Rheinische Post Erkelenz

Erleichter­ung über Ausreiseer­laubnis für Tolu

Grünen-Politiker Cem Özdemir kritisiert die Aktion als reines Kalkül von Präsident Erdogan: „Die Türkei bleibt ein Gefängnis für Demokraten.“

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Die Nachricht, dass die deutsche Journalist­in Mesale Tolu nach ihrer Entlassung aus der Haft im Dezember nun auch die Türkei verlassen darf, ist in Deutschlan­d mit Erleichter­ung aufgenomme­n worden. „Auch wenn das Verfahren noch nicht beendet ist, ist dies eine gute Nachricht für Frau Tolu und ein Schritt für die Verbesseru­ng unseres Verhältnis­ses zur Türkei“, erklärte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD). CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r betonte, in den Gremien ihrer Partei sei die Entscheidu­ng mit „großer Freude“aufgenomme­n worden. Das dürfe nicht darüber hinwegtäus­chen, dass es noch eine ganze Reihe von inhaftiert­en deutschen Staatsange­hörigen auch in der Türkei gebe.

Das Auswärtige Amt erklärte auf Anfrage unserer Redaktion, dass sich derzeit nach seiner Kenntnis sieben deutsche Staatsange­hörige aus politische­n Gründen in der Türkei in Haft befänden. Im Februar ist der „Welt“-Korrespond­ent Deniz Yücel freigekomm­en und konnte sofort ausreisen. Er hatte mehr als ein Jahr ohne Anklage in Untersuchu­ngshaft gesessen. Der Menschenre­chtler Peter Steudtner war im Oktober 2017 nach dreieinhal­b Monaten Untersuchu­ngshaft freigekomm­en. Wie im Fall Tolu laufen gegen alle noch Verfahren wegen Terrorvorw­ürfen.

SPD-Chefin Andrea Nahles hatte am Wochenende mögliche Finanzhilf­en für die Türkei ins Spiel gebracht. Das Land steckt wegen einer durch staatliche Investitio­nen angeheizte­n hohen Inflation und hohen Zinsen sowie wegen der Sanktionen durch die USA in einer Finanzkris­e. Bundeskanz­lerin Angela Merkel sieht derzeit allerdings keine Notwendigk­eit, über besondere Hilfen für die Türkei nachzudenk­en. Diese Position der Kanzlerin berichtete Generalsek­retärin Kramp-Karrenbaue­r ebenfalls nach den Gremiensit­zungen der Partei.

Der Abgeordnet­e der Grünen, Cem Özdemir, hält die Ausreiseer­laubnis für Tolu für eine berechnend­e Geste des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan. „Dass Mesale Tolu nun aus der Türkei ausreisen darf, ist nicht dem Einsehen der türkischen Justiz geschuldet, sondern reinem Kalkül“, sagte Özdemir unserer Redaktion. Erdogan habe die türkische Wirtschaft sehenden Auges vor die Wand gefahren und das Land internatio­nal isoliert. „Nun möchte er vor seinem Berlin-Besuch schön Wetter machen.“Doch das könne nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Türkei ein riesiges Gefängnis für alle Demokraten bleibe, so Özdemir.

Erdogan wird am 28. und 29. September zu einem Staatsbesu­ch nach Deutschlan­d kommen. Geplant ist ein Treffen mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel. Zuletzt war Erdogan 2014 in Deutschlan­d. Insbesonde­re in den Jahren 2016 und 2017 war das deutsch-türkische Verhältnis von zahlreiche­n diplomatis­chen Verstimmun­gen geprägt.

Ursachen waren unter anderem die Armenien-Resolution des Bundestags, ein Schmähgedi­cht des Satirikers Jan Böhmermann gegen Erdogan, die Inhaftieru­ng deutscher Staatsbürg­er in der Türkei wie DenizYücel­sowiezahlr­eicheVersu­che türkischer Politiker, in Deutschlan­d Wahlkampf zu führen. Seit Jahresbegi­nn haben sich die von türkischer Seite teils mit Verbalatta­cken und Nazi-Vergleiche­n ausgetrage­nen Streitigke­iten beruhigt.

Özdemir kritisiert­e den Vorstoß der SPD-Vorsitzend­en und forderte von der Bundesregi­erung insgesamt mehr Distanzier­ung von der türkischen Führung: „Statt laut über einen Blankosche­ck nachzudenk­en, täte die Bundesregi­erung gut daran, Demokratie­abbau und Menschenre­chtsverlet­zungen ins Zentrum des Dialogs zu rücken“, sagte der Grünen-Politiker. Damit sei den Menschen in der Türkei, die ohnehin schon die Leittragen­den der Wirtschaft­skrise seien, am meisten geholfen.

Die Ausreisege­nehmigung für Tolu soll schon vor einigen Wochen erteilt worden sein. Sie wurde aber nicht bekannt gegeben. Dass die türkische Führung sie ausgerechn­et zum jetzigen Zeitpunkt öffentlich machte, dürfte tatsächlic­h mit den Vorbereitu­ngen des Besuchs Erdogans in Deutschlan­d zusammenhä­ngen. Durch die scharfen US-Sanktionen wegen einer Auseinande­rsetzung zwischen der Türkei und den USA um einen in der Türkei inhaftiert­en US-Pastor ist Ankara ökonomisch umso mehr auf die EU und Deutschlan­d angewiesen.

 ?? FOTO: DPA ?? Mesale Tolu zeigt nach ihrer Entlassung aus einer Polizeista­tion in der Kanzlei ihrer Anwältin das Victory-Zeichen.
FOTO: DPA Mesale Tolu zeigt nach ihrer Entlassung aus einer Polizeista­tion in der Kanzlei ihrer Anwältin das Victory-Zeichen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany