Jetzt gibt’s Saures
„Schmeckt wie Essig“ist kein Kompliment für ein Getränk, doch als neuer Trend landet Essig in Drinks und Cocktails. Die bestechen besonders durch eine milde, erfrischende Säure
Der Gedanke ist für viele gewöhnungsbedürftig, und ehe die Leute das Glas zum Mund heben, verziehen sie schon das Gesicht. Diese Erfahrung hat Jochen Wilcke, der als „Ölpapst“mit hochwertigen Ölen und Essigen handelt, oft selbst gemacht. Bietet er Kunden bei einer Verkostung einen Orangen- oder Himbeeressig an, schütteln sich erst mal alle, ehe sie dann doch zugreifen.
Denn Essig ist nicht gleich Essig und in diesem Sommer als Zutat in Longdrinks, Cocktails oder Schorlen eine geschätzte und erfrischende Zutat. Wilcke hat für solche kulinarischen Experimente die richtigen Sorten im Programm, die zwar im Salat oder als Aromageber in Speisen, aber auch im Glas schmecken. Das Geheimnis: Sie haben mit nur 3,5 Prozent viel weniger Säure als andere Sorten. Ein normaler Speiseessig liegt bei sechs Prozent und höher, und bei denen käme man nicht auf die Idee, sie zu trinken. Wilcke aber hat zum Beispiel einen sirupartigen Himbeer-Balsam (zehn Euro für 0,25 Liter), der mit fruchtiger Süße und zarter Säure daherkommt. Oder einen Orangenessig, der eine bittere Süße mitbringt. Die Essige, mit denen der Remscheider Sterneköche im ganzen Land beliefert, kommen aus Deutschland – woher genau, mag Wilcke nicht sagen. Geschäftsgeheimnis. Wichtig für den Umgang mit seinen Produkten: Man sollte nichts in dem Essig baden, schon Tröpfchen genügen, damit sich die Fruchtaromen verbreiten.
Trinkessige sind gar nicht so ungewöhnlich. In einem großem Menü werden sie als Zwischengetränk oder als Aperitif gereicht – wichtig ist ein geringer Säuregehalt. Fruchtessige sind dafür besonders geeignet. Wie Saures von der Quitte, Apfel, Birne, schwarzen Johannisbeere oder Wildkirsche. Auch als Aroma-Bombe für Drinks eignen sie sich, bringen sie doch Süße und Säure mit. Wilcke zum Beispiel empfiehlt, seinen bitter-herben Grapefruitessig mit eisgekühltem Prosecco zu kombinieren. Oder warum sollte man ihn nicht mit Tonic im Glas zusammenbringen? Oder man genießt den Kir mal nicht mit Cassis-Likör, sondern einem Cassis-Essig. Das erfordert ein wenig Offenheit und Innovationsfreude, und man muss sich immer klar machen: Man benutzt dafür hochwertige, milde Fruchtessige – und nicht das übriggebliebene Wasser der Essiggurken.
Ein alkoholfreies Sommergetränk, das auch noch sehr gesund sein soll, ist der „Switchel“. Dafür mixt man Wasser mit mildem Apfelessig und Zitrone, aromatisiert mit Ingwerscheiben und süßt mit Honig oder Ahornsirup. Apfelessig gilt als basisches Lebensmittel, soll Pilze, Bakterien und Viren eindämmen. Für das Getränk benötigt man 100 Gramm Ingwer (geschält und klein geschnitten), 75 Gramm Honig oder Ahornsirup, 50 Milliliter Apfelessig, 70 Milliliter Zitronensaft und 600 Milliliter Wasser. Man kocht das Wasser auf, gibt den Ingwer dazu und lässt den Sud zwei Minuten ziehen. Dann gießt man ihn ab und gibt die anderen Zutaten dazu. Man kann den „Switchel“kalt und warm trinken.
Die Idee einer solchen Essiglimonade ist nicht neu: Schon im 17. Jahrhundert tranken amerikanische Farmer das Getränk zur Erfrischung während und nach der Feldarbeit. So kam der Drink zu seinem zweiten Namen „Heumacher-Punsch“(Haymakers Punch). Wer noch nie eine Sense geschwungen hat und nur kleine Tätigkeiten auf dem Balkon erledigen muss, der darf sich für den „Sundowner“einen Schuss Gin und ein paar Eiswürfel zum „Switchel“ins Glas tun. Als Variante eignen sich auch ein Schuss Orangensaft oder Erdbeerpüree und Limettensaft.
Für solch einen „Switchel“wäre auch Wilckes Apfelessig gut geeignet. Sortenrein aus 100 Prozent Boskop (0,5 Liter für zwölf Euro) hergestellt, schmeckt er mild und fruchtig. „Der beißt nicht in der Nase“, betont Wilcke. Und das Gesicht muss auch niemand verziehen. Eigentlich könnte man ihn einfach auch als Schorle trinken.