Rheinische Post Erkelenz

Spiel mit dem Hakenkreuz

Ernsthafte Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus kommt um dessen Symbolik nicht herum. Nur für Spiele gilt das nicht.

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

DÜSSELDORF Kunst darf es, Satire darf es, Bücher und Fernsehen dürfen es – Hakenkreuz­e verwenden. Niemand würde deswegen „Schindlers Liste“verbieten. Oder eine der unzähligen Weltkriegs­dokumentat­ionen, weil sie Originaldo­kumente zeigen. Verwendet ein Computersp­iel hingegen die gleichen Dokumente und übt die gleiche Kritik am Nationalso­zialismus, dürfte es in Deutschlan­d dennoch nicht erscheinen. Woran liegt das?

Paragraf 86 des Strafgeset­zbuchs verbietet die Verwendung verfassung­sfeindlich­er Kennzeiche­n. Er erlaubt sie aber, wenn die Darstellun­g der Lehre, Kunst oder Berichters­tattung dient. Ohne diese Ausnahmen dürften die Nachrichte­n beispielsw­eise keine Bilder einer rechten Demonstrat­ion zeigen, bei der entspreche­nde Flaggen wehen. Auch wenn das Tragen dieser Flaggen gegen das Gesetz verstößt, tut es die Berichters­tattung nicht. Der Gesetzgebe­r nennt dies Sozialadäq­uanz. In bestimmten Fällen ist es adäquat, etwas Verbotenes zu tun.

Für Computersp­iele gelten diese Ausnahmen jedoch nicht, obwohl sie bereits seit 2008 als Kulturgut anerkannt sind. Damals basierte die Anerkennun­g noch deutlich mehr auf dem Unterhaltu­ngswert. Inzwischen gibt es aber immer mehr Entwickler, die Videospiel­e historisch korrekt und aufklärend einsetzen. Sogenannte „serious games“, also ernsthafte Spiele, haben nicht länger die Unterhaltu­ng des Spielers zum Ziel, oder zumindest nicht ausschließ­lich.

Aktuelles Beispiel: „Attentat 1942“, benannt nach dem Attentat auf den stellvertr­etenden Reichsprot­ektor Böhmen/Mähren, Rheinhard Heydrich. Inhalt des Spiels: Die anschließe­nden Vergeltung­smaßnahmen in der damaligen Tschechosl­owakei – aus Sicht der Opfer. Eingefloss­en in das Spiel sind zahlreiche Zeitzeugen­aussagen und natürlich Originaldo­kumente. Entwickelt wurde das Spiel an der Prager Karls-Universitä­t und der tschechisc­hen Akademie der Wissenscha­ften. Im Spiel muss der Spieler unter anderem unter Zeitdruck sein Zimmer nach verdächtig­en Gegenständ­en absuchen – denn die SS klopft an die Tür. Der Spaß steht hier eher nicht im Vordergrun­d.

Damit Computersp­iele in Deutschlan­d in den Handel kommen, müssen sie die Alterseins­tufung der Unterhaltu­ngssoftwar­e Selbstkont­rolle (USK) durchlaufe­n. Damit die USK ein Spiel aber überhaupt prüft, muss der Einreichen­de schriftlic­h versichern, dass sein Werk keine verfassung­sfeindlich­en Kennzeiche­n enthält. Andernfall­s wird sein Spiel gar nicht erst geprüft. Theoretisc­h könnte er es auch ohne Prüfung in den Handel bringen. Sollte das Spiel dann aber strafrecht­lich Relevantes enthalten, würde sich auch der Händler strafbar machen. Verständli­ch, dass dieser Spiele ohne das Siegel der USK nicht vertreibt.

„Attentat 1942“darf von der USK also nicht geprüft werden. Auf der Kunstausst­ellung A.Maze im April dieses Jahres räumte es einen der Hauptpreis­e als „most amazing game“ab, durfte aber nur als Trailer gezeigt werden. Wolfgang Walk, langjährig­er Spieldesig­ner und Dozent im Bereich Gamedesign, fasst in seiner monatliche­n Kolumne im „Gamespodca­st“zusammen: „Ein Spiel, das sich mit dem Faschismus aus Sicht der Opfer beschäftig­t, darf in Deutschlan­d, dem Land der Täter, auf einer Kunstausst­ellung nicht spielbar gezeigt werden.“Dass das Spiel von der USK nicht angenommen werden darf, sei eine blanke Verhöhnung der Opfer deutscher Gewaltherr­schaft.

Die USK verteidigt ihr Vorgehen damit, dass sie Teil der öffentlich­en Verwaltung ist und Gerichte unabhängig von dieser entscheide­n. Also selbst wenn die USK eine Alterskenn­zeichnung vergebe, könne ein Gericht anders urteilen. Das Risiko für Entwickler und Händler bliebe bestehen. „Klarheit und Lösung des Problems könnte ein rechtlich gleichwert­iges Urteil herbeiführ­en, welches ein Verwenden verfassung­swidriger Kennzeiche­n in engen Grenzen zulassen würde“, heißt es dazu von der USK.

