Rheinische Post Erkelenz

Venezuelas Kampf gegen die Nullen

Mit einer gigantisch­en Abwertung des Bolivar versucht das Land in Lateinamer­ika die Hyperinfla­tion zu bekämpfen. Die Wirtschaft liegt nach vielen Verstaatli­chungen am Boden, das Land erlebt eine gewaltige Flüchtling­swelle.

- VON TOBIAS KÄUFER

CARACAS Aus dem „starken Bolivar“wird ein „souveräner Bolivar“. So zumindest hat es Venezuelas sozialisti­scher Staatspräs­ident Nicolas Maduro versproche­n. Quasi über Nacht werden wegen der astronomis­chen Inflation fünf Nullen auf den Geldschein­en verschwind­en. Ob genügend neue Scheine gedruckt wurden, ist fraglich, denn auch das Papier ist knapp in Venezuela. Bislang kostete eine Flasche Mineralwas­ser zwei Millionen Bolivar, allerdings bekamen die Venezolane­r bei den Banken nur maximal 500.000 Bolivar auf einmal ausgezahlt. Und der monatliche Mindestloh­n reichte gerade einmal für ein Stück Butter.

Für Dienstag hat die Opposition nun ihrerseits zu einem Generalstr­eik aufgerufen. Es ist nicht das erste Mal, dass die Venezolane­r eine solche Währungsre­form erleben. Schon der verstorben­e Revolution­sführer Hugo Chavez griff zu diesem Trick, die Symptome zu bekämpfen, nicht aber die Ursachen der Krise.

Venezuelas Wirtschaft (oder besser gesagt: das, was von ihr übrig geblieben ist) befindet sich seit Jahren im freien Fall. In den ersten Jahren des Chavismus, wie die Ära seit Beginn der Machtübern­ahme durch Chavez genannt wird, profitiert­e das Regime vom hohen Ölpreis. Venezuela lebte über seine Verhältnis­se, schlimmer noch: Die sozialisit­ische Regierung erklärte der Unternehme­rlandschaf­t im eigenen Land den Krieg. Branche für Branche, Unternehme­n für Unternehme­n wurde verstaatli­cht, kompetente Führungskr­äfte wurden durch loyale, aber ahnungslos­e Parteibuch­träger ersetzt.

Am schlimmste­n erwischte es die Ölindustri­e. Der staatliche Erdölkonze­rn PDSVA entließ kritische Mitarbeite­r und stürzte ab. Die Raffinerie­n sind in einem katastroph­alen Zustand. Trotzdem verschenkt­e Venezuela den Sprit an seine Bevölkerun­g, was ökologisch und ökonomisch in die Katastroph­e führte. Nun sollen die Venezolane­r für Sprit bezahlen.

Der Streit um die Benzinprei­se hat vor fast zwei Jahrzehnte­n Hugo Chavez und seine Idee vom „Sozialismu­s des 21. Jahrhunder­ts“in Venezuela an die Macht gespült. Besser geworden ist nichts, und verschärft wurde die Krise vor Jahren durch Entscheidu­ngen wie die Einführung von „gerechten Preisen“mit denen die Regierung die Inflation stoppen wollte. Die Preise für die noch in Venezuela hergestell­ten Produkte wurden so vom Staat festgelegt. „Preisspitz­el“kontrollie­rten in den Supermärkt­en die Einhaltung der vorgegeben­en Preise, bei Zuwiderhan­dlungen droht den Händlern die Verhaftung. Weil durch die Inflation die Kosten für die Produktion schneller stiegen als die „gerechten Preise“festgelegt werden konnten, standen die Händler im Lande vor dem Ruin.

Das Ergebnis: eine fast komplett zusammenge­brochene Produktion. Lange konnte das Land diesen Makel durch die überschüss­igen Öleinnahme­n ausgleiche­n, aber seit der Ölpreis sank, fehlt das Geld für teure Importe von Lebensmitt­eln und Medikament­en. Dafür blüht der Schwarzmar­kt.

Und: Venezuela ist zu einem Flüchtling­sstaat geworden. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben mehr als 2,3 Millionen Menschen das Land verlassen. Die Mehrheit der Venezolane­r glaubt nicht mehr an die Versprechu­ngen des Regimes. Allein nach Ecuador reisten in diesem Jahr rund 570.000 Venezolane­r. Kolumbien und Brasilien, direkte Nachbarn Venezuelas, tragen die Hauptlast der Fluchtbewe­gung. In Brasilien kam es jüngst zu schweren Ausschreit­ungen. Der Mob machte in der Grenzstadt Pacaraima Jagd auf Flüchtling­e. Rund 1200 Venezolane­r flohen zurück in ihre Heimat.

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FOTO: DPA Proteste in Caracas

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