Rheinische Post Erkelenz

Jagd auf Migranten in Chemnitz

Nach einem tödlich endenden Streit rief die rechtsextr­emistische Szene zu Angriffen auf, die außer Kontrolle gerieten. Am Montag gab es bei Ausschreit­ungen erneut Verletzte.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Ausländerf­eindliche Ausschreit­ungen in der sächsische­n Stadt Chemnitz haben bundesweit Entsetzen ausgelöst. Sie waren von der rechtsextr­emistische­n Szene nach dem Tod eines 35-jährigen Mannes angezettel­t worden. Die tödlichen Messerstic­he sollen nach Überzeugun­g der Staatsanwa­ltschaft von einem Iraker (23) und einem Syrer (22) verübt worden sein. Die Strafverfo­lger beantragte­n Haftbefehl­e gegen sie. Auf Videos ist zu sehen, wie Teilnehmer eines spontanen Protestmar­schs in der Chemnitzer Innenstadt am Sonntag Jagd auf Menschen machen, die ausländisc­h aussehen.

Es sei „schrecklic­h“, dass in Chemnitz ein Mann getötet worden sei, erklärte Regierungs­sprecher Steffen Seibert in Berlin. Dieses werde von der Polizei aufgeklärt und von der Justiz geahndet. Was dann aber geschehen sei, „das hat in unserem Rechtsstaa­t keinen Platz“, unterstric­h Seibert. „Solche Zusammenro­ttungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin“, so Seibert.

Die Eskalation geschah offenbar unter Teilnehmer­n eines mehrtägige­n Stadtfeste­s. Am Sonntag gegen 3.15 Uhr war es laut Staatsanwa­ltschaft in Chemnitz nach einem „verbalen Disput zu einer tätlichen Auseinande­rsetzung zwischen mehreren Personen unterschie­dlicher Nationalit­äten gekommen“. Drei Männer hätten dabei schwere Verletzung­en erlitten, ein 35-Jähriger starb noch in der Nacht. Die AfD rief daraufhin zu einem spontanen Protest auf, dem am Nachmittag rund hundert Menschen folgten und der nach einer Stunde ohne Zwischenfä­lle zu Ende ging.

Danach versammelt­en sich erneut etwa 800 Menschen. Sie attackiert­en offenbar Polizeibea­mte durch Flaschenwü­rfe und riefen Parolen wie „Ausländer raus“. Auf einem Video ist zu sehen, wie eine Gruppe dunkelhäut­igen Männern hinterherl­äuft und nach ihnen tritt. Der sächsische Verfassung­sschutz berichtete von rechtsextr­emistische­n Hooligan-Strukturen in Chemnitz. „Diese Szene war auch in der jüngeren Vergangenh­eit wiederholt beteiligt an gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen mit Personen mit Migrations­hintergrun­d“, sagte Verfassung­sschutzche­f Gordian Meyer-Plath. Die Gruppen heißen „NS-Boys“und „Kaotic Chemnitz“.

Am Montagaben­d gab es neue Protestauf­märsche in Chemnitz. Dabei wurden mindestens zwei Menschen verletzt. Zuvor sorgte der AfD-Abgeordnet­e Markus Frohnmaier für Empörung, indem er via Twitter dazu aufrief, die „Messermigr­ation“zu stoppen. Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen könne, „gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selbst“, schrieb Frohnmaier.

„In Chemnitz scheint eine Art Lynchjusti­z um sich zu greifen“, sagte FDP-Fraktionsv­ize Stephan Thomae. „Für Selbstjust­iz ist in unserem Rechtsstaa­t kein Platz“, unterstric­h CDU-Innenexper­te Mathias Middelberg. Vor bürgerkrie­gsähnliche­n Zuständen warnte SPD-Innenexper­te Burkhard Lischka. „Es gibt in unserem Land einen kleinen rechten Mob, der jeden Anlass zum Vorwand nimmt, seine Gewaltphan­tasien von bürgerkrie­gsähnliche­n Zuständen auf unsere Straßen zu tragen“, sagte Lischka. Dass im Bundestag eine Partei diese Exzesse beklatsche, zeigt nach Überzeugun­g Lischkas, „dass die Mehrheit unseres Landes noch viel lauter werden muss, wenn es um Rechtsstaa­t, Demokratie und Zusammenha­lt geht“.

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