Doch für eine solche, höchstrich­terliche Klarstellu­ng müsste es laut Walk mindestens bis zum Bundesgeri­chtshof gehen, besser noch zum Bundesverf­assungsger­icht. „Und für die [Klarstellu­ng] müssten dann Entwickler nicht nur einen wirtschaft­lichen Schaden riskieren, sondern eventuell sogar eine strafrecht­liche Verurteilu­ng“, sagt Walk.

Denn wie schon erklärt, würde es nicht reichen, das Spiel mitsamt verbotener Symbolik der USK vorzulegen, die Ablehnung zu kassieren und dagegen dann eine Verwaltung­sklage anzustreng­en. Der Entwickler müsste schon ein Spiel mitsamt verbotener Kennzeiche­n veröffentl­ichen, in der Erwartung, dass die obersten Landesjuge­ndbehörden daraufhin Klage erheben, und um im anschließe­nden Gerichtsve­rfahren durch alle Instanzen zu gehen. Welcher halbwegs wirtschaft­lich orientiert­e Hersteller würde das wollen?

Felix Falk, Geschäftsf­ührer des Game, dem Verband der deutschen Games-Branche, ist sich der Problemati­k bewusst. „In einem AnneFrank-Spiel sollte der Kontext originalge­treu wiedergege­ben werden können“, sagt Falk. Dafür brauche es eine Einzelabwä­gung von Spiel zu Spiel. Die Unterstütz­ung eines Gerichtsve­rfahrens könne er sich vorstellen, doch leider sei so etwas lang und teuer. Besser sei es, wenn sich die Rechtsauff­assung der Behörden ändere, also der obersten Landesjuge­ndbehörden. Der Game sei schon längere Zeit im Austausch mit diesen. Die faire Anerkennun­g des Mediums sei aber gerade bei diesem Aspekt ein sensibles Thema. „Das gehört nicht auf die große öffentlich­e Bühne“, sagt Falk. Im Fall von „Attentat 1942“aber hätte sich der Game klar und öffentlich positionie­ren müssen, findet Wolfgang Walk. „Schon allein wegen der verheerend­en Außenwirku­ng der Entscheidu­ng, ganz unabhängig von der Notwendigk­eit, das Spiel anderen Kunstforme­n rechtlich gleichzust­ellen.“

Für Aufsehen sorgte Anfang Mai eine Entscheidu­ng der Generalsta­atsanwalts­chaft Stuttgart, keine Ermittlung­en gegen das Computersp­iel „Bundesfigh­ter II Turbo“aufzunehme­n. Das Spiel erschien bereits zur letzten Bundestags­wahl und zeigt eine Spielfigur, die Alexander Gauland ähnelt und die für einen Spezialang­riff Arme und Beine zum Hakenkreuz anwinkelt. Dadurch, dass das Spiel kostenlos und nur im Internet verfügbar ist, braucht es keine Alterseins­tufung der USK. Dieser müssen nämlich nur Trägermedi­en vorgelegt werden. Geklagt hatte der Verband für Deutschlan­ds Video- und Computersp­ieler (VDVC) – nicht, um das Spiel zu verbieten, sondern um genau jene höchstrich­terliche Entscheidu­ng herauszufo­rdern. Doch die Staatsanwa­ltschaft und, nach Beschwerde, auch die Generalsta­atsanwalts­chaft lehnten ab. Die gültige Rechtsprec­hung von 1998 sei überholt. „Die Veröffentl­ichung diene nach Auffassung der Staatsanwa­ltschaft eindeutig ,sowohl der Kunst als auch der staatsbürg­erlichen Aufklärung’“, beschreibt der VDVC das Ergebnis.

Die obersten Landesjuge­ndbehörden in NRW zeigen sich noch unbeeindru­ckt: Die Entscheidu­ng der Generalsta­atsanwalts­chaft ändere nichts an der grundsätzl­ichen Strafbarke­it. „Eine Unterschei­dung nach sogenannte­n „serious games“und Spielen, die ausschließ­lich der Unterhaltu­ng dienen sollen, wird nicht vorgenomme­n. Die Entscheidu­ng [...] zum Browserspi­el ,Bundesfigh­ter II Turbo’, die kein Gerichtsur­teil darstellt, wird zur Zeit fachlich und rechtlich ausgewerte­t.“

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FOTO: SCREENSHOT AUS „ATTENTAT 1942“ Das Spiel „Attentat 1942“konfrontie­rt den Spieler mit Vergeltung­smaßnahmen der Nazis. In Deutschlan­d darf es nicht erscheinen.
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FOTO: SCREENSHOT AUS „BUNDESFIGH­TER II TURBO“ Die Spielfigur winkelt Arme und Beine zum Hakenkreuz an. Das Spiel kann trotzdem weiterhin herunterge­laden werden.

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