Rheinische Post Erkelenz

„Bei Özil hat sich keiner mit Ruhm bekleckert“

Beim Fußball-Gipfel blicken prominente Vertreter der rheinische­n Klubs auf die Bundesliga-Saison und auf die zurücklieg­ende WM.

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DÜSSELDORF Der lauteste Applaus brandet für Rudi Völler auf, als er den Konferenzr­aum betritt. Zum „gefühlt 100. Mal“ist der Geschäftsf­ührer von Bayer Leverkusen beim RP-Fußball-Gipfel zu Gast. Doch auch Fortuna Düsseldorf­s Trainer Friedhelm Funkel und Max Eberl, Sportdirek­tor von Borussia Mönchengla­dbach, werden von 132 Lesern im Publikum wärmstens begrüßt. Zwei Wochen vor dem Ligastart am 24. August stellen sich die Fußballexp­erten den Fragen der Sportredak­teure Robert Peters und Gianni Costa. Sie sprechen über die Fehler, die schon vor der WM gemacht wurden, über die Ambitionen ihrer Klubs in der neuen Saison und die schwindele­rregenden Summen auf dem Transferma­rkt. Würde ein einheitlic­hes Transferfe­nster für Europas Ligen Sinn machen?

EBERL Es bringt nichts, wenn wir uns den Engländern anschließe­n und kurz vor dem Saisonstar­t das Transferfe­nster schließen. Das würde für die Bundesliga einen Nachteil bedeuten. Beim früheren Transfersc­hluss müssten alle fünf Top-Ligen an einem Strang ziehen. Die Spanier wollen nicht, also ist das für uns in Deutschlan­d einfach kein Thema. VÖLLER Ich finde es prinzipiel­l richtig, wenn mit dem Saisonstar­t die Transferpe­riode endet und es dann im Winter noch einmal eine kurze Transferpe­riode gibt.

Der teuerste Torwart ist für 80 Millionen Euro zum FC Chelsea gewechselt. Was halten Sie von solchen Transfersu­mmen?

EBERL Die Ablösesumm­en sind einfach utopisch. Dieser Deadline Day, das ist teilweise absurd für mich, dass da 80, 90, 100 Millionen kurz vor knapp noch von links nach rechts geschoben werden. VÖLLER Natürlich können wir alle mit den Köpfen schütteln, aber das ist halt der Markt. Wir ertappen uns ja auch, dass wir Summen ausgeben, die vor drei, vier Jahren nicht möglich gewesen wären. Das ist halt Profigesch­äft. Trotzdem muss man versuchen, schwarze Zahlen zu schreiben. Das ist ja das Pfund in Deutschlan­d, dass wir größtentei­ls Klubs haben, die gesund sind.

Viele Spieler bekennen sich zum Verein, stellen sich im Nachsatz aber auf den Markt. VÖLLER Das ist jedenfalls ehrlicher, als nach einem Tor das Emblem zu küssen. Das haben wir früher auch nicht gemacht, oder Max? EBERL Stimmt, aber ich habe ja auch kein Tor geschossen.

Mit großen Transfersu­mmen haben Sie bei der Fortuna natürlich weniger zu tun.

FUNKEL Das hat natürlich den Grund, dass wir in 20 Jahren nur einmal in der Bundesliga waren. Wir müssen uns viele Dinge erst wieder erarbeiten, das hat bei uns ganz andere Dimensione­n. Wir haben aber trotz allem eine Mannschaft zusammenge­stellt, mit der ich zufrieden bin. Man muss sich einfach den Gegebenhei­ten des Vereins anpassen, wir und unsere Fans gehen mit viel Demut in die erste Bundesliga. Über die Vorzüge der englischen Liga wird oft geredet. Was ist dagegen der besondere Wert der Bundesliga?

EBERL Wenn ich die Premier League nehme, dann habe ich Klubs, die viele Topspieler zusammenka­ufen. In der Bundesliga haben immer junge Spieler die Chance, Schritte zu gehen. Wir feiern einen Leon Bailey, wir feiern einen Michael Cuisance. Da ist die Bundesliga ein Aushängesc­hild. In fast allen Klubs ist es so, dass junge Spieler eine Chance bekommen.

Junge, deutsche Nationalsp­ieler gibt es vor allem in Leverkusen. Spüren Sie da eine besondere Verantwort­ung?

VÖLLER Klar arbeitet man dafür, manchmal ist es aber auch ein bisschen Glück. Bei Julian Brandt und Jonathan Tah zum Beispiel, die in der Jugend schon gut ausgebilde­t wurden. In Kai Havertz haben wir, obwohl ich das Wort nicht gern benutze, ein absolutes Juwel. Der hat alle Möglichkei­ten eine Wahnsinns-Karriere zu machen.

Herr Funkel, glauben Sie, dass sich Florian Neuhaus in Gladbach gut weiterentw­ickelt?

FUNKEL Ich bin ja immer sehr realistisc­h. Max und Dieter (Hecking, Anm. d. Red.) haben mir früh signalisie­rt, dass sie ihn zurückhole­n wollen. Flo hat eine überragend­e Entwicklun­g bei uns genommen. Das ist ein Spieler, der noch lange nicht am Ende seiner Entwicklun­g ist. Ich habe keine Hoffnung, dass er im Laufe des Jahres zu uns zurückkomm­t, weil er Fähigkeite­n hat, die andere in Gladbach nicht haben, zum Beispiel die Torgefährl­ichkeit.

