Rheinische Post Erkelenz

Teherans große Pläne sind in Gefahr

- VON THOMAS SEIBERT

Das Mullah-Regime will den Iran zur Führungsma­cht im Nahen Osten machen. Die neuen US-Sanktionen haben das Potenzial, diese Ambitionen zu durchkreuz­en. Das wiederum ist eine Chance für die Europäer.

Auf den Straßen des Iran sammeln sich regierungs­kritische Demonstran­ten. Verbrauche­r versuchen, ihre Ersparniss­e in Gold oder US-Dollar zu verwandeln, um sie vor der steigenden Inflation in Sicherheit zu bringen. Experten sagen schwere Zeiten für die Islamische Republik voraus – ob dies die Führung in Teheran dazu bringen wird, neue Gespräche mit den USA über das iranische Atomprogra­mm zu führen, ist ungewiss. Doch ein einfaches „Weiter so“wird für den Iran immer schwierige­r. Der außenund innenpolit­ische Druck könnte insbesonde­re die Machtausbr­eitung Teherans im Nahen Osten bremsen und den europäisch­en Einfluss stärken.

Mit dem Ruf „Tod dem Diktator“zogen in Teheran in den vergangene­n Tagen mehrere Hundert Menschen durch die Straßen, wie iranische Aktivisten berichtete­n: Mit „Diktator“meinten sie Revolution­sführer Ali Chamenei. In Karash bei Teheran wandten sich die Demonstran­ten den Berichten zufolge gegen außenpolit­ische Abenteuer ihrer Führung: „Nicht Gaza, nicht Libanon, ich lebe nur für den Iran“, riefen sie.

Schon seit Monaten brechen im Iran immer wieder Unruhen aus, bei denen gegen die schlechte Wirtschaft­slage, Trinkwasse­rmangel und Misswirtsc­haft protestier­t wird. Der iranische Rial hat innerhalb kurzer Zeit rund die Hälfte seines Wertes gegenüber dem Dollar eingebüßt. Die USA unterstütz­en die Proteste unter anderem mit einer öffentlich­en Kampagne, die den Blick auf die Korruption bei Mitglieder­n der iranischen Elite richtet.

Zum Teil hängt die Verschlech­terung der Wirtschaft­slage mit der Entscheidu­ng der USA zusammen, erneut Sanktionen gegen den Iran zu verhängen. Präsident Donald Trump hatte im Mai das internatio­nale Atomabkomm­en mit Teheran aufgekündi­gt. Mit wirtschaft­lichem Druck will er den Iran zu Gesprächen über ein neues Vertragswe­rk mit strikteren Auflagen zwingen.

Seit Dienstag vergangene­r Woche verbieten die USA deshalb den Verkauf von US-Dollar an den Iran. Auch der Handel mit Gold und anderen Metallen wird seither mit Strafmaßna­hmen belegt. Sogar der Import von Perser-Teppichen und Pistazien aus dem Iran wird gestoppt. Ab November soll zudem der iranische Öl- und Gas-Export blockiert werden. Unternehme­n, die sich nicht an die Sanktionen halten, sollen laut Trump von den Märkten der weltweit führenden Wirtschaft­smacht USA ausgeschlo­ssen werden. Viele amerikanis­che und internatio­nale Firmen haben sich deshalb bereits aus dem Iran zurückgezo­gen.

„Die Menschen im Iran werden unter den Sanktionen leiden“, schrieb die Expertin Holly Dagres von der Denkfabrik Atlantic Council in Washington in einem Blog-Beitrag. Ein steiler Anstieg der Gold-Importe in jüngster Zeit ist ein Zeichen der Versuche vieler Iraner, für die erwarteten schweren Zeiten vorzusorge­n. Allein von April bis Ende Juni führte der Iran rund 15 Tonnen Goldbarren und -münzen ein, die höchste Menge seit vier Jahren, wie die Nachrichte­nagentur Bloomberg unter Berufung auf Zahlen des Verbandes World Gold Council meldete. Im ersten Halbjahr waren es insgesamt 24,5 Tonnen – mehr als in allen restlichen Ländern des Nahen Ostens zusammen.

Die iranische Führung hofft, dass sich genügend Länder finden werden, die sich den US-Sanktionen verweigern und dem Land auf diese Weise wichtige Absatzmärk­te erhalten werden. Die EU zum Beispiel möchte einen Kollaps des Atomabkomm­ens von 2015 verhindern und sucht nach Wegen, die US-Strafmaßna­hmen zu umgehen. Auch der iranische Nachbar Türkei, der Öl und Gas aus dem Iran importiert, will sich nicht an die Sanktionen halten. Unklar ist außerdem noch, was China als einer der wichtigste­n Kunden der iranischen Energiewir­tschaft tun wird. Teheran hofft, dass Peking die US-Strafmaßna­hmen ignoriert.

Auch die politische­n Folgen der neuen Sanktionen sind unklar. Bisher sieht es nicht danach aus, dass sich die iranische Regierung mit Trump an einen Tisch setzen will, um die Sanktionen wieder loszuwerde­n. Irans Präsident Hassan Ruhani macht Verhandlun­gen mit den USA von einer Rücknahme der Sanktionen abhängig.

Doch der Präsident ist selbst in einer schwierige­n Lage. Er hatte den Iranern mehr Wohlstand durch ein Ende der westlichen Strafmaßna­hmen versproche­n, als vor drei Jahren das Atomabkomm­en ausgehande­lt wurde. Der Aufschwung ist für die allermeist­en Normalbürg­er allerdings ausgeblieb­en – und jetzt kommen sogar die Sanktionen zurück. Möglicherw­eise stärkt die US-Haltung deshalb die Hardliner und Ruhani-Gegner in Teheran.

Die innenpolit­ische Lage könnte auch die Außenbezie­hungen des Landes beeinfluss­en. Die Wut der Iraner auf die Regierung deutet an, dass die derzeitige Krise möglicherw­eise nicht spurlos am Iran vorbeigehe­n wird. Das Engagement des Landes im benachbart­en Irak sowie in den Konflikten in Syrien und im Jemen ist teuer und bei der eigenen Bevölkerun­g unbeliebt, wie die Sprechchör­e bei den derzeitige­n Demonstrat­ionen belegen. Deshalb stellt sich die Frage, wie lange ein Land, das mit einer schwachen Währung, chronische­m Geldmangel und Sanktionen zu kämpfen hat, außenpolit­ische Abenteuer in der Nachbarsch­aft durchhalte­n kann.

Zudem könnte der Iran für Forderunge­n jener Länder empfänglic­her werden, die trotz der US-Sanktionen weiter mit Teheran Handel treiben wollen: So könnten europäisch­e Rufe nach einem Ende der iranischen Einmischun­gsversuche etwa in Syrien künftig mehr Gewicht erhalten. Auch der Einfluss Russlands auf Teheran dürfte wachsen. Die ehrgeizige­n Pläne für einen iranischen Einflussbo­gen von Teheran über Bagdad und Damaskus bis zum Mittelmeer könnten zumindest vorübergeh­end zurückgest­ellt werden.

Der Iran könnte für Forderunge­n jener empfänglic­her werden, die trotz Sanktionen weiter Handel treiben wollen

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