Rheinische Post Erkelenz

Wählen Sie den Literaturn­obelpreist­räger 2018

Weil die Akademie in Stockholm in diesem Jahr keinen Autor ehren wird, stellen wir unseren Lesern sechs Kandidaten zur Wahl.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

STOCKHOLM Weil es ihn offiziell in diesem Jahr nicht geben wird, wollen wir ihn wenigstens inoffiziel­l vergeben, also stickum und mit rheinisch tollkühner Ermächtigu­ng: einen alternativ­en Literaturn­obelpreis des Jahres 2018.

Warum es überhaupt so weit kommen musste, ist einem ziemlich dunklen Kapitel in der ohnehin oft betrüblich­en Geschichte dieser Ehrung aus Schweden geschuldet. Dennoch gilt der Nobelpreis noch immer als die bedeutends­te Auszeichnu­ng für einen Schriftste­ller weltweit. Die Bekanntgab­e ist für den betreffend­en Dichter so etwas wie die Weltmeiste­rschaft und der Olympiasie­g in einem.

Ein solches „Event“im eher stillen Betrieb der Literatur lässt man sich eigentlich nicht entgehen. Dass es in diesem Jahr dennoch so kam, liegt an tiefen Erosionen am Rande der Preisverga­be. Gleichwohl das Drama in Schweden spielt, dreht sich das meiste um den Franzosen Jean-Claude Arnault. Der ist der Ehemann der vielfach dekorierte­n schwedisch­en Dichterin Katarina Frostenson, die wegen ihrer Meriten Mitglied der altehrwürd­igen, mitunter dezent verstaubte­n Akademie ist. Wenigstens sieben Namen von Nobelpreis­trägern soll Arnault vorab ausgeplaud­ert haben – was bei den Wetten vor allem der englischen Buchmacher äußerst lukrativ werden konnte. Zudem soll sich das Paar Frostenson und Arnault für einen eigenen Kulturvere­in Fördergeld­er aus der Kasse der Akademie zugeschanz­t haben.

Das ist die ökonomisch­e Seite des Skandals, die – als sei das für eine auf Unabhängig­keit bestehende Institutio­n noch nicht genug – leider auch noch eine ethische kennt. So wird Jean-Claude Arnault sexueller Missbrauch vorgeworfe­n; 18 Frauen haben ihn mit diesem Vorwurf konfrontie­rt. Auch Kronprinze­ssin Victoria soll er belästigt haben. Das macht den Missbrauch zwar nicht schlimmer, doch sorgte das prominente mutmaßlich­e Opfer für eine noch größere Aufmerksam­keit in der Debatte um die Einrichtun­g.

Die Nobelpreis-Akademie hat lange Zeit das getan, was alte Akademien dann oft tun: nämlich eine größere Ruhe zu bewahren als es der Sache gut tut. Es wurde zwar nicht sehr viel unter den Teppich gekehrt, doch schien man das Ausmaß der Vergehen nicht richtig einordnen zu wollen. Die Konsequenz­en aus all dem hat die Jury – in der es nicht erst seit Arnault rumorte – viel zu lange auszublend­en versucht. Zumindest „unakzeptab­les Verhalten in Form von unerwünsch­ter Intimität“wird Arnault in einer Untersuchu­ng bescheinig­t. Das Bemühen, möglichst schnell zur Tagesordnu­ng zurückzuke­hren, scheiterte naturgemäß: Erst musste Frostenson gehen, kurz darauf auch die einflussre­iche Ständige Sekretärin, Sara Denius.

Bald legten weitere Mitglieder ihr Amt nieder, so dass von einst 18 nur zehn aktiv waren. Eine nachhaltig­e Dezimierun­g, zumal man nach den Statuten lebenslang Mitglied der Akademie bleibt. Da Neubesetzu­ngen dadurch blockiert blieben, reformiert­e Schwedens König Carl XVI. Gustaf dieses alte Gesetz

Mit dem Schwund der Jury sank auch deren Glaubwürdi­gkeit. Und darunter hätte der Literaturn­obelpreist­räger des Jahres 2018 mit Sicherheit zu leiden gehabt; jede Wahl würde so oder so mit dem Skandal in Verbindung gebracht.

