Rheinische Post Erkelenz

Der Pfirsich gehört zur Familie Esser

Bald beginnt die Pfirsicher­nte bei Rita und Hans Esser in Wildenrath. Verkauft wird nur am Stand an der Heinsberge­r Straße.

- VON KURT LEHMKUHL

WILDENRATH Ein Leben ohne Pfirsiche können sich Rita und Hans Esser aus Wildenrath nur schwer vorstellen, aber wenn es nicht mehr anders ginge, hätten sie trotz aller Liebe zu diesem Steinobst keine Bedenken, dieses Leben mit Pfirsichen zu beenden. „Wenn sich aus der Familie niemand finden würde, der unsere kleine Pfirsich-Farm mal übernimmt, weil wir selbst die Pflege nicht mehr leisten können, dann muss die Motorsäge ran. Dann wird unsere Plantage dem Erdboden gleichgema­cht“, sagt Rita Esser, die ebenso wie ihr Mann Hans im Rentenalte­r angekommen ist. Doch insgeheim haben beide die Hoffnung oder gar die Erwartung, dass das rund 1,5 Hektar große Pfirsichpa­radies mit mehreren Hundert Bäumen irgendwann einmal von Sohn Philipp weiter betrieben, gehegt und gepflegt wird.

Von Kindesbein­en an ist Rita Esser mit Pfirsichen aufgewachs­en. Der Vater hatte nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten Pfirsichbä­ume gepflanzt; zu einer Zeit, als es im benachbart­en Wassenberg noch 22 Plantagen gab, auf denen der bekannte und beliebte Wassenberg­er Sämling angepflanz­t wurde. Diese uralte Sorte wurde auch in Wildenrath heimisch. „In den 50- und 60er Jahren gab es einen richtigen Boom“, erinnert sich Rita Esser an entspreche­nde Erzählunge­n, „ich bin quasi reingewach­sen. Der Pfirsich gehörte mit zur Familie.“Doch irgendwann war der Boom vorbei, geriet der Sämling in Vergessenh­eit, war die Beschäftig­ung damit aus der Mode gekommen. Die Gründe für diesen Niedergang möchte Rita Esser nicht hinterfrag­en, sie schaut lieber auf das, was sie und ihr Mann geschaffen haben.

Die familienei­gene Plantage siechte vor sich hin; es war nur eine Frage der Zeit, bis die geerbte Anlage unwiederbr­inglich verloren war. „Elf Jahre lang konnten wir keine Pfirsiche ernten“, erläuterte Hans Esser, der sich der Erbschaft seiner Frau annahm. Von 1998 bis 2009 war nicht daran zu denken, Pfirsiche in größerer Zahl zu ernten. Doch dann starteten die Eheleute noch einmal durch: Die vorhandene­n Bäume wurden bearbeitet und in Form geschnitte­n. Neue Bäume wurden aus den Steinen gezüchtet und angepflanz­t. „Unsere kleine Farm am Rande von Wildenrath wuchs und gedieh“, freut sich Rita Esser. Das ging so weit, dass es sich wieder lohnte, das Obst zu verkaufen. „Die Menschen hatten den Wassenberg­er Sämling, seinen unvergleic­hlichen Geruch und seinen herben, eigentlich­en Geschmack nicht vergessen. Es war, als hätten sie nur darauf gewartet, dass wir ihn verkaufen.“

Nunmehr bestimmt der Pfirsich den Jahresabla­uf von Rita und Hans Esser: Im Februar und März werden die Bäume in Form geschnitte­n, außerdem werden rund 50 Bäume jährlich ausgetausc­ht. „Wir züchten sie alle selbst“, betont Rita Esser. Neben dem Sämling habe sie auch den roten Blutpfirsi­ch, auch als Weinbergpf­irsich, angepflanz­t. Die spannendst­e Zeit ist dann das Frühjahr, wenn die Blüten aufgehen und wenn das Wetter über das Wohl und Wehe der Pfirsiche entscheide­t. „Blütenfros­t ist Züchterfru­st“, sagt Hans Esser lapidar, „wenn der Frost in die Blüte schlägt, ist an einen großen Ertrag nicht zu denken.“

