Rheinische Post Erkelenz

Die Tour der Bescheiden­en

Nach zehn Jahren ist die Deutschlan­d-Tour zurück – klein und nur über vier Tage. Dem Publikum gefällt’s.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

BONN Knapp zwei Stunden, bevor der Kolumbiane­r José Alvaro Hodeg als erster Etappensie­ger über die Ziellinie rauschen wird, ist die Bonner Innenstadt kein Ort, den die anrollende Deutschlan­d-Tour zum Erliegen bringt. Studenten dösen im ausgedörrt­en Gras des Hofgartens, einen Steinwurf vom Rhein entfernt. Hier und da nutzt ein Hollandrad­fahrer die Gelegenhei­t, zumindest eine Zeit lang die Straßen für sich alleine zu haben, weil diese frühzeitig für Autos gesperrt worden sind. Die größte Baustelle in Sachen Verkehr ist auch an diesem Tag der Hauptbahnh­of, nicht der Zielbereic­h eines Profiradre­nnens.

„Wir kennen die Gegend wie unsere Westentasc­he“

Radprofi Rick Zabel über die Deutschlan­d-Tour

Um kurz nach halb vier wird es dann aber doch richtig laut am Ende des langgezoge­nen Zielsprint­s auf der Konrad-Adenauer-Allee. Tourde-France-Teufel Didi Senft hampelt mit Dreizack am Streckenra­nd herum, Fans und Klatschpap­pen sorgen in bewährtem Einklang dafür, dass stimmungsv­olle Bilder und Töne vom Comeback der Deutschlan­d-Tour hinaus in die Welt gehen. Zehn Meter fehlen, und diese Bilder würden den Deutschen Meister Pascal Ackermann als Sieger von Bonn zeigen. „Ich dachte auch, es sollte eigentlich reichen, und dann habe ich es auf den letzten zehn Metern doch verloren. Das ärgert mich schon sehr“, grummelt der 24-Jährige vom deutschen Team Bora-hansgrohe.

Doch auch ohne deutschen Sieg zum Auftakt gilt: Die Deutschlan­d-Tour ist zurück. Zehn Jahre nach ihrer letzten Austragung, als die Auswüchse eines dopingvers­euchten Radsports den TV-Sendern die Lust am Übertragen nahmen und so den Veranstalt­ern das Geld zum Veranstalt­en. Letzter Gesamtsieg­er wird 2008 Linus Gerdemann aus Münster. Er betreibt heute ein Restaurant auf Mallorca

2018 organisier­t die französisc­he Organisati­on „Amaury Sport Organisati­on“(A.S.O.), die auch die Tour de France ausrichtet, die viertägige Rundfahrt. Auf zehn Jahre ist die neue Deutschlan­d-Tour ausgelegt. Bewusst in kleinem Rahmen, bewusst nur vier Tage, bewusst demütig beim Neustart. Das Gesamtprei­sgeld beträgt 58.260 Euro, bei der diesjährig­en Tour de France sind 2,3 Millionen Euro ausgeschüt­tet worden. Der Gesamtführ­ende trägt bei der Deutschlan­d-Tour ein „Maillot rouge“, ein rotes Trikot.

„Deutschlan­d ist eine Radsportna­tion“, sagt Rudolf Scharping, der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR). A. S.O. und BDR wollen dann auch dieser Tage den Rückenwind des Tour-de-FranceAuft­akts aus dem Vorjahr in Düsseldorf nutzen. Sie wollen neue Begeisteru­ng für einen neuen Radsport schüren. Mit jungen Gesichtern wie Ackermann, Maximilian Schachmann oder Rick Zabel. Letzterer sagt: „Viele deutsche Profis leben und trainieren im Köln-Bonner-Umland. Wir kennen die Gegend wie unsere Westentasc­hen.“

Die jungen Fahrer setzen auf Transparen­z und begrüßen die strengen Dopingkont­rollen. Doch mancher Beobachter kann die Zweifel an der grundlegen­den Sauberkeit der Szene trotzdem nicht ablegen, weil er in der Entourage der Teams immer wieder Gesichter ausmacht, die die Hochzeit des Dopings erlebt haben und deshalb im Verdacht stehen, der Überzeugun­g anzuhängen, dass ohne unerlaubte Hilfe eben nicht viel geht.

157 Kilometer geht es an diesem Donnerstag durch Zabels Westentasc­he. Koblenz, Montabaur, Neustadt (Wied), Bad Honnef, Königswint­er, Bonn. 22 Mannschaft­en aus 13 Ländern mit jeweils sechs Fahrern rollen durchs Siebengebi­rge. Tour-deFrance-Sieger Geraint Thomas ist einer von ihnen. 14 Kilometer vor dem Ziel holen er und das Feld die letzten Ausreißer nach langer Flucht ein.

In den Ortschafte­n, die die Fahrer passieren, gibt es sie, die Grüppchen von Nachbarn, die aus Gartenstüh­len heraus anfeuern. Es sind Ortschafte­n wie Hohn. Der Flecken liegt 299 Meter über dem Meeresspie­gel. Das allein hat dem Ortsteil der Gemeinde Windhagen an der Grenze von Rheinland-Pfalz zu NRW bislang nicht zu überregion­aler Bekannthei­t verholfen. Doch an diesem Tag findet auf der Anhöhe die einzige Bergwertun­g statt. Es ist eher eine Hügelwertu­ng. 2,8 Kilometer lang ist der Anstieg, 4,5 Prozent steil im Schnitt. Oben wird es sogar ein bisschen eng, drängt sich ein Pulk von Zuschauern, und einer aus der Führungsgr­uppe kann im letzten Moment einem übermütige­n Fotografen ausweichen.

Auf offener Strecke ist es eher einsam. Es gibt keine Geschichte­n von Campern, die am frühen Morgen um genau diesen Platz am Streckenra­nd hatten kämpfen müssen. Trotzdem ist der allgemeine Eindruck Vom Zuschaueri­nteresse gut, das ist mehrheitli­ch zu hören. „Ich war schon positiv überrascht vom Zuspruch heute, aber die Fans können ruhig noch mehr Deutschlan­d-Fahnen von der Fußball-WM wieder rausholen und uns deutsche Fahrer anfeuern“, sagt Ackermann.

Am Freitag führt die Deutschlan­d-Tour weiter nach Trier. Am Samstag heißt das Etappenzie­l Merzig, am Sonntag ist in Stuttgart Schluss. Für Bonn ist der Spaß nach einem kurzen Besuch schon wieder vorbei. Der Tross rollt Richtung Meckenheim wieder aus der Stadt. Doch den im Hofgarten dösenden Studenten droht auch ohne Radsport-Event Ungemach: Es soll bald regnen.

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FOTO: DPA Begeisteru­ng an der Strecke: Die Deutschlan­d-Tour auf ihrem Weg durch Dierdorf.

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