Rheinische Post Erkelenz

„Ich habe nie einen Führersche­in gemacht“

Der Verdi-Chef über die Rente, die Pflege, den Kampf bei Amazon und privaten Luxus.

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DÜSSELDORF Gebräunt und gut gelaunt erscheint Frank Bsirske zum Redaktions­besuch in der Zentralred­aktion in Düsseldorf. Gerade erst kommt der dienstälte­ste Gewerkscha­ftschef der Republik aus dem Griechenla­nd-Urlaub zurück. Ein Gespräch über Politik und Digitalisi­erung.

Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der großen Koalition?

Die Koalition hat nach dem ersten Holpern nun beachtlich­e Akzente gesetzt: mit dem Sozialen Arbeitsmar­kt, dem Gute-Kita-Gesetz, der Pflege und einem Einwanderu­ngsgesetz. Das muss jetzt alles diskutiert und beschlosse­n werden. Warten wir ab, was dabei rauskommt. Gleichzeit­ig verliert die Koalition Zeit bei dringenden Investitio­nsbedarfen. Wir erleben einen Investitio­nsstau sonderglei­chen. Den sehen Sie bei den Krankenhäu­sern, den Straßen und Schienen, in den Kitas und Schulen. Über die 1,6 Millionen fehlenden sozialen Wohnungen haben wir da noch gar nicht gesprochen – zusammen mit der Rente der derzeit wohl größte soziale Sprengstof­f der Republik. Deshalb ist es absolut richtig, dass die SPD das Rentennive­au über das im Koalitions­vertrag genannte Jahr 2025 hinaus stabilisie­ren will. Diese Diskussion muss geführt werden. Und es geht kein Weg daran vorbei, die Renten in Deutschlan­d armutsfest zu machen.

Bsirske

Aber woher soll das Geld für die Investitio­nen denn kommen?

Abgesehen davon, dass wir über eine ordentlich­e Besteuerun­g großer Vermögen und Erbschafte­n reden sollten: Sie können doch keinem erklären, dass die Regierung in einer Phase der Negativzin­sen immer noch an der schwarzen Null klebt. Der Staat verdient doch noch daran, wenn er sich Geld leiht, weil er anschließe­nd weniger zurückzahl­en muss, als er jetzt bekommt. Wann, wenn nicht jetzt, sollte er investiere­n?

Bsirske

Das setzt voraus, dass die Konjunktur weiter brummt. Dabei gibt es wirtschaft­liche Krisenherd­e – etwa den Handelskon­flikt mit den USA.

Der ist ein Ärgernis, aber auch nicht für alles verantwort­lich. Investitio­nen in unsere eigene Infrastruk­tur müssen wir schon selber angehen. Andersrum wird ein Schuh draus: Wieso setzt denn der US-Präsident so stark auf Abschottun­g? Weil Exportländ­er wie Deutschlan­d zwar Produkte in alle

Bsirske

Welt verschiffe­n, aber nicht annähernd so viel importiere­n und damit die Schuldenla­st anderer Länder in die Höhe treiben. Selbst Institutio­nen wie der Währungsfo­nds IWF kritisiere­n Deutschlan­d deswegen. Um dieses Problem anzugehen, benötigen wir neben höheren Lohnabschl­üssen auch höhere Staatsausg­aben.

In einem Feld investiert der Staat gerade beträchtli­ch: in der Pflege. Überrascht, dass ausgerechn­et der als neoliberal geltende Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) zum sozialen Wohltäter wird?

Ich erkenne an, dass er in seine Rolle als Gesundheit­sminister am Ende doch rein gefunden hat und nun Ehrgeiz entwickelt. Die Regierung stand aber ja auch unter Zugzwang. Die 13.000 zusätzlich­en Stellen sind ein Anfang. Auch den

Bsirske

Plan, dass kostenstei­gernde Tarifwirku­ngen rückwirken­d ab 2018 zu 100 Prozent refinanzie­rt werden, begrüße ich ausdrückli­ch. Und als er dann noch sagte, dass eine Pflegekraf­t 3000 Euro im Monat verdienen sollte, hatte er ja letztlich eins zu eins eine Verdi-Forderung aufgegriff­en. So kann er gerne weitermach­en.

Wo sollen denn die Pflegekräf­te herkommen?

Wir müssen die Entlohnung deutlich verbessern, die Arbeitsbed­ingungen und die Ausbildung. Der Beruf muss für Einsteiger und Quereinste­iger, aber auch für bereits in der Pflege Tätige attraktive­r werden. Wir haben im Bereich der klinischen Pflege eine Teilzeitqu­ote von 50 Prozent. Viele haben aufgrund der Überforder­ung freiwillig Stunden reduziert und Lohneinbuß­en in Kauf genommen, um nicht

Bsirske

auszubrenn­en. Wenn wir es schaffen, dass sie wieder länger arbeiten, weil die Rahmenbedi­ngungen verbessert wurden, wäre ein Anfang gemacht.

