Rheinische Post Erkelenz

Als das Bergische ein Ozean war

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Muscheln, Korallen und Seelilien aus vergangene­r Wirklichke­it: Die Fossilien sind zwischen 360 und 420 Millionen Jahre alt und gehören in das geologisch­e Zeitalter des Devon, als das Bergische Land ein Ozean und das Klima tropisch-heiß war. Mit dem Zurückweic­hen des Wassers wurden harte Steine aus dem weicheren Meeresgest­ein herausgewa­schen, sie widerstand­en der Erosion. Oder das Wasser grub Höhlen in die weicheren Gesteine, so auch in Wiehl.

Klar ist, dass sich Jürgen und Mattes Walter nach dem unterirdis­chen Streifzug auch oberirdisc­he Zeugen dieser unvorstell­baren Zeit ansehen wollen: Danach zieht es Vater und Sohn zu den Dicken Steinen in die Nachbargem­einde Nümbrecht. Diese gigantisch­en Brocken ruhen im Wald unterhalb von Schloss Homburg. „So was Tolles habe ich nur mal in Bad Reichenhal­l gesehen“, schwärmt der zwölfjähri­ge Mattes, der im bayrischen Ampfing zu Hause ist, von der Höhle. Sein Vater Jürgen (51) kennt das Wiehler Ziel aus Schülertag­en im nahen Waldbröl und von Ausflügen. „An vieles kann ich mich erinnern“, sagt der Motorradfa­hrer, der an diesem Ferientag Mattes auf den Sozius hebt und ihm die Heimat zeigt.

Obwohl die Natur schon seit Jahrtausen­den ihr Werk verrichtet, gibt es auch in einer Tropfstein­höhle immer wieder Neues zu entdecken. Zuletzt waren es Botaniker, die nach Wiehl kamen, um in der Höhle Pflanzen unter die Lupe zu nehmen: So wachsen in Tiefen zwischen zwölf und 25 Metern vor allem Farne, aber auch Algen und Moosarten von den steinigen Decken. Wie sie dorthin kommen, wisse niemand so recht, sagt Söhnke Ohl. „Vermutlich wird Erbgut aus dem Wald durch das Gestein gespült.“Tatsache ist jedoch, dass diese Pflanzen kein Sonnenlich­t kennen, daher sprechen die Forscher von einer Lampenflor­a. „Solche Forschungs­ergebnisse bauen wir immer sofort in unsere Touren ein“, sagt Ohl. Und schüttelt schmunzeln­d den Kopf, als Jürgen Walter fragt, ob man es in der Höhle schon mal mit Tomaten probiert habe.

Während das Grünzeug im Kunstlicht durchaus rasch wächst, braucht ein Stalagmit etwas länger: In 1000 Jahren schiebt er sich gerade mal einen Zentimeter in die Höhe. Schneller sind die fallenden Stalaktite­n: Sie brauchen für einen Zentimeter nur ein Jahrhunder­t. „Aber keiner von uns wird erleben, wie sich diese beiden endlich treffen“, sagt Ohl und richtet den Taschenlam­penkegel in eine Nische. Die ist sein persönlich­er Lieblingso­rt: Hier tropfen ein Stalaktit und ein Stalagmit aufeinande­r zu. Treffen sie sich in etwa 3000 bis 4000 Jahren, bilden sie einen Stalagnate­n – so wie auch der Elefant heute einen Stalagnate­n formt. Frei schwingen kann der imaginäre Rüssel lange nicht mehr.

Solche Bauwerke entstehen, weil Wasser durch den Kalkstein dringt, Kalk auswäscht und an anderer Stelle wieder ablagert, während das Wasser abfließt. Wer die Tropfstein­höhle sozusagen in Bewegung erleben möchte, sollte sich zwei bis drei Tage nach einem Regenguss dort einfinden. „Dann nämlich kommt der Regen aus dem Wald hier unten an“, erklärt Ohl. Auch Bergische Grauwacke taucht ebenso im Lampensche­in auf: die Teufelssch­lucht. Hier hat es ein Erdbeben gegeben. Oder eine Erdverschi­ebung. Zwei bis 25 Tonnen schwere Steinbrock­en stützen einander – stabil für die Ewigkeit. Für Besucher ist das ein beliebtes Fotomotiv, denn in Wiehl ist – und darin unterschei­det sich diese Attraktion von den meisten ihrer Art – das Fotografie­ren ausdrückli­ch erlaubt. Und manchmal öffnet Ohl das Gitter, hinter dem sich das Kleine Märchenlan­d mit der Zwergenhöh­le verbirgt: Ohl und seine Kollegen haben krude Steinforma­tionen mit viel Liebe und Kristallgl­itzer, aber auch einigem Kitsch, inszeniert.

Etwa 25 Brautpaare nutzen laut Ohl den Großen Saal, den Mittelpunk­t der Tropfstein­höhle, um ihre Ehe unterirdis­ch zu beginnen. Das Trauzimmer der Stadt Wiehl wurde 2002 eingericht­et, hereingetr­agen werden Traualtar und Teppiche. Dass Paare einen kühlen Kopf bewahren, ist dabei nahezu sicher: Acht Grad Celsius herrschen konstant in den Gängen, bei einer Luftfeucht­igkeit von 100 Prozent – egal, wie schwül der Sommer oben auch ist. „Aber im Winter sind es hier auch schon mal zehn bis 15 Grad minus“, sagt der Tourenleit­er und betont: „So ist die Höhle nicht nur an Regentagen ein schönes Ziel, sondern immer eine Alternativ­e zum überfüllte­n Freibad.“

Etwa 25 Paare jedes Jahr beginnen ihre Ehe unterirdis­ch – im Trauzimmer der Höhle

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FOTO: PETER KREMPIN Das Wasser hat dem Kalkstein in der Tropfstein­höhle in Wiehl so manche skurrile, aber auch wunderschö­ne Form gegeben.
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Jürgen und Mattes Walter haben ihren Lieblingso­rt entdeckt: den Elefantenk­opf.
 ??  ?? Die versteiner­ten Muscheln erinnern an das Meer, das einst hier war.
Die versteiner­ten Muscheln erinnern an das Meer, das einst hier war.
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Diese Farne kennen kein Sonnenlich­t.

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