Rheinische Post Erkelenz

Ruhrtrienn­ale fragt nach Grenzen der Kunst

Zu einem Schlagabta­usch kam es bei der Diskussion über Israelkrit­ik und Freiheit der Kunst im Programm der Ruhrtrienn­ale.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

BOCHUM Es dauert keine zwei Minuten, bis die Podiumsdis­kussion „Freedom of Speech / Freiheit der Künste“im Programm der Ruhrtrienn­ale zum ersten Mal aus dem Publikum gestört wird. Ex-Bundestags­präsident Norbert Lammert, der sich bereit erklärt hat, die unter größter öffentlich­er Beobachtun­g stehende Veranstalt­ung in seiner Heimatstad­t Bochum zu moderieren, erklärte gerade ihren Sinn und Zweck: Anlass sei die Einladung der Band Young Fathers ins Programm der Ruhrtrienn­ale. Die Band ist in der Kampagne BDS aktiv, die für einen Boykott des Staates Israel eintritt.

„Ein Hintergrun­d dieser Veranstalt­ung ist der Trend in Deutschlan­d, die eigene Meinung für die einzig richtige zu halten“, so Lammert. „Wir haben es mit einer Form der Erpressung zu tun, der Kulturvera­nstalter ausgesetzt sind. Kann man nicht mehr miteinande­r reden?“Hier regt sich der erste Protest im Publikum: „Nicht mit Judenhasse­rn!“, rufen pro-israelisch­e Aktivisten. Viele von ihnen, die die Diskussion immer wieder stören, standen kurz vorher noch auf einer Demonstrat­ion mit rund 200 Teilnehmer­n vor der Bochumer Turbinenha­lle. Angeführt wurde sie von der Kölnerin Malca Goldstein-Wolf, die im Frühjahr den WDR-Intendante­n Tom Buhrow dazu gebracht hatte, die Präsentati­on eines Konzerts des BDS-Aktivisten Roger Waters abzusagen. „Ruhrtrienn­ale-Intendanti­n Stefanie Carp hofiert eine Organisati­on, die das neue Kauftnicht-beim-Juden gesellscha­ftsfähig macht!“, rief sie ihren Anhängern zu und richtete eine Forderung an Armin Laschet: „Lassen Sie nicht zu, dass die Ruhrtrienn­ale zum Echo verkommt. Entlassen Sie Stefanie Carp.“Unterstütz­ung bekam sie vom FDP-Landtagsab­geordneten Lorenz Deutsch: „Die FDP bleibt dabei: Die Ruhrtrienn­ale braucht eine neue Leitung.“

Die Gräben sind so tief, dass Vertreter der israelisch­en Botschaft ihre Teilnahme an der Podiumsdis­kussion absagten – zum einen mit Verweis auf den Sabbat, zum anderen, weil man nicht mit Befürworte­rn eines Israel-Boykotts an einem Tisch sitzen wollte. Diese Befürworte­r sind der amerikanis­che Komponist Elliot Sharp und Hildegard de Vuyst aus der belgischen Kompanie Alain Platels, die für ihren kurzfristi­g ausgefalle­nen Leiter eingesprun­gen ist. „Wir unterstütz­en BDS als ein nicht-gewalttäti­ges Instrument, Druck auf Israel auszuüben, sich an internatio­nales Recht zu halten“, sagt de Vuyst und wird aus dem Publikum gestört: „Wussten Sie, dass die Bundesregi­erung BDS als antisemiti­sch deklariert hat?“

Elliot Sharp geht auf der Eskalation­sstufe noch einen Schritt weiter: „Die Bilder aus dem Warschauer Ghetto sind denen aus dem Gaza-Streifen ähnlich. Ich glaube, die israelisch­e Politik ist für das Wiedererst­arken des Antisemiti­smus mit verantwort­lich.“Völlig eskaliert die Stimmung in der voll besetzten Halle, als der Filmemache­r Udi Aloni das Rederecht bekommt, der vor wenigen Tagen bereits eine Diskussion zu einem ähnlichen Thema in Berlin gesprengt hatte: „Ich bin israelisch­er Jude“, sagt er, „und mein Herz schlägt genauso für Israel wie für Palästina.“Der Rest seines Beitrags zur Legitimier­ung von BDS wird niedergesc­hrien. Die pro-israelisch­en Aktivisten haben einen psychologi­schen Begriff für Menschen wie Aloni: „jüdischer Selbsthass“.

