Wie bitte? Rhetorik?
Ein Orchideenfach oder, wie der Duden sagt:„ein ausgefallenes, ungewöhnliches und deshalb nur von wenigen gewähltes Studienfach“. Ich studiere so ein Orchideenfach. Allgemeine Rhetorik heißt es, und es gibt es nur einmal in ganz Deutschland, nur an meiner Universität in Tübingen. Koryphäen wie Walter Jens und Gert Ueding haben dort gelehrt.
Rhetorik kennt man eher aus der Schule: Latein, Cicero, Reden gegen Verres, rhetorische Stilmittel und so. Aber Rhetorik studieren? Unvermeidlich verfolgt den Rhetorik-Studenten die Frage: „Bitte? Was studierst du?“Ich erkläre dann immer, was Rhetorik ist: „Bei Rhetorik geht es nicht um schönes Reden, sondern ums Überzeugen.“Das Praktische an allen meinen Erklär-Einlagen: Als Rhetorik-Student habe ich nie Probleme, einen Gesprächseinstieg zu finden.
An meiner Uni ist Rhetorik eine Berühmtheit. Fast jeder kennt jemanden, der lautstark und eloquent darüber klagt, das Latinum nachholen zu müssen – das ist oft ein Markenzeichen der Rhetoriker. Ansonsten unterscheiden wir uns gar nicht so sehr von den anderen Geisteswissenschaftlern. Wir sind stolz, dass wir genauso alt wie die Philosophie sind, und belächeln die Medien- und Kommunikationswissenschaften ein bisschen als unsere etwas oberflächlicheren, jüngeren Geschwister. Hier in Tübingen wissen wir, dass wir besonders sind.
Im Rest von Deutschland hat man allerdings nur selten von Rhetorik gehört. Deshalb hat sich seit ein paar Semestern der Studiums-Erklär-Reflex bei mir fest etabliert. Jetzt erkläre ich Rhetorik selbst dann, wenn mich niemand gefragt hat. Und wenn man mich mit einem höflichen Lächeln abwimmeln will, ja, man habe von Rhetorik gehört, dann erkläre ich eben Theorien im Detail, ob mein Gegenüber sie hören will oder nicht. Meinen Rhetorik-Kommilitonen geht es nicht anders. Vielleicht färbt Rhetorik einfach ab.
Charlotte Geißler