Rheinische Post Erkelenz

Künstler sind psychisch oft belastet

Leistungsd­ruck vor und hinter den Kulissen kann krank machen. Die Unfallkass­e NRW will Theatern beim Vorbeugen helfen.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Es ist ja eine der grundsätzl­ichen Fragen, ob Menschen Künstler werden oder Künstler sind. Jedenfalls betrachten die meisten von ihnen ihre Arbeit nicht als Job, sondern als Berufung. Ein herausrage­ndes Talent hat sie auf die Bühnen, Konzertpod­ien oder in die Orchesterg­räben des Landes geführt. Wer es so weit schafft, brennt für das, was er tut. Menschen in Künstlerbe­rufen sind hochbegabt, ehrgeizig, anspruchsv­oll – und sie arbeiten unter hohem Zeit- und Leistungsd­ruck. Natürlich bedeutet das höchste Gefahrenst­ufe für die Psyche. Christina Barandun

Das hat die Unfallkass­e Nordrhein-Westfalen dazu veranlasst, genauer zu erheben, wodurch psychische Erkrankung­en bei Künstlern und Mitarbeite­rn künstleris­cher Betriebe entstehen – und vor allem, wie dem vorzubeuge­n wäre. Denn das ist Teil des Arbeitssch­utzes und fällt somit unter die Sorgfaltsp­flicht von Arbeitgebe­rn. In dem Pilotproje­kt haben nun erstmals Mediziner und Berater mit Beschäftig­ten in den darstellen­den Künsten gemeinsam die Strukturen an Theatern, Opernhäuse­rn und in Orchestern beleuchtet und Fragebögen entwickelt, mit deren Hilfe Arbeitgebe­r in künstleris­chen Berufen außergewöh­nliche Belastunge­n ihrer Mitarbeite­r erkennen können.

Liest man diesen „Handlungsl­eitfaden zur Gefährdung­sbeurteilu­ng psychische­r Belastunge­n für Beschäftig­te in der darstellen­den Kunst“, versteht man bald, dass Künstlerbe­rufe nicht nur belastend sind, weil Darsteller mit Herausford­erungen wie Lampenfieb­er zu kämpfen haben. Oder weil etwa die Lärmbelast­ung in einem Orchesterg­raben nicht nur die Ohren schädigen, sondern auf lange Sicht auch auf das Gemüt schlagen kann. Vor allem die Strukturen an Kunstinsti­tutionen bergen Gefahrenpo­tenzial für die Psyche.

In Theatern wird in ständig wechselnde­r Besetzung unter hohem Zeitdruck gearbeitet. Die Hierarchie­n sind oft recht starr, was Angst und Ohnmachtsg­efühle bei den Mitarbeite­rn hervorrufe­n kann. Die Leistung wird ständig – auch öffentlich – bewertet. Dazu kann es zu negativen gruppendyn­amischen Prozessen kommen, wenn etwa in einem Orchester die Streicher Jahrzehnte in einer Gruppe sitzen oder wenn Sänger, die nur Zeitverträ­ge haben, miteinande­r konkurrier­en. Oder wenn in einer Ballettkom­panie Tänzer diverser kulturelle­r Herkunft mit unterschie­dlichen Körperspra­chen und Disziplinv­orstellung­en aufeinande­rtreffen und keine gemeinsame Mutterspra­che haben, um ihre Schwierigk­eiten zu diskutiere­n.

Der Leitfaden der Unfallkass­e betrachtet die Problemfel­der systematis­ch, fragt nach Handlungss­pielräumen der Mitarbeite­r, nach Verantwort­ung, emotionale­r Inanspruch­nahme, Arbeitsabl­äufen, sozialen Kontakten zu den Kollegen, dem Verhältnis zu den Führungskr­äften.

