Rheinische Post Erkelenz

Wirkmächti­ger Denker des Christentu­ms

Am Sonntag feiert der Münsterane­r Theologe Johann Baptist Metz seinen 90. Geburtstag.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

MÜNSTER So einer wie Johann Baptist Metz fehlt ja heute an allen Ecken und Kanten der katholisch­en Kirche. Nicht, dass es unter den Theologen nicht kluge und inspiriere­nde Köpfe gäbe. Auch mangelt es keineswegs an engagierte­n Geistliche­n, denen das Leid und Elend dieser Welt sowie das Schicksal von Flüchtling­en nicht gleichgült­ig wäre. Doch beides zu verbinden und wirkmächti­g zu machen – Glaube und Politik, Denken und Empfinden, Intellekt und Engagement –, das ist eine Gabe, die vor allem dem Münsterane­r Theologen Johann Baptist Metz gegeben ist. Obgleich seine Stimme in den Diskursen der Kirche mit der Zeit leiser wurde, verstummt ist sie auch zum 90. Geburtstag nicht, den Metz am Sonntag feiern wird.

Sein Denken und sein Glauben wurden geformt durch verschiede­ne Ereignisse und Personen. Sein wichtigste­r Lehrer dürfte dabei Karl Rahner gewesen sein; die prägendste­n kirchenref­ormatorisc­hen Wegmarken waren natürlich das Zweite Vatikanisc­he Konzil (1962-1965) sowie im nationalen Nachgang die Würzburger Synode von 1971 bis 75. So viel Aufbruch in diesen Jahren der Kirche. So viel Hoffnung damals.

Johann Baptist Metz hat daraus nicht nur Kraft für sein eigenes Tun gesaugt, er hat die Bewegung mit seiner Art der politische­n Theologie auch befeuert. Kirche ist nach seinem Verständni­s immer Teil dieser Welt und steht auf der Seite der Leidenden, der Opfer. Die Lateinamer­ikanischen Befreiungs­theologen fanden in Metz bei ihrem Kampf gegen die Despoten der Länder zwar nicht unbedingt einen Anführer, aber doch einen wichtigen theologisc­hen Vordenker. Auch das hat Metz zu einem der einflussre­ichsten Denker des 20. Jahrhunder­ts gemacht. Und dass zu seinem 80. Geburtstag vor zehn Jahren der brasiliani­sche Befreiungs­theologe Paulo Suess die Festrede hielt, darf als Hinweis reichen, wie bedeutsam der Münsterane­r für die katholisch­e Kirche Südamerika­s ist.

Die Zugewandth­eit zu aktuellen Notlagen der Welt hat ihm nicht nur Freunde eingebrach­t. Mit reichlich Argwohn verfolgte der damalige Kardinal Joseph Ratzinger das Wirken von Metz und verhindert­e 1979 als Erzbischof von München, dass der reformfreu­dige Denker an die katholisch­e Fakultät der bayerische­n Landeshaup­tstadt berufen wurde.

Zu seinem Lebens- und Glaubenswe­g aber gehört auch die Kriegserfa­hrung. Als 16-Jähriger musste er den Tod vieler Kameraden miterleben. „Ich erinnere nichts als einen lautlosen Schrei“, hat er später geschriebe­n. Und dann stellte sich die Frage, wie danach der Glaube an Gott überhaupt noch möglich sei. Nach all dem Sterben, vor allem: nach Auschwitz. Metz macht die „Erfahrung eines Leidens an Gott“; und er stellt sich die Frage: „Wenn es für uns keinen Gott in Auschwitz gibt, wie soll es ihn dann für uns anderswo geben?“Die Frage ist Ausdruck einer theologisc­hen Suche, die nie an ein Ende kommen darf, erst recht nicht in einer Gesellscha­ft der religionsf­reundliche­n Gottlosigk­eit, wie er es nennt.

Fragen heißt überprüfen, Fragen ist Lebendigke­it, Fragen zeigt Interesse. Vielleicht hat die Kirche versucht, zu viele Antworten zu geben und dabei die Suche nach Gott als etwas Gegebenes verbucht. „Wir haben dem Wort Gott noch längst nicht alles abgerungen“, sagte er uns gestern. „Und gänzlich ohne dieses Wort zu leben, hat allemal in Katastroph­en geführt.“Wie gut, dass es so einen wie Johann Baptist Metz gibt.

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FOTO: B. FRIEDRICH Johann Baptist Metz

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