Rheinische Post Erkelenz

Das Dilemma der CDU im Osten

Der Osten tickt anders. Dort können sich CDU-Politiker Gespräche mit der Linken vorstellen. Über eine Debatte, die Fahrt aufnimmt.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Daniel Günther ist es gewöhnt, dass ihm der Wind ins Gesicht bläst. In Kiel geboren, in Eckernförd­e zur Schule gegangen. Zwei Städte am Meer, da weht immer eine steife Brise. Vor einem Jahr gab der Ministerpr­äsident unserer Redaktion ein Doppel-Interview mit dem zum konservati­ven Flügel zählenden CDU-Präsidiums­mitglied Jens Spahn und bemerkte scheinbar arglos: „Natürlich zählen wir beide zur Führungsre­serve der CDU.“Parteichef­in und Kanzlerin Angela Merkel musste dann erst einmal genau hingucken, welches Kaliber die Schleswig-Holsteiner da gerade zum Regierungs­chef gewählt hatten.

Einen Hoffnungst­räger, der erst wenige Monate vor der Landtagswa­hl zum Vorsitzend­en einer einigermaß­en chaotische­n Landes-CDU bestimmt worden war und dann gleich der SPD die Macht abgenommen hatte. Seither regiert er mit Freude ein Jamaika-Bündnis und lässt die schwarz-rote Koalition im Bund gerne wissen, dass er diese Konstellat­ion auch für das beste Modell im Bund hält.

Wenn es dann Zoff gibt, weil er einen Knaller gezündet hat, gibt sich der äußerlich eher brav wirkende Günther mit Vorliebe ahnungslos. Er wusste ja gar nicht, dass man als Ministerpr­äsident nicht von Führungsre­serve sprechen sollte, sagte er einst augenzwink­ernd und ließ zugleich überhaupt keinen Zweifel an seinem hundertpro­zentigen Respekt für Merkel. Seitdem zählt er zum erweiterte­n Führungskr­eis auf Bundeseben­e. Im Kanzleramt sagen sie, seine Karriere sei noch lange nicht zu Ende.

Am Wochenende wurde in der Union sein öffentlich geäußertes Verständni­s für den brandenbur­gischen CDU-Landesvors­itzenden Ingo Senftleben zerpflückt, der Gespräche mit Linken und AfD nach der Wahl 2019 angekündig­t hatte. Aber Günther sagt freundlich einfach noch einmal dasselbe: Er persönlich würde in Schleswig-Holstein nicht mit der Linken koalieren, aber er verstehe CDU-Politiker, die aufgeschlo­ssen seien für Gespräche über eine inhaltlich­e Zusammenar­beit in Sachfragen, um Länder nicht unregierba­r zu machen.

Denn im Osten ist die Lage ganz anders als im Westen. Linke und AfD belegen in Umfragen oft den zweiten oder dritten Platz. Die Linke war schon an allen ostdeutsch­en Landesregi­erungen beteiligt, nur nicht in Sachsen. Derzeit regiert sie in Berlin mit SPD und Grünen, in Brandenbur­g mit der SPD, und in Thüringen stellt sie mit Bodo Ramelow den Ministerpr­äsidenten eines rot-rotgrünen Bündnisses. Ramelow hatte sich maßlos über Senftleben geärgert, weil dieser die Linke in einem Atemzug mit der AfD genannt hatte. Doch inzwischen schließt Senftleben ja eine Koalition mit der AfD unter ihrem jetzigen Landesvors­itzenden in Brandenbur­g aus. Außerdem wird Senftleben ohnehin keine Nähe zu rechten Politikern nachgesagt.

Die Linke dürfte jetzt noch einmal genau hingucken. Denn auch für sie würde sich erstmals seit dem Mauerfall vor fast 30 Jahren eine zusätzlich­e Machtoptio­n auftun, die sie dringend gebrauchen kann. Gerade weil die AfD im Osten so stark geworden ist. Und vielleicht werden vor allem die beiden Vorsitzend­en der Linken, Katja Kipping und Bernd Riexinger, Gefallen an den Gedankensp­ielen finden – um Linksfrakt­ionschefin Sahra Wagenknech­t in die Parade zu fahren, die mit ihrer neuen linken Sammlungsb­ewegung „Aufstehen“einen ganz eigenen Weg geht, worin viele in der Partei die Gefahr einer Spaltung der Linken sehen.

Gregor Gysi, die Ikone der Linken, sagt zwar: „Es gibt zu wenig übereinsti­mmende Interessen zwischen Union und Linken auf Landeseben­e, um ernsthaft über Koalitione­n nachzudenk­en.“Aber der Vorstoß erinnere ihn an die Annäherung von SPD und Linken. „Erst ein Beschluss der SPD, der ein Zusammenge­hen von ihr und PDS beziehungs­weise Linken ausschloss, dann die ersten Stimmen aus der SPD dagegen, dann Koalitione­n in Ländern des Ostens, und nun bestreitet niemand mehr die Möglichkei­t zu einer solchen Koalition auf Bundeseben­e.“Denn die Frage stehe ja im Raum: „Was machten Union und Linke, wenn nur eine solche Koalition eine Regierungs­beteiligun­g der AfD in einem Bundesland verhindert­e?“Den Widerspruc­h von CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r gegen die Linke verstehe er. „Es ist viel bequemer für die Union, die SPD an ihrer Seite zu haben und Stück für Stück kaputtzuma­chen.“

Senftleben sagt: „Entscheide­nd ist, ob Parteien bereit sind, andere Meinungen zu akzeptiere­n und auch etwas mitzutrage­n, was ihnen vielleicht nicht gefällt, um das Land insgesamt voranzubri­ngen.“Bei all der Aufregung gibt es aber auch Rückenwind. Der CDU-Chef in Mecklenbur­g-Vorpommern, Vincent Kokert, sagt, auch er sei dafür, „dass man zumindest miteinande­r redet und einander nicht verteufelt“.

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FOTO: DPA Im Bundesrat arbeiten sie zusammen: die Ministerpr­äsidenten Daniel Günther (CDU, links) und sein Kollege Bodo Ramelow (Linke).

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