Putins Tanz auf zwei Hochzeiten
Freunde werden Angela Merkel und Wladimir Putin wohl nicht mehr. Nach vier Krisenjahren nähern sie sich aber wieder an.
MESEBERG (dpa) Ganz pünktlich schafft der russische Präsident Wladimir Putin es nicht zum Schloss Meseberg. Mit gut einer halben Stunde Verspätung fährt er am Samstagabend mit seiner Stretch-Limousine am Gästehaus der Bundesregierung nördlich von Berlin vor. Sein Abstecher zur Hochzeit der österreichischen Außenministerin Karin Kneissl in der Steiermark auf dem Weg nach Berlin hat dann doch etwas länger gedauert. Für besondere Pünktlichkeit ist er zwar nicht bekannt, aber vielleicht lässt er Merkel auch ganz bewusst warten.
Sein extravaganter Wochenendtrip in die Europäische Union ist quasi ein Tanz auf zwei Hochzeiten. Dort die recht russlandfreundlichen Österreicher, die bei EU-Sanktionen wegen der Ukraine-Krise oder der Vergiftung des russischen Doppelagenten Sergej Skripal zu den Bremsern gehören. Hier die Hardlinerin Merkel, die immer für eine klare Kante gegenüber Moskau war – und trotzdem die Hauptansprechpartnerin in der EU für Putin geblieben ist.
Trotz Verspätung begrüßt die Kanzlerin ihn freundlich, aber nicht wirklich herzlich. Ein Lächeln, ein kurzer Handschlag, sehr geschäftsmäßig. Die beiden kennen sich schon lange. Seit 2005 machen sie in der einen oder anderen Konstellation Weltpolitik mit- oder gegeneinander. Fast 13 Jahre – eine so lange gemeinsame Zeit auf der internationalen Bühne gibt es nur ganz selten.
Sie haben ganz unterschiedliche Zeiten miteinander durchgemacht. Erst ziemlich gute, als Russland noch ein enger Partner des Westens in der G8 war, sogar mit der Nato einigermaßen konnte und die Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland boomten. Mit der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim begann dann 2014 die Krise, die bis heute anhält.
Und jetzt? Kommt jetzt wieder etwas Neues? Merkel und Putin sehen sich jedenfalls wieder häufiger. Erst vor drei Monaten war die Kanzlerin bei ihm am Schwarzen Meer in Sotschi. Der Gegenbesuch ließ nicht lange auf sich warten. „Wir haben Verantwortung: Deutschland, aber vor allem auch Russland“, sagt Merkel, als sie mit Putin vor dem Treffen vor die Kameras tritt. „Deshalb sollten wir daran arbeiten, Lösungen zu finden.“Merkel meint damit vor allem zwei Krisen, bei denen Russland eine zentrale Rolle spielt: die in der Ukraine und die in Syrien.
Um dabei zu Lösungen zu kommen, muss man über die Krise in den deutsch-russischen Beziehungen auch mal hinwegsehen. Im Konflikt zwischen prorussischen Separatisten und Regierungstruppen in der Ostukraine vermittelt Deutschland schon seit Jahren. Neu ist, dass es jetzt auf einmal auch im Syrien-Konflikt eine größere Rolle spielt. Dieses Thema hat die EU und Russland lange auseinanderdividiert. Putin ist der wichtigste Beschützer von Präsident Baschar al Assad.
Dass es wieder direkte Gespräche zwischen Moskau und Berlin gibt, befürwortet deshalb auch Grünen-Politiker Jürgen Trittin: „Man braucht sich gegenseitig, soll Syrien wieder stabilisiert werden.“Im Ukraine-Konflikt warnt er, es müsse klar sein, „dass der Weg zur schrittweisen Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gekoppelt ist an reale Fortschritte bei der Umsetzung der Vereinbarungen zur Ostukraine.“
Aber was hat Putin von der Annäherung an Deutschland und die EU? Putin braucht Merkel wieder, seit klar ist, dass aus dem besseren Verhältnis zu den USA unter Trump nichts wird. Sanktion türmt sich auf Sanktion, und Russland hat nichts entgegenzusetzen. Deshalb will Putin die Angriffe mit dem wichtigsten wirtschaftlichen Partner abwettern – also mit Deutschland, dessen Firmen ebenso von US-Strafen bedroht sind.
In Meseberg dürfte der Kremlchef nicht ohne Wink in Richtung Trump die – ungeachtet der Sanktionen – wieder wachsenden wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland hervorgehoben haben. Und er wirbt für russisches Gas, ahnend, dass Trump mehr von seinem amerikanischen in die EU verkaufen will.
In Syrien hofft Putin auf EU-Geld zum Wiederaufbau, was dann auch den Machterhalt von Assad legitimieren würde. Merkel hat bislang wenig Gründe, aus der westlichen Linie auszuscheren. Im Kampf gegen sein eigenes Volk hat Assad Syrien weitgehend selbst in Ruinen gelegt – mit russischer Hilfe. Aber Putin weiß auch, dass Merkel in der Flüchtlingsfrage innenpolitisch unter Druck steht. Und die Gefahr weiterer humanitärer Katastrophen in und um Syrien ist nicht gebannt.
Russland und Deutschland wollen nun an einem neuen Format mit Frankreich und der Türkei zur Stabilisierung Syriens arbeiten. Zunächst aber auf Expertenebene – damit dürfte die Einladung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu einem Gipfeltreffen Anfang September in der Türkei vorerst ausfallen. Auf einmal hätten beide Länder viele Interessen gemein, kommentierte der russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschow das Meseberger Treffen: „Vom russisch-deutschen Dialog hängt jetzt in Weltfragen nicht weniger, sondern eher mehr ab als von Kontakten zwischen Moskau und Washington.“
Nach gut drei Stunden in Meseberg reist Putin wieder ab. Das Gespräch dauert länger als geplant. Über Ergebnisse wird zunächst nichts bekannt. Das könnte ein Hinweis sein, dass die beiden tatsächlich über ganz konkrete Lösungsmöglichkeiten für Syrien oder die Ukraine gesprochen haben. Für Merkel nahm sich Putin jedenfalls am Ende doppelt so viel Zeit wie für Kneissl. Öffentlich kommentiert er nur den Abstecher nach Österreich: „Das war ein guter Ausflug, sehr freundlich.“
Es ist wahrscheinlich nicht die letzte Hochzeit in diesem Jahr, zu der Putin als Überraschungsgast erscheint. Im Oktober soll Altkanzler Gerhard Schröder, ein enger Freund Putins aus den guten Zeiten der deutsch-russischen Beziehungen, in Berlin Hochzeit feiern – mit seiner aktuellen, fünften Frau Soyeons Kims, die er bereits im Frühjahr geheiratet hat. Es wird gemunkelt, das Putin auch dort aufkreuzen wird. Vielleicht ja wieder wie auf dem Weingut in der Steiermark: mit Kosaken-Chor.