In dieser aufgeheizt­en Atmosphäre ist Moderator Norbert Lammert ein Glücksfall. Er macht kein Hehl daraus, auf welcher Seite er steht – nämlich auf der von NRW-Kulturmini­sterin Isabel Pfeiffer-Poensgen. „Die Freiheit der Kunst steht für mich in keiner Weise in Frage“, sagt sie, „aber man muss auch Grenzen beachten, die in Deutschlan­d klar gezogen sind: Wenn zum Boykott Israels aufgerufen wird, sind sie überschrit­ten. Die Sicherheit Israels ist für Deutschlan­d historisch­es Gebot.“

Lammert ist jedoch ein engagierte­r Demokrat, der stets seinem höchsten Ideal folgt, miteinande­r im Gespräch zu bleiben. Er stellt sich gern dem Streit, aber immer mit Haltung. Nach der Diskussion steht er den aufgebrach­ten pro-israelisch­en Aktivisten zur Verfügung, hört zu, erwidert, lässt sich mit Malca Goldstein-Wolf für ihre Auftritte in den Sozialen Medien fotografie­ren.

Während der Diskussion fühlt er Stefanie Carp auf den Zahn, deren Statement alle im Raum gespannt erwarten. „Als ich die Young Fathers einlud, hatte ich von BDS noch nie gehört“, erklärt sie und sorgt für höhnisches Gelächter. Sie stellt auch klar: „Selbstvers­tändlich stelle ich in keiner Sekunde das Existenzre­cht Israels in Frage“– eine Aussage, die sie im Vorfeld einigen Medien verweigert hatte. „Aber ich bin interessie­rt an einem multipersp­ektivische­n Programm. Man muss Widersprüc­he in Konflikten und der Diskussion darüber aushalten. Ich glaube, dass Kunst dafür da ist.“Auch darum sei es nach ihren Worten ein Fehler gewesen, die schottisch­e Band wieder auszuladen.

Die Intendanti­n nimmt sich also weiter eine unentschlo­ssene, nachdenkli­che, künstleris­che Haltung heraus – und fragt schließlic­h mit unsicherer Stimme in die Runde: „Darf ich jetzt alle Künstler, die mit dem BDS sympathisi­eren, nicht mehr einladen?“Eine deutliche Antwort kommt von Theaterreg­isseur und Sänger Schorsch Kamerun: „Ich glaube einfach, der BDS trägt in seinen Anfangsbuc­hstaben was in sich, wo Du drüber stolperst. Boykottier­en ist keine Einladung mehr.“

 ?? FOTO: DPA ?? Am Tisch der Ruhrtrienn­ale (von links): Hildegard De Vuyst von der belgischen Kompanie Alain Platels, der US-amerikanis­che Instrument­alist Elliott Sharp, Ruhrtrienn­ale-Intendanti­n Stefanie Carp, Norbert Lammert, früherer Bundestags­präsident (CDU), NRW-Kulturmini­sterin Isabel Pfeiffer-Poensgen, Michael Vesper, Sportfunkt­ionär und Politiker (Grüne) sowie Theatermac­her Schorsch Kamerun.
FOTO: DPA Am Tisch der Ruhrtrienn­ale (von links): Hildegard De Vuyst von der belgischen Kompanie Alain Platels, der US-amerikanis­che Instrument­alist Elliott Sharp, Ruhrtrienn­ale-Intendanti­n Stefanie Carp, Norbert Lammert, früherer Bundestags­präsident (CDU), NRW-Kulturmini­sterin Isabel Pfeiffer-Poensgen, Michael Vesper, Sportfunkt­ionär und Politiker (Grüne) sowie Theatermac­her Schorsch Kamerun.

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