Die Populisten von Prag
Im wirtschaftlich blühenden Tschechien regieren der linke Präsident Milos Zeman und der rechte Premier Andrej Babis in einer obskuren Anti-Zuwanderungsallianz. Wohin soll das führen?
Fünf Jahre ist es jetzt her, dass sich mitten auf der Moldau, vor der historischen Kulisse der Prager Burg, in leuchtendem Lila ein überdimensionierter Mittelfinger in die Luft reckte. Der tschechische Aktionskünstler David Cerny zeigte den Mächtigen des Landes damals, weithin sichtbar und unmissverständlich, den Stinkefinger. Er begründete die Errichtung der Skulptur, die auf einem Ponton im Fluss schwamm, mit der Politik der „kommunistischen Bastarde auf der Burg“.
Auf dem Hradschin residieren seit der Trennung von der Slowakei 1993 die Staatsoberhäupter der Tschechischen Republik. Den Anfang machte der weltweit verehrte Dichterpräsident Václav Havel. 2013 jedoch, als Cerny seinem Unmut künstlerisch Luft machte, hatten die Tschechen gerade einen weit weniger geachteten Mann auf die Burg gewählt: den Linkspopulisten Milos Zeman, dessen enge, noch auf Sowjetzeiten zurückgehende Kontakte nach Moskau so berüchtigt sind wie sein Hang zu öffentlichen Pöbeleien. 2016 etwa riet er: „Wenn man einen Politiker loswerden will, dann gibt es auch den undemokratischen Weg, und der heißt Kalaschnikow.“Politiker erschießen? Natürlich war das nur ein Scherz. Oder doch nicht?
Die Konfrontation zwischen Cerny und Zeman vor fünf Jahren war der wohl krasseste Ausdruck einer verbreiteten Politikverdrossenheit in Tschechien, die damals mit dem Begriff „Stinkefinger-Stimmung“beschrieben wurde. Profiteur war vor allem ein Mann: Andrej Babis.
Der milliardenschwere Oligarch und Medienmogul eroberte mit seiner Protestpartei Ano (Aktion unzufriedener Bürger) bei der Parlamentswahl im Herbst 2013 auf Anhieb fast ein Viertel der Mandate. Die meisten Beobachter waren sich einig, dass es schlimmer nun nicht mehr kommen könne.
Doch im Spätsommer 2018 ist klar, dass sich die politische Kultur an der Moldau keineswegs verbessert hat, sondern in einen noch tieferen Abgrund gestürzt ist. Es begann im Herbst 2017, als Babis mit einer Anti-Migrationskampagne bei der Parlamentswahl triumphierte. Seine Ano, die faktisch eine Ein-Mann-Partei ist, erhielt rund 30 Prozent der Stimmen. Das entsprach 78 von 200 Mandaten. Dennoch gelang es Babis lange Zeit nicht, eine Koalition zu bilden. Hauptgrund: Gegen den 63-Jährigen ermitteln tschechische und EU-Behörden wegen Subventionsbetrugs.
Die Wurzeln des Reichtums, den Babis mit einer Agrar-Chemie-Holding angehäuft hat, liegen bis heute im Halbdunkel. Sicher dagegen ist, dass der gebürtige Slowake – und Diplomatensohn aus Zeiten der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik – nach der Wende in postkommunistischen Kreisen bestens vernetzt war und entsprechend gute Startbedingungen hatte. Dass es ausgerechnet Babis mit der Parole „Wir stehlen nicht“gelang, ein Drittel der tschechischen Wähler davon zu überzeugen, er sei als kampferprobter Manager ein besserer Politiker als alle Sozialdemokraten, Konservativen, Grünen und Liberalen zusammen, das sagt vermutlich mehr über die Unzufriedenheit im Land aus als Cernys „Stinkefinger“des Jahres 2013.
Seit sieben Wochen nun regiert der rechtspopulistische Babis als Chef einer Minderheitsregierung, die sich von den nie gewendeten tschechischen Steinzeitkommunisten unterstützen lässt. Mit im Boot ist auch die sozialdemokratische Partei CSSD, die in Prag eine ähnlich staatstragende Rolle spielt wie die SPD in Berlin: Die CSSD leidet unter dieser Koalition, aber ohne sie wäre das Land unregierbar. Und genau an dieser Stelle kam wieder Präsident Zeman ins Spiel, den die Tschechen Anfang des Jahres mit einer hauchdünnen Mehrheit für fünf weitere Jahre im Amt bestätigt hatten.
Tschechien gilt als die stabilste Volkswirtschaft des Kontinents. Woher kommt dann die Unzufriedenheit?