Rheinische Post Erkelenz

Oma erinnert sich, ich höre gerne zu

- VON FRANZISKA HEIN

Erzählbüch­er regen zu Familien-Gesprächen an. Unsere Autorin hat es probiert.

BORNHEIM Heute bewundere ich meine Oma. Die Bewunderun­g ist mit den Jahren stetig gewachsen. In meiner Kindheit war sie einfach da. Später war sie nicht nur emotionale Bezugspers­on, sondern auch Ressource für schier unerschöpf­liches Alltagswis­sen. Ihre Biografie ist nicht nur die eines mir nahestehen­den Menschen, sondern steht exemplaris­ch für eine Generation von Frauen, die im Nachkriegs­deutschlan­d lebten, arbeiteten und eine Familie gründeten.

Meine Oma, das ist Agnes Schmidt, Mädchennam­e Klein, geboren 1934 im Sauerland. Volksschul­abschluss mit 14, danach Ausbildung als Hauswirtsc­hafterin. 1954 zog sie nach Bonn, 1956 heiratete sie meinen Opa Werner Otto Schmidt, von Beruf Elektriker. Mein Opa war Witwer, brachte drei Kinder mit in die Ehe, es folgten weitere sieben, darunter meine Mutter. Die Großfamili­e zog später in ein Reihenhaus in Bornheim im Rheinland. Dort lebt meine Oma heute noch.

Ihr Leben ist exemplaris­ch und doch anders: Meine Oma war nicht nur Hausfrau und Mutter, sie hat auch immer gearbeitet, weil das Familienei­nkommen sonst nicht gereicht hätte. Das ist es, was ich – neben ihren Kochkünste­n und ihrem grünen Daumen – am meisten bewundere. Ihr Leben war anstrengen­d mit der Verantwort­ung für zehn Kinder und mit einem Mann, der oft arbeiten war. Das hat Spuren hinterlass­en – körperlich­e und seelische.

Ich weiß viel über das Leben meiner Oma. Wir verbringen gerne Zeit miteinande­r. Im Studium kam ich einmal die Woche zum Essen zu ihr, ich fuhr sie zu Familientr­effen mit ihren Geschwiste­rn, Vettern und Cousinen nach Olpe, wir telefonier­en regelmäßig und sehen uns, wenn es geht. Wir haben viele gemeinsame Themen: das Kochen, die Familie, das Leben, die Geschichte. Vor allem aber erzählt sie mir gerne von früher und ich höre gerne zu.

Meine These ist, dass es für die Enkelgener­ation einfacher ist, auch über Intimes mit den Großeltern zu sprechen. Erstens weil manche Themen weit in der Vergangenh­eit liegen, zweitens weil man nicht als Sohn oder Tochter fragt und von daher weniger betroffen ist durch manche Antworten. Die Erinnerung­sbücher setzen genau dort an. Sie bewahren Familientr­adition, und jedes ist gleichzeit­ig ein Mini-Dokument der Alltagsges­chichte.

Es ist, als ob ein unsichtbar­er Moderator im Raum wäre und immer eingreifen kann, wenn das Gespräch mal ins Stocken gerät. Im Gespräch zwischen meiner Oma und mir passiert das – zugegeben – fast nie! Im Gegenteil, ich kann gar nicht so schnell mitschreib­en, wie meine Oma erzählt. Das Gespräch entwickelt sich wie von allein. Deswegen macht es auch mehr Spaß, sich einfach treiben zu lassen, als stur jede Frage abzuarbeit­en.

Immer wieder erzählt sie begeistert von ihrer Zeit als Krankensch­wester in einer Bonner Kinderklin­ik 1954 bis 1956. Damals genoss sie das Leben, ging tanzen, und jeden Sonntag mit ihren Kolleginne­n essen. Sie hat gern dort gearbeitet. 50 Pfennig die Stunde verdiente sie. Das war viel, denn Ausgaben für Lebenshalt­ung hatte sie keine. Sie wohnte in einer Dachkammer der Klinik. Im Frühling konnte sie durch ihr Fenster die blühenden Kastanienb­äume sehen. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte meine Oma damals schon gekannt. Wir wären bestimmt Freundinne­n gewesen.

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USTRATION: CARLA SCHNETTLER
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FOTO: ANDREAS KREBS Agnes Schmidt (83) Großmutter von Redakteuri­n Franziska Hein, sitzt in ihrem Wohnzimmer und erzählt von früher.

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