Teherans große Pläne sind in Gefahr
Das Mullah-Regime will den Iran zur Führungsmacht im Nahen Osten machen. Die neuen US-Sanktionen haben das Potenzial, diese Ambitionen zu durchkreuzen. Das wiederum ist eine Chance für die Europäer.
Auf den Straßen des Iran sammeln sich regierungskritische Demonstranten. Verbraucher versuchen, ihre Ersparnisse in Gold oder US-Dollar zu verwandeln, um sie vor der steigenden Inflation in Sicherheit zu bringen. Experten sagen schwere Zeiten für die Islamische Republik voraus – ob dies die Führung in Teheran dazu bringen wird, neue Gespräche mit den USA über das iranische Atomprogramm zu führen, ist ungewiss. Doch ein einfaches „Weiter so“wird für den Iran immer schwieriger. Der außenund innenpolitische Druck könnte insbesondere die Machtausbreitung Teherans im Nahen Osten bremsen und den europäischen Einfluss stärken.
Mit dem Ruf „Tod dem Diktator“zogen in Teheran in den vergangenen Tagen mehrere Hundert Menschen durch die Straßen, wie iranische Aktivisten berichteten: Mit „Diktator“meinten sie Revolutionsführer Ali Chamenei. In Karash bei Teheran wandten sich die Demonstranten den Berichten zufolge gegen außenpolitische Abenteuer ihrer Führung: „Nicht Gaza, nicht Libanon, ich lebe nur für den Iran“, riefen sie.
Schon seit Monaten brechen im Iran immer wieder Unruhen aus, bei denen gegen die schlechte Wirtschaftslage, Trinkwassermangel und Misswirtschaft protestiert wird. Der iranische Rial hat innerhalb kurzer Zeit rund die Hälfte seines Wertes gegenüber dem Dollar eingebüßt. Die USA unterstützen die Proteste unter anderem mit einer öffentlichen Kampagne, die den Blick auf die Korruption bei Mitgliedern der iranischen Elite richtet.
Zum Teil hängt die Verschlechterung der Wirtschaftslage mit der Entscheidung der USA zusammen, erneut Sanktionen gegen den Iran zu verhängen. Präsident Donald Trump hatte im Mai das internationale Atomabkommen mit Teheran aufgekündigt. Mit wirtschaftlichem Druck will er den Iran zu Gesprächen über ein neues Vertragswerk mit strikteren Auflagen zwingen.
Seit Dienstag vergangener Woche verbieten die USA deshalb den Verkauf von US-Dollar an den Iran. Auch der Handel mit Gold und anderen Metallen wird seither mit Strafmaßnahmen belegt. Sogar der Import von Perser-Teppichen und Pistazien aus dem Iran wird gestoppt. Ab November soll zudem der iranische Öl- und Gas-Export blockiert werden. Unternehmen, die sich nicht an die Sanktionen halten, sollen laut Trump von den Märkten der weltweit führenden Wirtschaftsmacht USA ausgeschlossen werden. Viele amerikanische und internationale Firmen haben sich deshalb bereits aus dem Iran zurückgezogen.
„Die Menschen im Iran werden unter den Sanktionen leiden“, schrieb die Expertin Holly Dagres von der Denkfabrik Atlantic Council in Washington in einem Blog-Beitrag. Ein steiler Anstieg der Gold-Importe in jüngster Zeit ist ein Zeichen der Versuche vieler Iraner, für die erwarteten schweren Zeiten vorzusorgen. Allein von April bis Ende Juni führte der Iran rund 15 Tonnen Goldbarren und -münzen ein, die höchste Menge seit vier Jahren, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Zahlen des Verbandes World Gold Council meldete. Im ersten Halbjahr waren es insgesamt 24,5 Tonnen – mehr als in allen restlichen Ländern des Nahen Ostens zusammen.
Die iranische Führung hofft, dass sich genügend Länder finden werden, die sich den US-Sanktionen verweigern und dem Land auf diese Weise wichtige Absatzmärkte erhalten werden. Die EU zum Beispiel möchte einen Kollaps des Atomabkommens von 2015 verhindern und sucht nach Wegen, die US-Strafmaßnahmen zu umgehen. Auch der iranische Nachbar Türkei, der Öl und Gas aus dem Iran importiert, will sich nicht an die Sanktionen halten. Unklar ist außerdem noch, was China als einer der wichtigsten Kunden der iranischen Energiewirtschaft tun wird. Teheran hofft, dass Peking die US-Strafmaßnahmen ignoriert.
Auch die politischen Folgen der neuen Sanktionen sind unklar. Bisher sieht es nicht danach aus, dass sich die iranische Regierung mit Trump an einen Tisch setzen will, um die Sanktionen wieder loszuwerden. Irans Präsident Hassan Ruhani macht Verhandlungen mit den USA von einer Rücknahme der Sanktionen abhängig.
Doch der Präsident ist selbst in einer schwierigen Lage. Er hatte den Iranern mehr Wohlstand durch ein Ende der westlichen Strafmaßnahmen versprochen, als vor drei Jahren das Atomabkommen ausgehandelt wurde. Der Aufschwung ist für die allermeisten Normalbürger allerdings ausgeblieben – und jetzt kommen sogar die Sanktionen zurück. Möglicherweise stärkt die US-Haltung deshalb die Hardliner und Ruhani-Gegner in Teheran.
Die innenpolitische Lage könnte auch die Außenbeziehungen des Landes beeinflussen. Die Wut der Iraner auf die Regierung deutet an, dass die derzeitige Krise möglicherweise nicht spurlos am Iran vorbeigehen wird. Das Engagement des Landes im benachbarten Irak sowie in den Konflikten in Syrien und im Jemen ist teuer und bei der eigenen Bevölkerung unbeliebt, wie die Sprechchöre bei den derzeitigen Demonstrationen belegen. Deshalb stellt sich die Frage, wie lange ein Land, das mit einer schwachen Währung, chronischem Geldmangel und Sanktionen zu kämpfen hat, außenpolitische Abenteuer in der Nachbarschaft durchhalten kann.
Zudem könnte der Iran für Forderungen jener Länder empfänglicher werden, die trotz der US-Sanktionen weiter mit Teheran Handel treiben wollen: So könnten europäische Rufe nach einem Ende der iranischen Einmischungsversuche etwa in Syrien künftig mehr Gewicht erhalten. Auch der Einfluss Russlands auf Teheran dürfte wachsen. Die ehrgeizigen Pläne für einen iranischen Einflussbogen von Teheran über Bagdad und Damaskus bis zum Mittelmeer könnten zumindest vorübergehend zurückgestellt werden.
Der Iran könnte für Forderungen jener empfänglicher werden, die trotz Sanktionen weiter Handel treiben wollen