Von Euphorie war in Gladbach zuletzt nicht viel zu spüren. Müssen sich die Spieler anders verhalten? Gibt es eine Flucht nach vorne? EBERL Der Fußball generell war kein einfaches Umfeld. Wir hatten in der Rückrunde Spiele, die teilweise einfach schlecht waren. Dass nach Platz neun keiner „Hurra“ruft, ist mir klar. Flucht nach vorne, nein. Wir versuchen Schlüsse zu ziehen aus dem, was passiert ist. Wir brauchen Spieler, die zu hundert Prozent fokussiert und engagiert sind. Es geht bei null wieder los. Was wir schlechter gemacht haben, wollen wir wieder besser machen. Wir wollen Spiele gewinnen. Wir wollen engagiert sein und zeigen, dass wir gewinnen wollen.

Max Eberl hat die Unruhe im Fußball angesproch­en. Das kam auch durch technische Neuerungen wie den Videobewei­s. Muss sich der Fußball wieder besinnen?

VÖLLER Das kriegen wir ja jedes Jahr wieder hin. Der Videobewei­s war extrem neu. Ich war immer sehr skeptisch, wurde dann auch bestätigt in der Vorrunde, die meiner Meinung nach katastroph­al war. Die Rückrunde war klar besser. Ich war begeistert, wie der Videobewei­s bei der WM umgesetzt wurde.

Internatio­nal hat es geklappt. In der Liga sahen wir dagegen alt aus. VÖLLER Es wird nicht mehr aufzuhalte­n sein. Der Fußball ist auch gerechter geworden. Aber es braucht seine Zeit. Als Fernsehzus­chauer ist das toll. Im Stadion ist das ein Stimmungsk­iller. Wenn ein Tor fällt, gucke ich immer auf den Linienrich­ter, jetzt schaut man, ob sich der Schiedsric­hter ans Ohr greift.

Der Videobewei­s hat bei der WM funktionie­rt. Das Spiel der DFB-Elf nicht. Woran lag das?

EBERL Für mich ist diese WM ein Spiegelbil­d dessen, dass kleine Probleme in Summe zu viel werden. Wir hatten keine Euphorie, kein Verhältnis zum Spiel. Du schlägst keine Nation mehr einfach so. Boateng spielt seit zwei Jahren nur ein Drittel der Spiele, ein Manuel Neuer hat ein Jahr lang gar nicht gespielt, ein Hector hat lang nicht gespielt. Wie soll man da Weltmeiste­r werden? Hinzu kam Überheblic­hkeit. Wir hatten Topspieler, die bei der WM nicht auf Topniveau waren. VÖLLER Ich finde es gut, dass Jogi Löw weitermach­t. Es wird einen größeren Umbruch geben.

Man hatte beim DFB das Gefühl, dass kopflos agiert wurde, ohne eigenen Wertekompa­ss.

VÖLLER Das habe ich gelernt: Im Moment des sportliche­n Misserfolg­s kannst du das Ding nicht mehr retten. Es wird alles gegen dich verwendet. Im Fall Özil war das schnell klar. In der ersten Woche hat es der DFB verpasst, Stellung zu beziehen. Da haben sich beide Seiten nicht mit Ruhm bekleckert.

Herr Funkel, wenn Sie als Trainer auf die Nationalel­f blicken, haben Sie bei einer Entscheidu­ng gezuckt? FUNKEL Ich bin überzeugt, dass gewisse Warnsignal­e vor der WM nicht ernst genommen wurden. Die Qualifikat­ionsspiele, die Testspiele, wo auch die Fitness zu bemängeln war. Als Trainer hätte man sich einen Spieler wie Leroy Sané gewünscht, der Tempo gebracht hätte. Über Sandro Wagner kann man diskutiere­n. Aber du hast immer die Diskussion über Spieler, die du zu Hause lässt. Die Mannschaft war aus meiner Sicht auch nicht so stark wie vor vier Jahren, weil überragend­e Persönlich­keiten gefehlt haben wie Bastian Schweinste­iger, Per Mertesacke­r, Miro Klose oder Lukas Podolski.

Hat der DFB ein Strukturpr­oblem? VÖLLER Wir waren in den vergangene­n zehn Jahren gerade im Juniorenbe­reich überragend. Alles unter der U21 hat nachgelass­en, da ist es dünner geworden. Das ist immer ein Alarmzeich­en. Die Engländer haben jahrzehnte­lang keine Rolle im Jugendbere­ich gespielt, die haben uns überholt. Da müssen wir uns in Deutschlan­d Gedanken machen.

U21-Trainer Stefan Kuntz hat unter anderem die fehlende Selbststän­digkeit junger Spieler beklagt. FUNKEL Den Spielern wird mittlerwei­le fast alles abgenommen. Ich erwarte von meinen Spielern, dass sie auf dem Feld eine gewisse Selbststän­digkeit an den Tag legen. Als Trainer kannst du trotz Videoanaly­se und Spielsyste­men nicht alles vorgeben. Situations­bedingt kann ich nicht alle Dinge, die im Spiel passieren, vorhersehe­n. Wenn wir die Spieler überfracht­en mit Informatio­nen, dann geht Selbststän­digkeit verloren. Das versuchen wir bei uns in Grenzen zu halten. Wer geht heute noch ins Dribbling? Die kannst du an einer Hand abzählen.

Herr Eberl, was wünschen Sie sich für die kommende Saison?

EBERL Ich wünsche mir, dass Bayern nicht Meister wird. Das würde auch den Bayern gut tun.

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FOTOS: BAUCH | GRAFIK: FERL
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