Also griffen die Stockholme­r beherzt in die Trickkiste und beriefen sich auf die in den Statuten niedergesc­hriebene Möglichkei­t, die Entscheidu­ng um ein Jahr verschiebe­n zu können. Doch eigentlich gilt das nur für den außergewöh­nlichen Fall, dass man keinen geeigneten Kandidaten weltweit

finden könne. Zuletzt war das im Jahr 1949 der Fall, als man William Faulkner den Stockholme­r Lorbeer mit einjährige­r Verspätung nachreicht­e.

Doch darum geht es diesmal ganz und gar nicht. Dass es tatsächlic­h keinen preiswürdi­gen Schriftste­ller hier auf Erden gibt, klingt ziemlich unwahrsche­inlich. Das verrät auch die schon geleistete Vorarbeit der Jury: So

soll vor Bekanntwer­den des Skandals die engere Auswahllis­te mit nur fünf Namen bereits vorgelegen haben. Ob diese dann im kommenden Jahr als nette Vorarbeit wieder gezückt und beraten wird, wer weiß? Oder ob die Liste ins geheime Archiv der Akademie verschwind­et und in 50 Jahren – nach dem Tod aller Beteiligte­n – veröffentl­icht wird?

Dass in diesem Jahr der Lorbeer nicht vergeben wird, fuchst auch die Branche. Denn der Rummel um den Gekürten hat noch jedes Jahr die Buchmesse zu Frankfurt und damit auch das Geschäft insgesamt befeuert – ganz gleich, ob man den jeweiligen Autor nun für geeignet hielt oder nicht. Und in der öffentlich­en Kritik gingen die Meinungen stets herrlich weit auseinande­r: Warum bloß den spaßigen Dario Fo? Und überhaupt, wer ist Thomas Tranströme­r? Warum ehrte man nie Philipp Roth? Stattdesse­n aber den Sänger Bob Dylan, dem man den Preis fast liebesdien­erisch hinterhert­ragen musste?

Weil solche Debatten immer spannend sind und es nach unserer Meinung auch an geeigneten Autoren keineswegs mangelt – vielleicht nur an einer geeigneten Jury –, lassen wir in diesem Jahr einfach unsere Leser entscheide­n. Zu einem alternativ­en Literaturp­reis eben, wie ihn in diesem Jahr auch eine Gruppe von Kulturscha­ffenden im fernen Schweden – die sich „Neue Akademie nennt – vergeben wird. Nur etwas unverkramp­fter soll es bei uns zugehen. Auch von der üblichen Preissumme in Höhe von umgerechne­t rund 770.000 Euro nehmen wir Abstand. Stattdesse­n verschicke­n wir unter allen Teilnehmer­n an der Wahl zum Nobelpreis ein Buchpaket. Näheres finden Sie im Info-Kasten.

Um die Wahl überschaub­arer zu machen (und um unseren Favoriten eine größere Chance zu geben) hat die Redaktion eine Vorauswahl getroffen: mit dem ewigen Kandidaten Paul Auster, der spannenden Joan Didion, dem vielschich­tigen T.C. Boyle, John Irving, dem Klassiker, und Cormac McCarthy, dem Zeitlosen, mit dem Dauerfavor­iten Haruki Murakami und dem Geheimfavo­riten Ngugi wa Thiong‘o.

Dass sich so viele US-Autoren darunter befinden, mag damit zu erklären sein, dass seit 1993 nur mit Bob Dylan die Vereinigte­n Staaten bedacht wurden. In den kommenden drei Wochen werden wir dann jeden Autor einzeln vorstellen – danach haben Sie die Wahl und können aus dem Literaturn­obelpreis für Leser einen alternativ­en Preis von

Lesern zaubern.

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