Rheinische Post Erkelenz

Bei Thyssenkru­pp läuten die Alarmglock­en

Der NRW-Verkehrsmi­nister und Chef des Wirtschaft­sflügels der NRW-CDU über die Lage beim Essener Konzern.

-

Vorstandsv­orsitzende­r und Aufsichtsr­atsvorsitz­ender sind zurückgetr­eten, weil Investoren die Zerschlagu­ng des Konzerns fordern und offenbar enormen Druck ausüben. Die Nachfolge ist ungeordnet und zu allem Überfluss gibt es noch eine Gewinnwarn­ung.

Wer glaubt, dies sei allein ein Fall für die Wirtschaft­smeldungen, irrt sich gewaltig. Schon die Methoden, der als „aktionisti­schen Aktionäre“nur allzu mild beschriebe­nen Finanzinve­storen, geben ausreichen­d Stoff für Kriminalro­mane her. Wenn ein erfahrener und erfolgreic­her Industriek­apitän, wie der nun zurückgetr­etene Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Ulrich Lehner, von Psychoterr­or, bewusst platzierte­n Unwahrheit­en, unberechti­gten Rücktritts­forderunge­n und sogar von Belästigun­gen von Nachbarn und Familienmi­tgliedern spricht, dann erscheinen Berichte plausibel, nach denen die gleichen Investoren nicht davor zurückschr­ecken, Detektive auf Manager ihrer eigenen Firmen anzusetzen, um diese dann mit den Ergebnisse­n persönlich unter Druck zu setzen. Die „aktionisti­schen Investoren“setzen mit diesen Methoden darauf, dass Topmanager die Nerven verlieren und den Widerstand gegen die Zerschlagu­ng ihrer Unternehme­n aufgeben.

Nicht jede Ausglieder­ung eines Geschäftsb­ereiches ist per se falsch. Es gibt auch in Deutschlan­d gute

Beispiele wie etwa

Osram, die früher zu Siemens gehörten. Erfolgreic­he Konzerne sind lebende Strukturen, die sich immer weiter entwickeln müssen. Aber, dass es den Finanzinve­storen eben nicht um Weiterentw­icklung, sondern häufig um Zerschlagu­ng um jeden Preis geht, muss eine kritische Betrachtun­g ihres Gebarens und ihrer Ziele auslösen.

Im Übrigen sind sie längst nicht immer erfolgreic­h: Ein Jahr, nach dem der nun auch bei Thyssenkru­pp aktive Investor Elliott, den deutschen Manager Klaus Kleinfeld beim US-Unternehme­n Arconic aus der Führung verdrängt hatte, bewegte sich der Aktienkurs weit unter dem Niveau während Kleinfelds Amtszeit.

Es geht aber um mehr als die Zukunft einzelner

Konzerne.

Die Alarmglock­e bei Thyssenkru­pp ist die Einleitung­sglocke für die Zerschlagu­ng deutscher Konzernstr­ukturen durch angelsächs­ische Finanzinve­storen. Sie haben die Deutschlan­d AG schon lange im Fadenkreuz und sind längst an einer Vielzahl von deutschen Unternehme­n beteiligt.

Mit der sozialen Marktwirts­chaft als Wirtschaft­s- und Gesellscha­ftsmodell haben sie nichts gemein. Ihnen geht es allein um Shareholde­r Value, nicht um Unternehme­nswerte. Das konsensori­entierte Modell der Sozialen Marktwirts­chaft steht hier dem schieren Aktionärsk­apitalismu­s gegenüber. Das maßlose Gewinnstre­ben ohne gesellscha­ftspolitis­che Verantwort­ung steht dem Postulat von Maß und Mitte diametral gegenüber.

Die soziale Marktwirts­chaft ist die Grundlage unseres Wohlstands in Deutschlan­d. Sie hat breiten Teilen der Bevölkerun­g zu ihrem ökonomisch­en Aufstieg und zu vielfältig­er Teilhabe verholfen. Wir müssen den Finanzinve­storen und Fonds etwas entgegen setzen. Politik, Wirtschaft­sverbände, Gewerkscha­ften und Kammern sollten eine Debatte darüber beginnen, wie wir die Wirtschaft­sund Gesellscha­ftsordnung der sozialen Marktwirts­chaft effektiv verteidige­n können und gleichzeit­ig attraktiv für ausländisc­he Investoren bleiben.

Ob dabei die rechtliche Stärkung von Unternehme­nsvorständ­en und Aufsichtsr­äten, eine stärkere Mitbestimm­ung, die Verschärfu­ng des Übernahmeg­esetzes oder andere Vorschläge der richtige Weg sind, wird zu diskutiere­n sein.

Überhören sollte man die Alarmglock­en aus dem Ruhrgebiet nicht. Ihr Echo könnte sich sonst in naher Zukunft wie die Totenglock­e der sozialen Marktwirts­chaft anhören.

 ?? FOTO: END ?? Hendrik Wüst.
FOTO: END Hendrik Wüst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany