Jagd auf Migranten in Chemnitz
Nach einem tödlich endenden Streit rief die rechtsextremistische Szene zu Angriffen auf, die außer Kontrolle gerieten. Am Montag gab es bei Ausschreitungen erneut Verletzte.
BERLIN Ausländerfeindliche Ausschreitungen in der sächsischen Stadt Chemnitz haben bundesweit Entsetzen ausgelöst. Sie waren von der rechtsextremistischen Szene nach dem Tod eines 35-jährigen Mannes angezettelt worden. Die tödlichen Messerstiche sollen nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft von einem Iraker (23) und einem Syrer (22) verübt worden sein. Die Strafverfolger beantragten Haftbefehle gegen sie. Auf Videos ist zu sehen, wie Teilnehmer eines spontanen Protestmarschs in der Chemnitzer Innenstadt am Sonntag Jagd auf Menschen machen, die ausländisch aussehen.
Es sei „schrecklich“, dass in Chemnitz ein Mann getötet worden sei, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Dieses werde von der Polizei aufgeklärt und von der Justiz geahndet. Was dann aber geschehen sei, „das hat in unserem Rechtsstaat keinen Platz“, unterstrich Seibert. „Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin“, so Seibert.
Die Eskalation geschah offenbar unter Teilnehmern eines mehrtägigen Stadtfestes. Am Sonntag gegen 3.15 Uhr war es laut Staatsanwaltschaft in Chemnitz nach einem „verbalen Disput zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen unterschiedlicher Nationalitäten gekommen“. Drei Männer hätten dabei schwere Verletzungen erlitten, ein 35-Jähriger starb noch in der Nacht. Die AfD rief daraufhin zu einem spontanen Protest auf, dem am Nachmittag rund hundert Menschen folgten und der nach einer Stunde ohne Zwischenfälle zu Ende ging.
Danach versammelten sich erneut etwa 800 Menschen. Sie attackierten offenbar Polizeibeamte durch Flaschenwürfe und riefen Parolen wie „Ausländer raus“. Auf einem Video ist zu sehen, wie eine Gruppe dunkelhäutigen Männern hinterherläuft und nach ihnen tritt. Der sächsische Verfassungsschutz berichtete von rechtsextremistischen Hooligan-Strukturen in Chemnitz. „Diese Szene war auch in der jüngeren Vergangenheit wiederholt beteiligt an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Personen mit Migrationshintergrund“, sagte Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath. Die Gruppen heißen „NS-Boys“und „Kaotic Chemnitz“.
Am Montagabend gab es neue Protestaufmärsche in Chemnitz. Dabei wurden mindestens zwei Menschen verletzt. Zuvor sorgte der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier für Empörung, indem er via Twitter dazu aufrief, die „Messermigration“zu stoppen. Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen könne, „gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selbst“, schrieb Frohnmaier.
„In Chemnitz scheint eine Art Lynchjustiz um sich zu greifen“, sagte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae. „Für Selbstjustiz ist in unserem Rechtsstaat kein Platz“, unterstrich CDU-Innenexperte Mathias Middelberg. Vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen warnte SPD-Innenexperte Burkhard Lischka. „Es gibt in unserem Land einen kleinen rechten Mob, der jeden Anlass zum Vorwand nimmt, seine Gewaltphantasien von bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf unsere Straßen zu tragen“, sagte Lischka. Dass im Bundestag eine Partei diese Exzesse beklatsche, zeigt nach Überzeugung Lischkas, „dass die Mehrheit unseres Landes noch viel lauter werden muss, wenn es um Rechtsstaat, Demokratie und Zusammenhalt geht“.