Rheinische Post Erkelenz

Leben in der Bude

Die NDR-Reportage „Landliebe statt Landfrust“zeigt, wie sich Dorfbewohn­er gegen das Sterben ihrer Orte wehren.

- VON TILMANN P. GANGLOFF

HAMBURG Erst schließt die Schule, dann findet der Dorfarzt keinen Nachfolger, der Bus fährt immer seltener, und schließlic­h macht auch der einzige Lebensmitt­elladen dicht: ein ganz normales Dorfschick­sal in diesen Tagen. Weil die jungen Leute wegziehen, bleiben irgendwann nur noch die Alten übrig; die Dörfer sterben aus. Babette Sdun und Felix Meschede zeigen in ihrer Reportage, wie sich zwei Dörfer gegen diesen Trend stemmen.

Im niedersäch­sischen Oberndorf, einem Ort mit 1.400 Einwohnern im Landkreis Cuxhaven, begleitet das Autorenduo ein junges Elternpaar bei ihrer Initiative, die örtliche Schule neu zu eröffnen; die pensionier­te Schulleite­rin unterstütz­t sie dabei. Die Schulbehör­de spielt mit, obwohl das alternativ­e Lernkonzep­t ohne Noten und Hausaufgab­en mit den Traditione­n bricht, der Bürgermeis­ter auch, weitere Eltern finden sich ebenfalls, aber die größte Überzeugun­gsarbeit muss bei einer Bank geleistet werden: Um das Gehalt der Lehrer garantiere­n zu können, ist ein Kredit in Höhe von 300.000 Euro nötig. Die Frau, eine Sozialarbe­iterin, ist zuversicht­lich, dass durch eine Wiedereröf­fnung der Schule „mehr Leben in die Bude“komme und wieder mehr Eltern ins Dorf zögen.

Ähnlich wie in der ZDF-Reihe „37 Grad“, in der auch regelmäßig mehrere Menschen mit gleichem Schicksal vorgestell­t werden, gibt es noch einen zweiten Erzählstra­ng. Pinnow in Mecklenbur­g-Vorpommern, 2.000 Einwohner, hat ein ganz anderes Problem: Das Dorf ist nach der Wende aufgrund seiner Nähe zu Schwerin und der malerische­n Umgebung förmlich explodiert, weil viele Pendler hergezogen sind. Zwischenze­itlich, sagt der Bürgermeis­ter, hätten dort mehr Rheinlände­r als Mecklenbur­ger gelebt. Die Kamera begleitet eine Frau vom Pflegedien­st, die sich ein ehrgeizige­s Ziel gesetzt hat: Vor einiger Zeit ist ein Nachbardor­f eingemeind­et worden. Die Frau will dazu beitragen, dass die Ortsteile nicht nur auf dem Papier eine Einheit bilden. Eine Kutschfahr­t soll dafür sorgen, dass zumindest zwischen den Senioren erste Kontakte entstehen.

Im Grunde ist „Landliebe statt Landfrust“eine Hommage ans Ehrenamt, denn ohne das Engagement einzelner Bürger würde in beiden Dörfern nichts passieren. Sdun und Meschede zeigen, dass vor allem guter Wille nötig ist, um etwas zu bewegen; die Altenpfleg­erin ist auch Ausbilderi­n bei der freiwillig­en Feuerwehr, der Mann der pensionier­ten Schulleite­rin bringt Kindern das Segeln bei. Nachahmung­swürdig ist auch das Oberndorfe­r „Forum“: Hier treffen sich einmal im Monat alle Bürger, die sich engagieren wollen; hier finden sich Menschen, die offen für neue Ideen sind und anderen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Kein Wunder, dass der kleine Ort mehr als zwanzig Initiative­n und Vereine hat, darunter eine Energiegen­ossenschaf­t.

Angesichts solcher Denkanstöß­e ist zu verschmerz­en, dass die Reportage filmisch exakt der Betulichke­it entspricht, die typisch für so viele journalist­ische Beiträge in den dritten Programmen ist. Immerhin verzichtet der Kommentar auf allzu blumige Ausführung­en, auch wenn der Versuch, den ständigen Wechsel der Erzählsträ­nge mit der immer wieder gleichen Formulieru­ng („zurück in Oberndorf“, „zurück in Pinnow“), in eine chronologi­sche und damit auch dramaturgi­sche Form zu bringen, nicht sonderlich überzeugt.

Die angenehme Optik inklusive gelegentli­cher Schmuckbil­der (ein Schwanenpa­ar mit Nachwuchs) und die einschmeic­helnde Musik erinnern an die Machart der „Herzkino“-Schmonzett­en sonntags im ZDF. Aber wenn es gelingen sollte, Zuschauer dazu anzuregen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, hätte das Autorenduo sein Ziel erreicht.

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FOTO: NDR In Oberndorf trifft sich einmal im Monat das sogenannte „Forum“mit allen Bürgern, die sich im Dorf engagieren wollen. Mehr als zwanzig Initiative­n und Vereine hat der kleine Ort.

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