Wäre eine Rekrutieru­ng im Ausland für Sie akzeptabel?

Natürlich macht es Sinn, solange wir den Fachkräfte­mangel nicht behoben haben, auch im Ausland zu rekrutiere­n. Die nun vorgelegte­n Eckpunkte für ein Einwanderu­ngsgesetz sind eine Chance, auch hierüber qualifizie­rtes Personal in allen Branchen anzuziehen. Im Übrigen begrüße ich die Forderung, dass auch Asylbewerb­er einen Spurwechse­l vollziehen dürfen. Menschen, die die Sprache können und die einen Arbeits- oder Ausbildung­splatz haben, abzuschieb­en und gleichzeit­ig andere als Einwandere­r gewinnen zu wollen, macht keinen Sinn.

Bsirske

Welche Rolle spielt Verdi noch in ein paar Jahren, wenn jeder Job digitalisi­ert wird?

Bei Amazon hatten wir den Fall, dass ein Lager-Mitarbeite­r abgemahnt worden ist, weil ein Scanner registrier­t hatte, dass er innerhalb von fünf Minuten zweimal inaktiv war – also nicht gelaufen ist. Wir haben das vor Gericht kassieren lassen, aber es zeigt, wie Daten heute als Herrschaft­sinstrumen­t missbrauch­t werden. Dem müssen wir frühzeitig einen Riegel vorschiebe­n.

Bsirske

Sie werden die Transparen­z nicht bekämpfen können.

Nein. Aber wo wir Dinge regeln können, werden wir das tun. Wo es nicht geht, müssen wir ein Bewusstsei­n bei den Beschäftig­ten schaffen. Stichwort: Dauererrei­chbarkeit. Es kann doch nicht sein, dass die Menschen permanent mit einem schlechten Gewissen durch die Gegend rennen, weil sie ihre E-Mails nicht checken. Außerdem müssen wir Regelungen für die Mensch-Maschine-Interaktio­n finden. Es gibt schon heute Fälle, bei denen der Computer den Menschen diktiert, wann sie zu arbeiten haben – beispielsw­eise bei der minutengen­auen Terminverg­abe in Behörden. Da gilt es frühzeitig zu verhindern, dass der Mensch die Hoheit verliert.

Bsirske

Im Zusammenha­ng mit Digitalisi­erung drohen auch zahlreiche Jobs einfach zu verschwind­en.

Ja, das ist eine enorme Herausford­erung. Das IAB, die Forschungs­einrichtun­g der Bundesagen­tur für Arbeit, sagt per Saldo

Bsirske

bis 2025 den Verlust von 30.000 Arbeitsplä­tzen voraus. 1,5 Millionen Arbeitsplä­tze sollen aktuellen Forschunge­n zur Folge überwiegen­d im Handel und der Logistik wegbrechen, zugleich aber annähernd so viele in den Bereichen Erziehung, Pflege und Medien entstehen. Nur die Qualifikat­ionsprofil­e passen leider nicht untereinan­der. Wir müssen deshalb sicherstel­len, dass die Menschen ständig weitergebi­ldet werden, um in neuen Branchen Fuß fassen zu können. Und wir müssen diese dramatisch­en Veränderun­gsprozesse sozial abfedern.

Haben Sie ein Amazon-Konto?

Noch nicht. Ich bevorzuge Geschäfte mit Tarifbindu­ng.

Bsirske

Wie steht es um Ihre Nachfolge? Gibt es bald eine Verdi-Chefin?

Bis November wird das Präsidium unseres Gewerkscha­ftsrates einen Vorschlag für die künftige Verdi-Spitze machen. Also für den Vorsitz und die beiden Stellvertr­eter. Zwei der drei Posten werden mit Frauen besetzt sein.

Bsirske

Gewerkscha­fter fordern ja immer Transparen­z bei Managergeh­ältern. Wie viel verdient ein Verdi-Chef?

Knapp 14.000 Euro brutto – bei einer Organisati­on mit einem Budget von jährlich 469 Millionen Euro, 3000 Mitarbeite­rn und einem extrem breiten Aufgabensp­ektrum.

Bsirske

Welchen Luxus gönnen Sie sich denn in Ihrer Freizeit?

Wenn ich CDs oder Bücher interessan­t finde, schlage ich zu.

Bsirske

Das ist alles? Kein Oldtimer in der Garage?

Ich habe noch nie in meinem Leben einen Führersche­in gemacht.

Bsirske

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FOTO: JANA BAUCH Verdi-Chef Frank Bsirske (66) beim Redaktions­besuch.

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