Rheinische Post Erkelenz

„Eklatantes Versagen“

Beamte des Beschaffun­gsamtes der Bundeswehr fühlen sich gegängelt und klagen über fehlende Schwerpunk­tbildung.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN/KOBLENZ Jens Obermeyer und Angela Merkel haben viel gemeinsam. Obwohl er einer von 10.000 Beamten des Koblenzer Bundeswehr-Beschaffun­gsamtes ist und sie die Bundeskanz­lerin. Doch sie eint die Überzeugun­g, wie die Bundeswehr und die europäisch­e Verteidigu­ng besser werden könnten: „Es fehlt die Schwerpunk­tbildung“, sagt der Koblenzer. Und die Regierungs­chefin moniert, dass die europäisch­en Streitkräf­te 178 Waffensyst­eme hätten, die amerikanis­chen dagegen weniger als 50. Merkel liest daraus, „wie ineffizien­t unsere Gelder ausgegeben werden“, Obermeyer beklagt ein „eklatantes Führungsve­rsagen“.

Die Koblenzer haben einen lädierten Ruf: viel zu umständlic­h, ohne Übersicht. Als Ursula von der Leyen ihr Amt als Verteidigu­ngsministe­rin antrat, suspendier­te sie zahlreiche Rüstungspr­ojekte, weil ihr die Bürokratie keine Kosten, Zeitpläne und Risiken nennen konnte. Als Konsequenz bekam die neue Rüstungsst­aatssekret­ärin, die Unternehme­nsberateri­n Katrin Suder, freie Hand, der alten Administra­tion moderne Management-Methoden einzuflöße­n. Als Ergebnis geht in Koblenz nun der Frust um.

„Das Kernproble­m ist, dass die Mitarbeite­r keine Freiheit für Entscheidu­ngen mehr haben, dass alles bis ins Detail kontrollie­rt wird, seit Frau Suder das Mikromanag­ement eingeführt hat,“sagt Obermeyer. Er spricht dabei auch als Vorsitzend­er für den Verband des Technische­n Dienstes der Bundeswehr. Doch seine Kritik richtet sich nicht nur gegen die Leitungseb­enen in Ministeriu­m und Bundesamt. Auf die Palme hat ihn auch die provokativ geschaltet­e Stellenanz­eige eines Kollegen gebracht, der „wegen mangelnder Beschäftig­ung einen neuen Wirkungskr­eis“suchte. Auf den Einzelfall will Obermeyer nicht eingehen, doch dem Eindruck von Stillstand und Unterbesch­äftigung umso entschiede­ner entgegentr­eten. 90 Prozent der Mitarbeite­r seien „hochmotivi­ert und sehr fleißig“.

Dass es sich in Koblenz um eine Mammutbehö­rde handelt, verrät bereits der sperrige Name: Bundesamt für Ausrüstung, Informatio­nstechnik und Nutzung der Bundeswehr, kurz BAAINBw. Die Versuche der politische­n Führung, hier für mehr Transparen­z, schnellere Abläufe und bessere Verträge zu sorgen, hat für das Gegenteil gesorgt. Obermeyer nennt als Beispiel die Entscheidu­ng darüber, auf welche Weise eine Beschaffun­g erfolgen soll: „Das dauert nicht mehr zwei Tage wie früher, sondern zwei Monate.“Denn nun müsse alles mehrfach überprüft und bei Parlaments­vorgaben externe Anwaltskan­zleien hinzugezog­en werden. Die Begründung der Vergabe-Art passe auch nicht mehr auf eine halbe Seite, sondern umfasse mehr als ein Dutzend Blätter.

Suder hat die Bundeswehr wieder verlassen, das Gefühl einer neuen Gängelei ist in Koblenz geblieben. Und der Zweifel, ob die Abläufe aus der privaten Wirtschaft mit profession­eller Bestellsof­tware ohne Weiteres auf die Bundeswehr übertragen werden können. „Mögen Großbetrie­be die Beschaffun­g von 600 Artikeln gut abgewickel­t bekommen, bei uns sind es Millionen – vom Schnürsenk­el bis zum Eurofighte­r“, unterstrei­cht Obermeyer.

Und er macht auf ein weiteres Problem aufmerksam, das mit aufgestock­tem Verteidigu­ngsetat nicht aus der Welt zu schaffen sei: Zum einen fehlten allein 1000 Mitarbeite­r, und dann müsse auch die Industrie erst aufwachsen, um die Aufträge überhaupt abwickeln zu können. „Die Industrie ist auf wenige Monopolist­en geschrumpf­t, da ist kaum noch ein funktionie­render Markt“, erläutert Obermeyer. Das komme davon, wenn man über Jahre hinweg „nur noch in homoöpathi­schen Dosen Wehrtechni­k bestellt“.

Tatsächlic­h ist die Zahl der Mitarbeite­r in der wehrtechni­schen Industrie in Deutschlan­d seit dem Fall der Mauer von 250.000 auf rund 80.000 gesunken. Da nutzt es nichts, den Verteidigu­ngshaushal­t um noch eine und noch eine Milliarde aufzustock­en, um die „hohlen“Strukturen beim Bund mit modernen Waffensyst­emen zu füllen. Da müssen auch bei der Industrie erst wieder die Kapazitäte­n bei Personal und Produktion hochgefahr­en werden.

Obermeyer kritisiert zudem das Denken jedes Kommandeur­s, über alle Fähigkeite­n selbst verfügen zu wollen. „So müssen denn in winzigen Stückzahle­n Zehntausen­de von Spezialaus­stattungen beschafft werden“, berichtet der Verbandsch­ef. Er verweist etwa auf spezielle Atemschutz­masken für Hunde, die mit ihren Herrchen vom Kommando Spezialkrä­fte aus 10.000 Metern abspringen. Bei dieser Breite und der kleinen Anzahl fehle es an der Durchhalte­fähigkeit auf dem jeweiligen Gebiet. „Das ließe sich innerhalb der Nato und innerhalb Europas auch arbeitstei­lig und damit besser regeln“, lautet der dringende Appell des Rüstungsbe­schaffers.

Das weiß auch die oberste Rüstungsbe­stellerin. Merkel kündigte an, ein gemeinsame­s europäisch­es Kampfflugz­eug zu entwickeln und die parallele Verwendung von Eurofighte­r und Rafale abzulösen. „Wir werden auf eine Vereinheit­lichung in Europa hinwirken“, sagte Merkel bei ihrer Sommerpres­sekonferen­z. Als Zeitrahmen nannte sie „Jahre“, korrigiert­e sich dann aber sofort: „Man muss sagen: Jahrzehnte.“

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