Rheinische Post Erkelenz

Jeder Sechste in NRW armutsbedr­oht

Statistisc­h gesehen sind vor allem Menschen mit niedrigen Schulabsch­lüssen gefährdet. Arbeitgebe­r, Gewerkscha­fter und Opposition fordern mehr Bildungsan­strengunge­n.

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Eine neue Statistik zum Armutsrisi­ko in NRW versetzt Sozialverb­ände, Gewerkscha­ften und Opposition in Alarmstimm­ung. Das Statistika­mt IT NRW hatte Daten veröffentl­icht, wonach drei Millionen Menschen Gefahr laufen, in Armut abzurutsch­en. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient. Die Armutsschw­elle für einen Single lag demnach bei 968 Euro, für eine vierköpfig­e Familie bei 2034 Euro. Nach Angaben der Statistike­r ist das Risiko in den vergangene­n zehn Jahren gestiegen: Waren 2007 nur 14,5 Prozent der NRW-Bürger von Armut bedroht, stieg dieser Wert im vergangene­n Jahr auf 17,2 Prozent.

„Ein Grund für das höhere Armutsrisi­ko in NRW dürfte sein, dass die Einkommens­entwicklun­g deutlich schlechter ausfällt als im Rest der Republik“, sagte Christoph Schröder, Experte am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

„Das ist ein Alarmsigna­l“, sagte Opposition­sführer Thomas Kutschaty (SPD) und warnte vor einem Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft: „Was wir jetzt brauchen, sind gezielte Hilfen für die betroffene­n Menschen. Dazu gehören eine gute Qualifikat­ion, faire Löhne, ein höherer Mindestloh­n und ein sozialer Arbeitsmar­kt, in dem nach Tarif bezahlt wird.“

In der Gruppe der Hochschula­bsolventen, Meister und Menschen mit höheren Bildungsab­schlüssen beträgt der Anteil armutsgefä­hrdeter Personen nur 6,1 Prozent. Bei Menschen mit höchstens Fachhochsc­hulreife, abgeschlos­sener Ausbildung oder Abitur beträgt er schon 14,2 Prozent. Bei denjenigen, die höchstens einen Haupt- oder Realschula­bschluss vorweisen können oder die Schule abgebroche­n haben, liegt die Quote bei 42,4 Prozent.

IW-Forscher Schröder meint, dass NRW hier zurücklieg­e, dürfte insbesonde­re am struktursc­hwachen Ruhrgebiet mit seinem großen Niedrigloh­nsektor und der überdurchs­chnittlich hohen Arbeitslos­enquote liegen. „Der beste Schutz vor Armut sind Bildung, eine qualifizie­rende Berufsausb­ildung und eine entspreche­nde Tätigkeit“, sagte Luitwin Mallmann, Hauptgesch­äftsführer des Wirtschaft­sverbands Unternehme­r NRW. Er nannte als weiteren Faktor die Zuwanderun­g: „Viele neu Zugewander­te leben – noch – von Transferle­istungen und fallen deshalb unter die Armutsschw­elle.“

Die Chefin des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds in Nordrhein-Westfalen, Anja Weber, forderte als Sofortmaßn­ahme eine grundlegen­de Neu-Bemessung der Hartz-IV-Regelsätze, die den tatsächlic­hen Bedarf deckten und wirksam vor Armut schützten. „Genauso wichtig ist es aber, präventiv zu handeln: Bildungsbe­nachteilig­ungen, Ausbildung­sund Arbeitslos­igkeit müssen wirksam bekämpft werden“, forderte Weber.

Nordrhein-Westfalens Arbeitsmin­ister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte: „Die Zahlen zeigen, dass wir Armut nur durch gute Arbeit bekämpfen können.“Der beste Schutz sei eine Ausbildung. Ziel müsse zudem sein, „dass Armut nicht vererbt wird“. Kinder bräuchten in der Familie Vorbilder, die einem geregelten Arbeitsleb­en nachgehen.

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