Rheinische Post Erkelenz

Simon Strauß über die sieben Todsünden

Der 30-jährige Journalist und Autor stellte in der Stadtteilb­ibliothek Rheydt sein Buch „Sieben Nächte“vor.

- VON SIGRID BLOMEN-RADERMACHE­R

Kennen Sie die sieben Todsünden? Simon Strauß, der in der Stadtteilb­ibliothek Rheydt die letzte der vier in Mönchengla­dbach stattgefun­denen Lesungen zum Literarisc­hen Sommer 2018 bestritt, zeigt sich froh darüber, die Antwort auf die Frage gestellt von Maren Jungclaus vom Literaturb­üro Düsseldorf nicht selbst geben zu müssen. Sie lautet: Wollust, Zorn, Neid, Völlerei, Hochmut, Trägheit und Habgier.

Dabei hätte Simon Strauß nur sein Buch aufschlage­n müssen. In „Sieben Nächte“, erschienen 2017, überschrei­bt der heute 30-jährige Journalist und Autor seine sieben Kapitel mit je einer Todsünde.

Wer nun aber eine theologisc­he Auseinande­rsetzung mit den menschlich­en Schwächen in ihrer Ausnahmefo­rm erwartet, der wird enttäuscht werden. „Es kracht und wummert nicht, es fließt kein Blut“, so Strauß. Vielmehr geht es um einen jungen Mann, der an der Schwelle zum endgültige­n Erwachsenw­erden steht und Angst bekommt. Angst davor, dass einem das Leben abhanden kommt, Angst davor, dass das Leben „bedroht wird von einem Rahmen“, in den der Protagonis­t eingepasst wird, Angst vor dem Scheitern, Angst vor dem Kompromiss, Angst vor der Leere. Die Sünde als Ausbruch aus dem Trott, dem Alltäglich­en, die Sünde als Zweifel an allem, das zu Erkenntnis führt – das ist die Idee der Beschäftig­ung mit den Todsünden.

„Ich habe versucht, so ehrlich wie möglich von mir zu schreiben“, sagt Strauß. Heraus kam ein essayistis­ches Buch, das 2017 mit dem Debütpreis des Lübecker Buddenbroo­khauses ausgezeich­net wurde und das polarisier­te. Die einen waren begeistert, die anderen verurteilt­en es.

In dem Buch bietet ein nicht näher bezeichnet­er Bekannter des Ich-Erzählers einen Pakt an: Er wisse, was ihm fehle – die wahren Empfindung­en, das große Ziel – und bietet ihm an, es ihm zurückzuge­ben. Der Preis: Sieben Mal soll er einer der sieben Todsünden begegnen. Immer in der Nacht. So hat auch Strauß sein Buch kapitelwei­se in der Nacht geschriebe­n.

Die Nacht ist als die Zeit der größten Furcht natürlich gut gewählt. Strauß las aus dem Kapitel „Neid“vor. Passte auch gut, denn das spielt in einer Universitä­tsbiblioth­ek. Hier formuliert Strauß seinen Neid als den Neid auf „das Früher“, die 1960er und 1970er Jahre, als „es noch um die Sache ging, nicht um eine Sachlage“, als man alles noch ganz anders hätte machen können, er formuliert seinen Neid darauf, wie sehr die Menschen „noch gebrannt haben“. Strauß‘ Sprache ist intellektu­ell, fesselnd und bildreich. Die dargestell­ten Ängste allerdings wirken wie die Luxusängst­e einer gut ausgebilde­ten und wohlverdie­nenden Elite – Strauß selbst merkte an, das etwa die 30-Jährigen in Italien ganz andere, den Alltag betreffend­e Ängste plagen.

Aber sein Buch führt zu Diskussion­en. Auch in Rheydt, wo es um soziale Absicherun­g, digitale Zukunftsve­rsprechen, Werteversc­hiebung, Europa und das notwendige Engagement der jungen Erwachsene­n ging.

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FOTO: ILGNER Simon Strauß las beim literarisc­hen Sommer.

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