kritisiert zudem das Denken jedes Kommandeurs, über alle Fähigkeiten selbst verfügen zu wollen. „So müssen denn in winzigen Stückzahlen Zehntausende von Spezialausstattungen beschafft werden“, berichtet der Verbandschef. Er verweist etwa auf spezielle Atemschutzmasken für Hunde, die mit ihren Herrchen vom Kommando Spezialkräfte aus 10.000 Metern abspringen. Bei dieser Breite und der kleinen Anzahl fehle es an der Durchhaltefähigkeit auf dem jeweiligen Gebiet. „Das ließe sich innerhalb der Nato und innerhalb Europas auch arbeitsteilig und damit besser regeln“, lautet der dringende Appell des Rüstungsbeschaffers.
Das weiß auch die oberste Rüstungsbestellerin. Merkel kündigte an, ein gemeinsames europäisches Kampfflugzeug zu entwickeln und die parallele Verwendung von Eurofighter und Rafale abzulösen. „Wir werden auf eine Vereinheitlichung in Europa hinwirken“, sagte Merkel bei ihrer Sommerpressekonferenz. Als Zeitrahmen nannte sie „Jahre“, korrigierte sich dann aber sofort: „Man muss sagen: Jahrzehnte.“