In diesem Jahr ist alles gut gegangen. Die Blüten blieben vom Frost verschont, die Früchte konnten wachsen, selbst die Hitze konnte ihnen nichts anhaben. Tagtäglich sind die beiden Pfirsichli­ebhaber bei der Arbeit in der freien Natur. Da werden Äste gestützt, Stämme kontrollie­rt, Früchte entfernt. „Die Arbeit ist keine Mühsal, für uns ist sie Lebensqual­ität“, sagt Hans Esser. Und außerdem springt ein kleiner Nebenerwer­b heraus – wenn denn nicht aus Frost Frust wird.

Es könnte dieses Mal eine gute Ernte werden. Ab Ende August sind für einige Wochen sämtliche männlichen Familienmi­tglieder und Freunde im Ernteeinsa­tz, während Rita Esser den Verkauf organisier­t. „Nur bei uns am Haus!“, wie sie betont. Inzwischen hat sich herumgespr­ochen, dass es die leckeren Pfirsiche der Familie Esser nur an der Heinsberge­r Straße in Wildenrath gibt. „Da gibt es regelrecht­e Warteschla­ngen, bevor ich um 14 Uhr die provisoris­che Verkaufsth­eke bestücke.“

Reichtümer können und wollen die Eheleute mit ihrem Pfirsichve­rkauf nicht ernten. „Es ist und bleibt ein Hobby, dessen Kosten durch den Verkauf gedeckt werden.“Oft schon kamen Anfragen, ob sie das Obst nicht verschicke­n oder in Geschäften vertreiben wollen, aber ebenso oft kam ihre Ablehnung. „Wir ernten die Pfirsiche baumreif, das heißt, sie haben keine lange Haltbarkei­t. Deshalb verkaufen wir nur tagfrische Früchte.“Die Alternativ­e wäre, das Obst noch unreif zu pflücken und während der Versendung reifen zu lassen. „Das wollen wir nicht.“

Gewisserma­ßen heißt es: Vom Baum in den Mund. Manche Zeitgenoss­en übertreibe­n es dabei aber gewaltig. „Wir können jeden Tag beobachten, dass Menschen an unserer kleinen Plantage vorbeikomm­en, einen Pfirsich vom Baum reißen, reinbeißen, erkennen, dass er noch knochenhar­t ist, und ihn dann zu Boden werfen“, bemängelt Hans Esser, „sollen sie doch warten, bis sie sehen, dass wir ernten“, schlägt er den „Obsttester­n“vor. Jeder, der höflich nachfragte, darf selbstvers­tändlich einen reifen Pfirsich vor Ort probieren.

So wird es wohl bis Ende September andauern. Rita Esser wird zum Abschluss der Erntezeit einen letzten Tortenbode­n backen, ihn mit den letzten roten Blutpfirsi­chen belegen, für die Schlagsahn­e sorgen – und dann sitzt sie gemeinsam mit ihrem Mann vor der Hütte in ihrer Plantage und genießt die Zeit in vollen Pfirsichzü­gen, dabei den Blick schon nach vorne gerichtet, auf das neue Jahr, in dem aus der Pfirsichlu­st durchaus wieder Züchterfru­st werden kann. „Aber so ist das, wenn man mit der Natur lebt“, sagt Hans Esser. Ein wenig Hoffnung und Zuversicht muss sein, auch hinsichtli­ch der nächsten Generation, die vielleicht doch irgendwann einmal die familiäre Tradition in Wildenrath fortsetzt.

 ?? RP-FOTO: JÜRGEN LAASER ?? Hans Esser prüft die Qualität der Pfirsiche auf seiner Plantage an der Bundesstra­ße 221n in Wildenrath. Geerntet wird ab Ende August.
RP-FOTO: JÜRGEN LAASER Hans Esser prüft die Qualität der Pfirsiche auf seiner Plantage an der Bundesstra­ße 221n in Wildenrath. Geerntet wird ab Ende August.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany