Ein Kabinett verplappert sich
Es ist wie immer: Nicht so sehr die Fehler, die Integrationsminister Stamp bei der Abschiebung von Sami A. gemacht hat, sind das Problem. Die verunglückte Kommunikation im Nachgang hat die Regierung in Nöte gebracht.
Mit dem Begriff „Regierungskrise“sollte man sparsam umgehen. Er meint eine Lage, in der die ordnungsgemäße Regierung eines Landes gefährdet ist. Davon ist NRW weit entfernt. Aber nach der verunglückten Abschiebung des Gefährders Sami A. verrennen sich immer mehr Mitglieder der schwarz-gelben Landesregierung in kaum haltbare Positionen. So sehr, dass SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty – vor Kurzem immerhin noch NRW-Justizminister – bereits eine „Verfassungskrise“ausmacht. Vielleicht ist auch dieser Begriff zu hoch gehängt. Aber weit entfernt davon ist das Land nicht.
Es muss einiges passieren, bis eine Bundeskanzlerin öffentlich einen Landesminister zur Ordnung ruft – noch dazu einen Parteifreund. Dazu sah Angela Merkel (CDU) sich vor wenigen Tagen genötigt, als NRW-Innenminister Herbert Reul das Oberverwaltungsgericht (OVG) maßregelte. „Es gilt für uns, dass die Entscheidungen von unabhängigen Gerichten zu akzeptieren sind“, stellte Merkel mit Blick auf Reul klar. Zuvor hatte das OVG die von NRW-Vizeministerpräsident Joachim Stamp (FDP) betriebene Abschiebung des Gefährders Sami A. für rechtswidrig erklärt. Das hatte Reul mit der Forderung quittiert, Gerichte müssten auch das „Rechtsempfinden der Bevölkerung“beachten.
Es muss auch einiges passieren, bis die Präsidentin des obersten Verwaltungsgerichts in NRW das Vertrauensverhältnis zwischen Behörden und Justiz für gestört erklärt. Dazu sah Ricarda Brandts sich genötigt, weil die Behörden dem damals zuständigen Gericht aus ihrer Sicht Informationen vorenthalten und damit ein wirksames richterliches Vorgehen gegen die Abschiebung verhindert hatten. „Hier wurden offensichtlich die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet“, bilanzierte Brandts und riet Richtern, sich auf Zusagen von Behörden vorerst nicht mehr in jedem Fall zu verlassen. Der Fall wirft für sie auch „Fragen zu Demokratie und Rechtsstaat – insbesondere zu Gewaltenteilung und effektivem Rechtsschutz – auf“. Derart harte Kritik einer Richterin ist ein seltener Vorgang in der Landesgeschichte.
Als wäre der Schaden damit nicht groß genug, verstrickte sich die Landesregierung dann auch noch in ein offenbar unkoordiniertes Kommunikationschaos. In den gut 40 Tagen seit der Abschiebung haben mehrere Kabinettsmitglieder mit unglücklichen bis verunglückten Äußerungen ihre Reputation riskiert.
Joachim Stamp
Das vom Vizeministerpräsidenten geführte Integrationsressort hat dem damals zuständigen Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den Abschiebetermin von Sami A. bewusst vorenthalten. Schon dieses Vorgehen offenbart Stamps fragwürdiges Verhältnis zur Justiz. Als das Oberverwaltungsgericht die Abschiebung später für rechtswidrig erklärte, hob Stamp den Graben noch tiefer aus. Er werde die angeordnete Rückholung umsetzen. Stamp fügte aber trotzig hinzu: „Ich bin anderer Rechtsauffassung als das Gericht.“Die Gerichtsverhandlung wäre der Ort gewesen, in dem die Landesregierung ihre Rechtsauffassung hätte vertreten lassen müssen. Wenn der Vizeministerpräsident aber einen letztinstanzlichen Gerichtsbeschluss nachträglich und fachlich infrage stellt, untergräbt die Exekutive die Autorität der Judikative. Das zeugt von mangelndem Respekt vor der Gewaltenteilung und damit vor dem Grundgesetz.
Herbert Reul
Die Kritik des Innenministers an der Judikative wiegt weniger schwer, weil Reul kein konkretes Urteil angreift, sondern die Gerichte allgemein zu mehr Rücksichtnahme auf das Empfinden der Bevölkerung auffordert. Eine krude Position. Aber anders als Stamps fachliche Kritik an einem ranghohen Gericht ist Reuls Bemerkung als allgemeine Meinungsäußerung legitim. Wenngleich man sich von Reul, der ja auch Verfassungsminister ist, eine differenziertere Position