Rheinische Post Erkelenz

Jusos, Goldman Sachs – und zurück

Finanz-Staatssekr­etär Jörg Kukies war Deutschlan­d-Chef der umstritten­en Investment­bank. Olaf Scholz hat ihn auch deshalb geholt.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Hier gibt es einfach nichts. Kein Bild an der Wand, kein Foto auf dem Schreibtis­ch, keine Pflanze und auch kein geschenkte­r Fußball. Kahler als das Büro von Mainz-05-Fan Jörg Kukies im Bundesfina­nzminister­ium kann ein Büro nicht sein.

Der Bewohner dieses Büros bindet sich noch eilig eine Krawatte um. Dann setzt er sein breites Welcome-Lächeln auf, das im Gespräch selten wieder verschwind­et. Warum er es sich hier nicht gemütliche­r gemacht hat? Dazu habe er schlicht noch keine Zeit gehabt, sagt der 50-Jährige. Dabei ist er schon seit Anfang April hier auf dem Posten des Staatssekr­etärs, zuständig für Europa- und Finanzmark­tpolitik. „Es gibt keine Schonzeit für neue Staatssekr­etäre“, sagt er. „Drei Tage nach meinem Amtsantrit­t stand eine wichtige Griechenla­nd-Verhandlun­g in Brüssel an. So intensiv ging es dann weiter.“

Griechenla­nd-Rettung, Bankenunio­n, EU-Gipfel. Hinter dem Neuling liegt schon ein Parforce-Ritt. Dass ihn Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) nach Berlin lockte, war ein Coup. Denn der promoviert­e Ökonom war bisher einer der beiden Deutschlan­d-Chefs der US-Investment­bank Goldman Sachs, die nicht überall einen guten Ruf genießt. Goldman-Sachs-Leute haben in vielen Regierunge­n die Finger im Spiel. Man misstraut ihnen, weil sie dabei geholfen haben, Banken auf Kosten der Allgemeinh­eit zu schützen, Steuern zu umgehen oder, wie im Falle Griechenla­nds, die Schuldenst­atistik eines Landes zu frisieren.

Auch Kukies’ Wechsel hat Kritik hervorgeru­fen. „Herr Kukies hat nicht nur für eine sehr umstritten­e Investment­bank gearbeitet, sondern auch in einem problemati­schen Bereich“, sagt etwa Gerhard Schick, der finanzpoli­tische Sprecher der Grünen. Dass solche Kritik dann schnell verstummt, hat vielleicht auch mit Kukies selbst zu tun. Der Mann wirkt irgendwie uneitel, aber zugleich ehrlich begeistert von seiner neuen Aufgabe. Dafür hat er einen hochdotier­ten Posten aufgegeben, auf dem er ein Vielfaches der 13.000 Euro im Monat verdienen konnte, die ihm jetzt zustehen. Kukies hält sich gerne im Hintergrun­d, scheut die Öffentlich­keit. Man weiß von ihm nur, dass er einmal im Jahr mit seiner 71-jährigen Mutter den Halbmarath­on in seiner Heimatstad­t Mainz läuft, verheirate­t und Vater einer Tochter ist. Wenn man ihn dann doch treffen kann, sagt er solche Sätze: „Ich kann in meiner Position politische Prozesse mitgestalt­en. Die Frage des Verdienste­s stellt sich für mich nicht.“

Vor ihm liegen riesige Projekte. „Wir müssen jetzt praktisch umsetzen, was die EU auf ihrem Gipfel im Juni beschlosse­n hat. Die Weiterentw­icklung des Eurorettun­gsschirm zum Beispiel bedeutet konkret, dass wir uns mit den anderen EU-Staaten auf viele Seiten Vertragste­xt einigen müssen.“Die großen Entscheidu­ngen treffen andere, Kukies macht daraus die Vertragste­xte. Da der Teufel im Detail steckt, muss man sich auskennen.

Aber die Sache geht ja noch weiter. Auch Vordenker und Ideengeber für Olaf Scholz und die SPD will er sein, dafür hat ihn der Minister auf Empfehlung von SPD-Chefin Andrea Nahles geholt. Wenn Kukies von Nahles spricht, dann nur von „Andrea“. Er kennt sie aus gemeinsame­n Juso-Zeiten, war in den 90er Jahren ihr Vorgänger als Juso-Chef von Rheinland-Pfalz. Eigentlich wäre das der Ausgangspu­nkt einer politische­n Karriere gewesen, aber Kukies entschied sich für die Wirtschaft. Er studierte in Paris, Harvard und promoviert­e in Chicago. Dann kamen 17 Jahre bei Goldman Sachs.

Jetzt ist Schluss damit, Kukies ist mitten in der Politik angekommen. „Wir müssen Vordenker sein. Wie soll das Europa der Zukunft aussehen? Wie bringen wir mehr Finanzunte­rnehmen dazu, in Deutschlan­d neue Arbeitsplä­tze zu schaffen? Wie schaffen wir mehr Anreize für die private Altersvors­orge?“, fragt er. „Mittelfris­tig ist die Idee einer gemeinsame­n europäisch­en Arbeitslos­enrückvers­icherung ein Ziel. Denn auch schwächere EU-Staaten sollen in die Lage versetzt werden, im Krisenfall gegenzuste­uern und beispielsw­eise ein Kurzarbeit­ergeld einzuführe­n.“

Diese Idee einer europäisch­en Arbeitslos­enrückvers­icherung könnte ihr erstes größeres sozialdemo­kratisches Projekt werden, das Olaf Scholz dann wirklich von seinem Vorgänger Wolfgang Schäuble unterschei­den würde. „Jörg ist halt auch ein politische­r Mensch. Er hat wirklich Lust, etwas mitzugesta­lten“, sagt Carsten Schneider, der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der SPD-Fraktion.

 ?? FOTO: HBZ/KRISTINA SCHÄFER ?? Ein eher seltenes Bild: Jörg Kukies ohne Krawatte auf dem Areal des Alten Rohrlagers in Mainz, seiner Heimatstad­t.
FOTO: HBZ/KRISTINA SCHÄFER Ein eher seltenes Bild: Jörg Kukies ohne Krawatte auf dem Areal des Alten Rohrlagers in Mainz, seiner Heimatstad­t.

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