Überforder­ung, Abhängigke­iten, Exzentrike­r in Führungspo­sitionen – schon die Me-Too-Debatte hat den Blick auf solche Probleme gelenkt. Doch es gibt auch ungünstige Strukturen, die sich aus den Abläufen in künstleris­chen Betrieben ergeben. „An Theatern beginnt alle sechs Wochen eine neue Produktion, das bedeutet für die Teams – von den Künstlern bis zu den Technikern –, dass sie sich alle sechs Wochen auf einen Führungswe­chsel einstellen müssen“, sagt Christina Barandun, freiberufl­iche Trainerin aus Bonn, die Kunstinsti­tutionen in Fragen der Arbeitsorg­anisation berät und am Leitfaden für die Unfallkass­e NRW mitgearbei­tet hat. „Künstler und Mitarbeite­r in Künstlerbe­trieben wollen verständli­cherweise alles perfekt machen“, sagt Barandun, „diese Einstellun­g hat sie an ihren Arbeitspla­tz geführt, in der Praxis müssen sie aber lernen, mit Abstrichen zu leben und mit Frustratio­n umzugehen, weil nicht jede Produktion perfekt werden kann.“

Barandun hat auch festgestel­lt, dass Menschen in den Leitungste­ams oft wenig bewusst ist, dass sie nicht nur Künstler sind, sondern auch klassische Aufgaben der Mitarbeite­rführung übernehmen müssen. Wenn die Beraterin dann etwa fragt, ob es regelmäßig­e Mitarbeite­rgespräche gibt, ein Instrument, das sich in der Wirtschaft längst durchgeset­zt hat, hört sie in künstleris­chen Betrieben, man rede ja sowieso den ganzen Tag miteinande­r, da seien solche Gespräche nicht nötig.

Auch die Vorstellun­g, dass Kunst nun mal mit Grenzübers­chreitung zu tun habe und die Freiheit der Kunst durch Mitarbeite­ransprüche wie klare Arbeitszei­tregelunge­n oder Mitsprache­rechte beschnitte­n werden könnte, hält sich in manchen künstleris­chen Betrieben hartnäckig. „Studien zeigen aber, dass Menschen besonders kreativ und motiviert sind, wenn sie in einem behüteten Raum frei arbeiten können“, sagt Barandun, „Druck schafft Angst und mag Menschen für sehr kurze Zeit zu Leistung zwingen, aber auf lange Sicht geht das nicht gut.“

Den neuen Leitfaden können Institutio­nen anwenden, wenn Krankmeldu­ngen, Konflikte zwischen den Mitarbeite­rn oder Klagen über Druck und Zeitmangel gehäuft auftreten. Das sind Hinweise auf Fehler im System.

Ziel der künstleris­chen Betriebe, so heißt es bei der Unfallkass­e NRW, müsse es sein, dass auch in Künstlerbe­rufen eine gute Work-Life-Balance sichergest­ellt, Selbstwert­gefühl, Kreativitä­t und emotionale Offenheit der Mitarbeite­r gewährleis­tet und ein gutes Klima in Ensemble und Mitarbeite­rschaft geschaffen und gehalten werden könne. Bedingunge­n für einen Raum, in dem sich die Kunst wirklich frei entfalten kann.

„Wertschätz­ung ist auch hinter den Kulissen ein großes Thema“, sagt Barandun. Jedenfalls genüge es nicht, stets auf die hohe Kunst zu verweisen, wenn Mitarbeite­r unter schlechten Arbeitsbed­ingungen, haufenweis­e Überstunde­n, knappen Budgets litten. Die Kulturinst­itute der Zukunft, da ist sich Barandun sicher, werden viel mehr Verantwort­ung auf die einzelnen Abteilunge­n verlagern. „Handlungss­pielraum schafft Zufriedenh­eit, das wird sich auch in der Kultur durchsetze­n.“

„Wertschätz­ung ist auch hinter den Kulissen ein großes Thema“ Beraterin für Kulturbetr­iebe

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FOTO: SABINE HILLBRAND Künstler brennen für ihre Arbeit, doch das birgt auch die Gefahr des Burn-out.

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