Unser Wohlstand auf Afrikas Schultern
Das Gesamtkunstwerk „The Head & The Load“von William Kentridge eröffnet die Ruhrtriennale.
DUISBURG Aus Sicht ihrer Kolonialherren sind sie keine Männer oder Soldaten. Sie sind nur namenlose Träger, sind Zahlen auf maschinengeschriebenen Listen in einem Krieg, der nicht ihrer ist. Die Collage aus Musik, Theater, Tanz und Kunstinstallation „The Head & The Load“des Südafrikaners William Kentridge macht in der Duisburger Kraftzentrale ein beispielloses und hierzulande erschreckend wenig bekanntes Verbrechen zum Thema: den Zwangseinsatz von wahrscheinlich über zwei Millionen Afrikanern aus europäischen Kolonien im Ersten Weltkrieg. Der Abend ist die starke Eröffnung für Stefanie Carps erste Ruhrtriennale, die im Vorfeld von der Diskussion um Israelkritik, Antisemitismus und Freiheit der Kunst überschattet war.
„Kann man Geschichte als Collage und weniger als Narrativ denken?“, schreibt William Kentridge in seinem künstlerischen Statement im Programmheft. Und stellt damit indirekt die Frage, ob man ein solch schreiendes Unrecht nicht eigentlich nur historisch-analytisch aufarbeiten dürfe. Den Raum aus Musik und Bewegung mit Elementen einer Prozession, dadaistischer Performance oder eines Requiems, den er mit einem Heer aus Schauspielern, Vokalisten und Performern schafft, kann jedoch jeder kritischen Sichtweise standhalten. Seine opulente Breitwand-Inszenierung gibt ein Gefühl dafür, auf welchen geschichtlichen Gräueltaten der Wohlstand Europas gründet.
Kentridges Kompagnie schafft es, dieses Gefühl mit wenigen Worten zu kreieren. Akustisch nimmt sie den riesigen Raum der in voller Länge bespielten Duisburger Kraftzentrale mit der Komposition Philip Millers und Thuthuka Sibisis ein. Sie ist oft lautmalerisch, beginnt mit menschlichen Schreien, die das Geheul von Warnsirenen nachahmen, und nimmt später das Klackern der Fernschreiber auf, die wie die undurchschaubare Bürokratie in Kafkas „Das Schloss“über das Schicksal der afrikanischen Zwangsrekruten entscheiden.
Ästhetisch knüpft dieser nachhaltig beeindruckende Abend an den zeitlichen Zusammenfall der bis dato beispiellosen Menschen- und Materialschlacht des Ersten Weltkriegs mit dem ungeahnten künstlerischen Aufschwung der europäischen Moderne an. Die Musik ist ein Spannungsfeld aus europäischer Avantgarde und afrikanischer Tradition: Kora und Percussion treffen auf Klavier und Streicher – und zumindest auf der Klangebene gibt es nicht nur Kampf und Gegeneinander, sondern auch Miteinander, Verschmelzung.
Die ständig in Verwandlung begriffenen Bildcollagen auf den riesigen Projektionsflächen zeigen Zahlenlisten, Kriegsgebiet, mit Kohle und Staub immer wieder überschriebene, neu geordnete Landkarten. Die Schauspieler sprechen oft wie Dada-Performer oder Charlie Chaplins „großer Diktator“in Nonsenssprache – so könnten die deutschen, englischen oder französischen Befehle in den Ohren der Soldaten wider Willen geklungen haben.
Das Thema der Schuld Europas aus dem Kolonialzeitalter durchzieht das Programm von Stefanie Carps erster Ruhrtriennale. Auch Eröffnungsrednerin Nikita Dhawan nahm es auf, indem sie einen Zusammenhang zwischen dem Verlust der deutschen Kolonien in Afrika und dem Entstehen des Faschismus im Land herstellte: „Man kann nicht über Rassismus sprechen, ohne über Antisemitismus zu sprechen – und andersherum“, sagte sie angelehnt an Hannah Arendt.